Wien - Im Folterfall Bakary J. ist erneut das Straflandesgericht Wien am Zug. Dort muss entschieden werden, ob dem Antrag von drei der vier wegen schwerer Misshandlung des Gambiers rechtskräftig verurteilten Ex-Polizisten auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattgegeben wird.
Die aus dem Polizeidienst Entlassenen und ihre Anwältin Maria Zehetbauer behaupten, dass sich um die Causa aus dem Jahr 2006 Ungereimtheiten ranken würden. Dabei machen sie sich eine atmosphärische Verschiebung zunutze, die vor wenigen Wochen mit dem Bekanntwerden eines neuerlichen Gutachtens im schlimmsten Fall von Polizeifolter der vergangenen Jahrzehnte begann: der Expertise Norbert Loimers, eines in der Waldviertler Gemeinde Horn praktizierenden Allgemeinmediziners, Psychiaters und Neurologen.
Entschädigunsgverfahren
Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens, das am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen anhängig ist, sollte Loimer die Arbeitsfähigkeit Bakary J.s prüfen. Es geht um insgesamt 485.000 Euro Entschädigung und 1000 Euro Monatspension für den Misshandelten.
Vier frühere Gutachten beschreiben den Gambier als schwer traumatisiert. Das sei unrichtig, widerspricht der Waldviertler Psychiater. Dem heute 40-Jährigen seien vielmehr "alle körperlichen Arbeiten in der normalen Arbeitszeit, die seinen geistige Fähigkeiten entsprechen" zumutbar. Die Misshandlungen, so Loimer, hätten bei Bakary J. kein Trauma, sondern lediglich "Unbill" hervorgerufen - vielleicht aufgrund "transkultureller Fragen": Bakary J. sei "praktizierender Moslem"; insgesamt sei die "kulturspezifische Einstellung des Herrn J. zu berücksichtigen": Laut dem Generalsekretär von Amnesty Österreich, Heinz Patzelt, eine Einschätzung, die vom "Einfließen persönlicher Ideologien" kündet.
Karriereknick
Mit dem Vorwurf rückwärtsgewandter ideologischer Ausrichtung sieht sich Loimer, der derzeit unter anderem im Auftrag des Justizministeriums den Sonderstrafvollzug österreichischer Gefängnisse überprüft, aber nicht zum ersten Mal konfrontiert. Zu Beginn seiner Laufbahn, in den frühen 1990er-Jahren, musste er aufgrund eines höchst umstrittenen Projekts einen Karriereknick hinnehmen.
Für seine Habilitation wollte er Schädelvermessungen an Drogenkranken durchführen, die an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie in der Intensivstation lagen. Es blieb beim Plan: Die Idee einer solchen Studie stieß auf breite Ablehnung unter Kolleginnen und Kollegen. Im Mittelpunkt der Kritik standen die durch das Projekt geweckten Assoziationen mit den rassistisch motivierten Schädelvermessungen nationalsozialistischer Ärzte und Biologen.
Anthropologe und Psychiater
Auch der damalige leitende Oberarzt der Drogenambulanz und Intensivstation, Otto Presslich, war gegen das Habilitationsprojekt: "Loimer hatte auch Anthropologie studiert, so kam er wohl auf die Schädelvermessungen (die Anthropologie war in den Jahrzehnten davor vielfach noch im Bann des Nazi-Rassismus gestanden, Anm.)", sagt der heute pensionierte Psychiater.
In den multidisziplinären Teamrunden an der Klinik sei versucht worden, das Schädelvermessungsprojekt "seriös zu diskutieren", schildert Presslich im Standard-Gespräch: "Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Vermessungen anthropologischer Parameter besonders bei unseren vielfach gesundheitlich und sozial desolaten sowie geächteten Patienten nur verängstigend und daher kontraproduktiv wären". Im Endeffekt habe man den Plan "nicht ernstgenommen".
Kopfform und Suchtneigung
Auch Silvia Franke, damals Sozialarbeiterin, heute Psychotherapeutin, erinnert sich an die Habilitationspläne Loimers: "Wir saßen im Schwesternzimmer, da begann er, mir über sein Projekt zu erzählen. Loimer fragte mich, ob ich ihm dafür Patienten vorschlagen könne. Er wolle erforschen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Kopfform und der Neigung zur Sucht gebe", schildert Franke.
Was das den Patienten nützen solle, habe sie von dem Psychiater wissen wollen. Es könne der Früherkennung eines Suchtrisikos dienen, habe Loimer entgegnet. Ob er nicht erkenne, dass derlei Vermessungen stigmatisierend wirken würden, habe sie eingebracht. Daraufhin habe Loimer die Unterhaltung beendet.
In der Folge verließ der abgeblitzte Psychiater die Universitätsklinik. Im Waldviertler Horn baute er sich eine psychiatrische und neurologische Praxis auf. Vom Standard wegen eines Kommentars kontaktiert, wollte Loimer nicht reagieren. (Irene Brickner, DER STANDARD, 13.11.2014)