Wien - Mit der Einvernahme des Drittangeklagten Dejan V. und der Erörterung der Sachverständigengutachten ist am Donnerstag der Prozess um den sogenannten Wiener Handgranatenmord fortgesetzt worden. Der 30-Jährige soll in die mörderischen Pläne des Hauptangeklagten Kristijan H. zur Gänze eingeweiht gewesen sein, als er diesen in der Nacht auf den 11. Jänner 2014 zum Tatort nach Ottakring begleitete.

"Für den Mord kann ich nix dafür", hielt Dejan V. dem Staatsanwalt am Tag nach der Verhandlungseröffnung entgegen. Er sei "auf einen Betrug eingestellt gewesen". Kristijan H. habe ihn gebeten, einen vermeintlichen Diesel-Verkäufer zu mimen, der Zlatko N. (45) und Horst Waldemar W. (57) vorgeblich um 20.000 Euro Treibstoff überlassen wollte. In der Odoakergasse angelangt, habe Kristijan H. die beiden Männer, mit denen dieser in der Vergangenheit ertragreiche illegale Geschäfte abgewickelt hatte, begrüßt und sich dann zu Zlatko N. ins Auto gesetzt.

"Dann hab' ich laute Gespräche gehört. Dann hab' ich Schüsse gehört. Ich war komplett wie einbetoniert", schilderte der 30-Jährige das weitere Geschehen. Zunächst habe er gar nicht mitbekommen, wer die Schüsse abgegeben hatte: "Ich hab' mir gedacht, das gibt es nicht. Ich war total im Schock. Starr." Es habe seitens Kristijan H. "nie geheißen, dass es einen Anschlag gibt". Dieser habe dann auch noch eine Handgranate gezündet und auf den Beifahrersitz geworfen. Horst Waldemar W. habe noch aussteigen wollen: "Er hat es leider nicht mehr geschafft".

"Ich weiß nicht, warum ich angeklagt bin"

Wie Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp ausführte, zerfetzte die Granate dem 57-Jährigen die linke Hand und eröffnete dessen Bauch- und Brusthöhle. "Die linke Hand wurde im Bereich der Handwurzel amputativ abgesetzt", so der Gutachter. Der 1,64 Meter große und 124 Kilogramm schwere Mann habe ein "Explosionstrauma" erlitten, das eine "Überstreckung der Körperhauptschlagader" bewirkte. Nicht zuletzt aufgrund seines Körperumfangs - laut Gutachten wies das Bauchfett eine Dicke von zehn Zentimetern auf - trat nicht unmittelbar der Tod ein. Horst Waldemar W. soll sogar noch um Hilfe gerufen haben und erlag erst während des Transports ins Krankenhaus seinen Verletzungen. Todesursächlich war der immense Blutverlust.

Dagegen war Zlatko N. auf der Stelle tot, dem Kristijan H. mit einem Revolver aus einer Entfernung von weniger als 30 Zentimeter in den Kopf und danach noch zwei Mal in die Brust geschossen hatte.

"Ich weiß nicht, warum ich angeklagt bin", gab Dejan V. zu Protokoll. Er forderte Kristijan H. - dieser will sich in der Hauptverhandlung nicht äußern und weiter von seinem Schweigerecht Gebrauch machen - mehrfach mit Nachdruck auf, "die Wahrheit zu sagen, dass ich und seine Schwester nichts gewusst haben." Kristijan H. blieb - ohne sichtliche emotionale Bewegung - stumm. "Wenn ich weiß, da macht's 'Bumm', steh ich nicht fünf Meter neben dem Auto", insistierte Dejan V., der außerdem bestritt, dem Hauptangeklagten im Vorfeld Schusswaffen und eine Rohrbombe besorgt zu haben: "Das stimmt nicht. Ich hätte gar nicht die Möglichkeit gehabt."

Der Drittangeklagte behauptete am Ende seiner Einvernahme, Kristijan H. habe sich bei ihm ein paar Wochen nach der Festnahme bei einer zufälligen Begegnung in der Justizanstalt Josefstadt sogar für sein Verhalten entschuldigt. "Er hat mich umarmt und gemeint, es tue ihm so leid. Die Polizei habe ihm so einen Stress gemacht", so Dejan V. Sein langjähriger Freund habe ihm gesagt, die Polizei habe ihm "versprochen, dass er vom lebenslänglich wegkommt". Deswegen habe ihn Kristijan H. ab seiner zweiten polizeilichen Einvernahme plötzlich fälschlicherweise zu belasten begonnen.

"Der Trottel hat wirklich nichts gewusst"

Dieser kommentierte diese Angaben nicht. Am Nachmittag soll neben den Polizisten auch ein ehemaliger Zellengenosse des Hauptangeklagten als Zeuge aussagen. Wie Marcus Januschke, einer der beiden Verteidiger von Dejan V. , darlegte, soll Kristijan H. dem Mithäftling wörtlich erklärt haben: "Der Trottel (gemeint: Dejan V., Anm.) hat wirklich nichts gewusst."

Dejan V. hatte bei der Detonation der Granate selbst Verletzungen im Bereich des rechten Oberschenkels und der Hüfte erlitten. Laut Gerichtsmediziner waren diese mit keiner Lebensgefahr verbunden.

