Zum Lachen und zum Weinen: Bugs wie dieser sind keine Seltenheit in modernen Videospielen.

Foto: Assassin's Creed Unity

Es ist hinfällig, über die guten alten Zeiten zu lamentieren und die Tage, in denen man für sein Geld noch Videospiele bekommen hat, die fertig entwickelt und ihr Geld wert waren. Sparen wir uns das, auch früher war nicht alles gut und selbst wesentlich simplere Vollpreistitel nicht selten voll von Bugs.

Aber egal, das ist alles Geschichte. Die Probleme der Games-Industrie liegen in der Gegenwart und sind dieser Tage zum Start der alljährlichen Weihnachtssaison in einem Zustand gemündet, den man nur als absolute Frechheit gegenüber den Kunden bezeichnen kann.

Haarsträubend

Betrachtet man die jüngsten Problemfälle von "DriveClub" über "Halo: The Master Chief Collection" bis "Assassin's Creed Unity", dann ist es offenbar zum Usus geworden, Games mit massiven technischen Problemen oder gar unfertig auf den Markt zu werfen. Produkte, für die Konsumenten 60 Euro auf den Tresen legen.

Wochen nach der Veröffentlichung Sonys jüngstem Rennspiel scheiterten noch immer tausende Spieler daran, "DriveClubs" viel beworbene Online-Modi zu starten. Microsofts Sammlung seiner Prestige-Serie "Halo" leidet in der ersten Woche an nicht minder schweren Problemen. Eine kollektiv erstellte Liste von Spielern moniert dutzende Bugs von Netzwerkinstabilitäten bis zu nicht funktionierenden Speicherständen. Und nicht zuletzt müssen Gamer seit dieser Woche unzählige teils spielzerstörende Fehler in "Assassin's Creed Unity" beklagen und machen sich mittlerweile mit Screenshots und Videos über jenes Werk lustig, das Fans der Serie den langersehnten Neustart für die neue Konsolengeneration versprach. Ubisofts Fehlstart wurde nicht nur von den Medien und Kunden, sondern auch von den Anlegern abgestraft. Der Aktienkurs brach in den Tagen nach der Veröffentlichung aufgrund der schlechten Berichterstattung gleich um 10 Prozent ein.

Fehlendes Feature

Das Wirtschaftsmagazin Forbes bezeichnete Ubisoft daraufhin in einer Kolumne als "das neue EA" und verglich "Unitys" Scheitern mit jenem von EAs "Battlefield 4", das noch ein Jahr nach dem Erscheinen Ende 2013 mit Patches versorgt werden musste. Das Strategiespiel "Sim City" erschien zuvor auch alles andere als vollkommen.

Längst ist die Diskussion über fehlerhafte Codes auch zu inhaltlichen Mängeln fortgeschritten. "DriveClub" erschien im Oktober mit dem Hinweis, dass eine ganze Reihe an Features inklusive dynamischem Wetter noch nachgereicht würde. Activisions Bestseller "Destiny", ob seiner Nullgeschichte und seiner repetitiven Missionen noch von Kritikern milde abgestraft, erhält bereits wenige Monate nach dem Debüt im Dezember sein erstes umfangreiches Addon für satte 20 Euro. Ubisofts im Mai erschienenes Hacker-Spektakel "Watch Dogs" ließ nach Monaten des Hypes und letztendlich falscher Versprechen hinsichtlich der grafischen Qualität ebenso viele Kunden enttäuscht zurück.

Day-One-Patch

Kaum läuft dieser Tage noch ein Marktstart ohne umfassenden Day-One-Patch ab. Sogar das HD-Remake von "Grand Theft Auto 5" für PS4 und XBO wird im November nicht ohne Patch auskommen und Spieler der backfrischen "Halo Collection" mussten gar erst einmal ein 15 GB schweres Update herunterladen, bevor sie loslegen konnten.

Dabei werden kommende Download-Inhalte und Erweiterungen immer öfter bereits noch vor dem Marktstart eines Games beworben, oftmals mit der Aussicht, bei einer Vorauszahlung über einen Season-Pass Geld "sparen" zu können. Angesichts dessen, wie viele Games unterdessen unfertig in den Handel kommen, wirkt dieser Vermarktungstrick gegenüber zahlenden Konsumenten wie der blanke Hohn.

Genug ist genug

Die Videospielbranche ist nicht zuletzt dank immer besser vernetzter Plattformen und das Wissen über gut verfügbare Online-Verbindungen in einen Status Quo gerutscht, in dem der Spieler kein königlicher Kunde mehr ist, sondern ein zahlender Produkttester.

Die Industrie hat es sehr geschickt geschafft, über exklusiv angepriesene Testphasen und Vorabbezahlmodelle wie Early-Access Konsumenten einzureden, dass "Beta-Versionen" das neue heiße Ding sind und haben so allmählich auch die Akzeptanz für unfertige Produkte erhöht. Aber irgendwann ist das Maß voll und der Punkt erreicht, an dem es nicht noch schlimmer werden kann. Katastrophaler als jetzt kann die Qualität mancher (und leider sogar vieler) Blockbusterproduktionen nicht mehr werden. Es ist Zeit, einen Schlussstrich zu setzen.

Mindeststandards

Jedem, der sich für Games interessiert, ist bewusst, dass Entwicklungsprozesse wahnsinnig aufwendig sind und heute hunderte Menschen zusammenwirken müssen, um Spiele von der grafischen Gestaltung über die Umsetzung der Skripte bis hin zur Programmierung wie gigantische Puzzle zusammensetzen zu können. Bei Millionen Codezeilen kann es keine perfekten Ergebnisse mehr geben, aber man muss sich als zahlender Konsument erwarten können, dass ein Produkt so funktioniert, wie es beworben wird.

Während führende Herausgeber auf der Suche nach lukrativeren Einnahmequellen immer kürzere Publikationszyklen anstreben und Bestseller-Franchises nicht mehr nur einmal jährlich sondern dank Download-Inhalten sogar durchgehend zu melken versuchen, ist es angesichts der sich mehrenden Katastrophenstarts überfällig, die Nachhaltigkeit dieser Geschäftsmodelle zu überdenken.

Verärgerte Kunden sind verlorene Kunden

"Assassin's Creed", "Battlefield", "Halo" oder "Sim City" sind Marken, die über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut wurden. Ist ein guter Quartalsabschluss es wert, diese mit überhasteten Veröffentlichungen aufs Spiel zu setzen und treue Fans zu verscheuchen? Ist es wirtschaftlich sinnvoll, bei einem neuen Franchise wie "DriveClub" trotz wiederholter Verschiebungen aufgrund technischer Mängel auf der Zielgerade nochmal extra aufs Gaspedal zu steigen, auf die Gefahr hinaus, eine vielversprechende Idee gleich beim Debüt gegen die Wand zu fahren?

Es würde zu weit führen, auch noch die grundlegend problematische Verschmelzung aus Kreativproduktionen und den aktiengesellschaftlichen Strukturen ihrer Publisher zu erörtern. Doch so viel sei gesagt: Für viele Anleger mag nur das Quartalsergebnis zählen und der nächste große Hit. Dabei ist es aber die Zufriedenheit der Konsumenten, die den Fortbestand des Unternehmens, der Arbeitnehmer und auch der gut bezahlten Manager langfristig sichert. Vielleicht wäre es doch sinnvoller, wieder Spiele für Spieler und Produkte für Kunden und nicht für Bilanzen und Anleger herauszubringen, liebe Hersteller. In Ihrem eigenen Interesse. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 15.11.2014)