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Mufti Muamer Zukorlić fühlt sich stigmatisiert.

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Die "Armee des Mufti" marschierte Anfang September in Novi Pazar auf und löste Ängste aus. Der Mufti spricht von einer "Performance".

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STANDARD: Sie sind Großmufti der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Serbien. Was wollen Sie durch den Nationalrat der Bosniaken in den kommenden vier Jahren erreichen?

Zukorlić: Laut dem Gesetz gibt es vier Bereiche, das sind Kultur, Information, Muttersprache und Bildung, die der Nationalrat gestalten kann. Es gibt Fortschritte, wenn es um Bildung geht. Und über diese vier Bereiche können wir 80 Prozent der Probleme lösen. Es geht nicht so sehr darum, was im Gesetz steht, der Nationalrat ist das einzige Organ der Bosniaken, das das Recht hat, die Bosniaken zu vertreten.

STANDARD: Und was ist mit den anderen 20 Prozent?

Zukorlić: Die Frage des Sandžak in der serbischen Verfassung ist eine offene Frage. Auch wenn der Nationalrat nicht autorisiert dazu ist, wird der Nationalrat dafür sorgen, dass diese Fragen gelöst werden. Es geht um zwei Fragen. Es ist inakzeptabel, dass die Bosniaken per Verfassung als Minderheit gelten, wir sind eine autochthone Nationalität. Das Referendum über die jetzige Verfassung wurde fabriziert (durch Wahlmanipulationen wurde eine Mehrheit künstlich erzeugt, vor allem durch Manipulationen im Sandžak, was die Folge der Koalition zwischen dem ehemaligen serbischen Premier Vojislav Koštunica und Sulejman Ugljanin von der SDA war, Anm.). Dieser Deal zwischen Ugljanin und Vojislav Koštunica wurde von Ugljanin (im Nachhinein, anm.) als falsch festgestellt.

STANDARD: Also wollen Sie mehr Autonomie für den Sandžak?

Zukorlić: Der Sandžak hat eine negative Auswirkung auf die Stabilität für alle. Also muss man sagen, dass diese Region besondere Notwendigkeiten hat. Der Sandžak muss eine gewisse Autonomie haben. Wir haben niemals ein Programm vorgelegt, wie die aussehen soll, weil wir wollen, dass diese Frage im Dialog gelöst wird.

STANDARD: Manche Bosniaken sagen, dass Serbien nicht ihr Mutterland ist. Was ist das Mutterland der Bosniaken in Serbien?

Zukorlić: Wir sehen Bosnien-Herzegowina emotional als Mutterland an. Es geht aber um das emotionale Mutterland und das faktische Mutterland. Und wir sind bereit dazu, Serbien als Mutterland zu sehen, aber nur, wenn Serbien uns als gleichberechtigte Bürger Serbiens anerkennt. Das geht nicht nur von einer Seite. Die Mehrheit hier akzeptiert Serbien als ihre Heimat. Die Heimat ist dort, wo man Sicherheit hat und wo man gleiche Möglichkeiten hat. Aber wir wurden hier nicht als Gleiche akzeptiert.

STANDARD: Manche Serben in Bosnien-Herzegowina sehen Serbien als ihr Mutterland an und manche Kroaten Kroatien. Das schwächt die Verbindung zwischen diesen Bürgern und ihrem Staat, Bosnien-Herzegowina. Ist es nicht gefährlich, wenn eine Nationalität ein anderes Land als ihr Mutterland ansieht?

Zukorlić: Wir glauben nicht, dass das Mutterland und der Staat, dem man angehört, einander ausschließen. Wir sind Bosniaken, und es ist klar, dass Bosnien-Herzegowina unser kulturelles und ethnisches Heimatland bleibt. Man kann das nicht vergleichen mit den Serben in Bosnien-Herzegowina. Denn die Serben in Bosnien-Herzegowina schließen Bosnien-Herzegowina als ihre Heimat aus, und wir tun das nicht mit Serbien. Aber wir haben viele Gründe dafür, wenn man sieht, was in den vergangenen 100 Jahren passierte, kein Vertrauen in Serbien zu haben. Also sollte Serbien zeigen, dass es bereit ist.

STANDARD: Einige Leute aus dem Sandžak, unter anderem in Wien, rekrutieren junge Muslime für die Terrorgruppe IS in Syrien und im Irak. Wie wollen Sie verhindern, dass diese jungen Leute dorthin gehen?

Zukorlić: Ich weiß nicht, was wir in Wien tun können, aber ich weiß, was wir hier tun können. Wir können vieles machen. Wir sind bereit, die volle Verantwortung zu übernehmen für die gesamte Bildung von jungen Muslimen hier im Sandžak in Serbien, aber nicht unter diesen Voraussetzungen, wo die islamische Gemeinschaft attackiert wird und nicht vom Staat beschützt wird. Verschiedene Gruppen machen Bildungsaufgaben – halblegal oder illegal –, aber dafür übernehmen wir keine Verantwortung, weil sie nicht innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft agieren.

STANDARD: Aber Sie sind ein einflussreicher Mann hier. Wie wollen Sie verhindern, dass diese jungen Muslime für den Krieg in Syrien und im Irak rekrutiert werden?