Seine Verletzungen hatte Dejan V. nicht in Österreich behandeln lassen, obwohl er hier sozialversichert war. Er ließ sich stattdessen von einem Onkel nach Serbien chauffieren, wo er für die nicht unbeträchtlichen Behandlungskosten selbst aufkommen musste. Den Ärzten in seiner ursprünglichen Heimat erklärte er, er hätte sich bei einem "Sägewerksunfall" verletzt.

Darauf angesprochen, antwortete der 30-Jährige dem Schwurgericht (Vorsitz: Martina Krainz), er habe das Land verlassen, weil er "weg von Kristijan wollte. Ich hab' mir gedacht, vielleicht bringt er mich auch noch um". Er habe aufgrund des Doppelmordes, den er mitansehen musste, "ein Trauma bis heute noch. Ich weiß nicht, wie ich damit leben kann, was der Kristijan da aufgeführt hat". Nachdem Dejan V. Anfang April nach Österreich zurückgekehrt war, klickten für ihn, Kristijan H. und Renata H. - die mitangeklagte Schwester des Hauptangeklagten - die Handschellen.

Renata H. geriet in Erklärungsnotstand

In ihrer detaillierten Befragung schilderte Renata H. die Stunden vor dem inkriminierten Doppelmord als - wie sie sich ausdrückte - "einen Abend wie tausend andere auch". Nach ihrer Einvernahme wurde die Verhandlung auf den 1. Dezember vertagt.

Die 43-Jährige war am 10. Jänner 2014 mit ihrem Lebensgefährten und ihrem dreijährigen Kind aus einem zweiwöchigen Urlaub aus der Dominikanischen Republik zurückgekehrt. Nach dem anstrengenden Langstreckenflug besuchte sie am Abend ihren Bruder im Hotel "Kempinski", wo dieser sich mit seiner Partnerin und dem gemeinsamen wenige Monate alten Kind eingemietet hatte, statt sich schlafen zu legen. Sie habe Kristijan H. Urlaubsfotos zeigen und über ein Geschäft mit Palmöl sprechen wollen, behauptete die Drittangeklagte.

"Habe meinen Bruder vertraut"

Im Hotelzimmer habe sie gesehen, wie ihr Bruder Patronen mit einem Messer bearbeitete, und von einem unmittelbar bevorstehenden Termin mit zwei Männern sprach, mit denen er jetzt "zwielichtige" Geschäfte machen werde, räumte die Frau ein. Er habe sich beinahe ausschließlich mit dem ebenfalls anwesenden Dejan V. unterhalten. Obwohl von einem "Anschlag" die Rede war und dass es "gefährlich" werden könnte, habe sie ihren Bruder mit ihrem Auto zu seinem Termin in die Odoakergasse chauffiert. "Ich habe meinem Bruder blind und blöd vertraut. Ich hätte ihm nie zugetraut, dass er mich in so etwas reinzieht", gab die 43-Jährige zu Protokoll.

Dass eine Granate explodierte, nachdem Kristijan H. ihren Wagen verlassen hatte, habe sie nicht mitbekommen. Sie habe zwar "einen Knall gehört", habe den aber "niemals zuordnen können". Sie sei in Gedanken versunken in ihrem Auto gesessen und habe an den Karibik-Urlaub gedacht, während sie - seinem Wunsch entsprechend - auf ihren Bruder wartete. Dem Gericht erschien ein derartiges Verhalten nicht nachvollziehbar. "Dass Sie da weiter im Finsteren (es war zu diesem Zeitpunkt bereits weit nach Mitternacht, Anm.) sitzen bleiben, entspricht nicht meiner Lebenserfahrung", meinte eine Beisitzerin. "Ich hab' keine andere", erwiderte die Angeklagte. Sie habe "das alles nicht wissen wollen", betonte sie: "Ich habe meinen Bruder vollkommen unwissend von A nach B geführt."

"Nicht nachgefragt"

Nach der Explosion habe sie ihren Bruder und Dejan V. weggebracht. Letzterer habe "ein schwarzes Loch" am Bein gehabt - der 30-Jährige wurde bei der Detonation erheblich verletzt. Sie habe "nicht nachgefragt", es sei "nichts Spezielles geredet worden". Als ein Geschworener darauf - eher ungläubig als amüsiert - auflachte, während andere Laienrichter nur den Kopf schüttelten, fuhr ihn die Angeklagte mit "Das ist nicht lustig!" an.

Sie sei mit der ganzen Situation überfordert gewesen. Daher habe sie auch noch ihrem Bruder beim Entsorgen der Waffe geholfen, mit der dieser Zlatko N. erschossen hatte, sagte Renata H. Der Revolver wurde in einem Sackerl in der Donau versenkt. Sie habe "wie in Trance" und "im Zustand vollkommener Angst und Panik" gehandelt, so die 43-Jährige: "Am liebsten hätte ich den Kopf in den Sand gesteckt und mich vergraben."

Laut Anklage war die Frau im Vorhinein in das Mordkomplott eingeweiht und wusste, was ihr Bruder im Schilde führte, als er sich von ihr nach Ottakring fahren ließ. Der Frau drohen eben so zehn bis 20 Jahre oder lebenslang wie Kristijan H. und Dejan V. (APA, 13.11.2014)