Zukorlić: Natürlich können wir das, und wir tun das. Wenn wir das nicht täten, wäre die Anzahl der Leute, die in den Krieg gehen, viel größer. Wenn uns die Regierung die Einheit innerhalb der Islamischen Gemeinschaft geben würde, würden wir die volle Verantwortung für jegliches abweichende Verhalten innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft übernehmen. Wir erwarten, dass die Regierung die Verfassung akzeptiert. Als Artimje eine neue Kirche gründen wollte, hat der Staat ihm das nicht erlaubt. Als Adem Zilkić aber eine neue Islamische Glaubensgemeinschaft gründen wollte, hat der Staat ihm geholfen. Zuerst hat man die Islamische Glaubensgemeinschaft zerstört, und dann erwartet man, dass sie junge Muslime davon abhält, in den Krieg zu gehen. Wir haben keine Energie, die jungen Leute zu bilden, wie wir das sollten.

STANDARD: In Europa ist es nicht üblich, dass ein religiöser Führer wie Sie auch gleichzeitig ein Politiker ist. Wo soll Ihrer Meinung nach die Trennung zwischen Staat und Kirche verlaufen?

Zukorlić: Wo Europa falsch liegt, wenn es um den Islam geht, ist, wenn es versucht, den Islam aus der Logik des Christentums zu verstehen. Das stellt eine große Mauer des Missverständnisses her. Der Islam ist eine politische Religion, und man kann ihn deshalb nicht ändern. Nach der Lehre ist der Islam eine spirituelle, eine soziale und eine politische Religion, und es ist sehr wichtig, dass Sie das wissen.

STANDARD: Aber Serbien ist ein säkularer Staat.

Zukorlić: Ich habe nichts gegen das säkulare Serbien gesagt. Ich respektiere das säkulare Recht in Serbien. Dieses Recht besagt, dass jeder Wähler ein aktives und passives Wahlrecht hat. Es ist für mich kein verfassungsrechtliches und politisches Problem. Manche stört es aber, dass ich politische Aussagen treffe.

STANDARD: Aber wenn Sie sagen, dass der Islam eine politische Religion ist, kann dann der Säkularismus, wie er in Europa gilt, auf den Islam angewandt werden?

Zukorlić: Es gibt einen Unterschied, wie sich Muslime in einer islamischen Umgebung und in einer säkularen Umgebung verhalten. Und sind Sie sicher, dass der Staat und die Religion in Europa wirklich so getrennt sind? In Europa werden die Kirchen mit Hilfe staatlicher Institutionen finanziert. Ich rede über Prinzipien. Man kann nicht vom Islam etwas verlangen, was man nicht auch von den anderen verlangt. Carlos Belo ist ein Priester und in die Politik in Ost-Timor involviert. Aber wenn er ein Mufti wäre, würde er niemals einen Friedensnobelpreis bekommen. Die Muslime werden auf der ganzen Welt so diskriminiert. Nur wegen dieser Heuchelei gibt es Feindseligkeit der Muslime gegenüber der westlichen Welt.

STANDARD: Also ist es jetzt möglich, den Säkularismus auf den Islam anzuwenden, oder nicht?

Zukorlić: Ja, das ist möglich, aber nur mit den Muslimen. Der Säkularismus als Ideologie wurde als Antwort auf die Kirche geschaffen. Daher ist es sehr problematisch, wenn wir das auf den Islam anwenden. Der Säkularismus ist nicht einmal eine Antwort auf das Christentum, sondern auf die Kirche, eine Antwort auf ein merkwürdiges Verhalten, bei dem es darum ging, die Könige unter Kontrolle zu halten. Es gibt ein Sprichwort: Gib Gott, was Gottes ist, und dem König, was des Königs ist. In dieser Hinsicht kann das nicht auf den Islam angewandt werden. Aber der Islam kann mit dem Säkularismus zusammenleben (kohabitieren), er kann verhandeln mit dem Säkularismus.

STANDARD: Am 4. September gab es hier einen Marsch der "Armee des Mufti", bei dem Männer in grünen Uniformen in Ihrem Auftrag durch Novi Pazar marschierten.

Zukorlić: Die grüne Armee. Aber was war militärisch daran?

STANDARD: Die Uniformen.

Zukorlić: Aber was ist an einer Uniform militärisch? Es kann ja auch eine Uniform der Bäcker oder der Jäger sein.

STANDARD: Also waren diese Uniformierten Jäger?

Zukorlić: Das war eine Performance. Bei dieser Performance gab es nichts Militantes. Wenn Sie die Schuhe angeschaut haben, dann waren das sehr modische Schuhe, und auch der Gürtel war sehr modisch. Es war eine Provokation, mit der der Staat aufmerksam gemacht werden sollte. Vor 70 Jahren hat ein Verbrechen stattgefunden hat, bei dem 2.400 Leute getötet wurden. Und wieso müssen wir Muslime überhaupt alles rechtfertigen? Ich unterstütze die Leute, die da marschiert sind. Das war eine Art Pfadfinder-Uniform. Wieso wird das mit dem Krieg in Zusammenhang gebracht? In einer normalen Gesellschaft gäbe es kein Problem mit so etwas, aber hier gibt es Vorurteile. Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt.

STANDARD: Aber wenn diese Leute marschieren, löst das Ängste aus.

Zukorlić: Haben Sie jemals von den Tschetniks gehört, die jedes Jahr in Ravna Gora mit den Maschinengewehren posieren?

STANDARD: Aber wieso sollte man etwas Schlechtes machen, nur weil jemand anderes etwas Schlechtes macht?

Zukorlić: Es ist nicht vergleichbar mit den Tschetniks, denn von meiner Gruppe ging keine Gewalt aus. Wenn ich eine Armee formieren würde, dann würde ich das nicht auf der Straße machen, sondern im Wald. Es war eine kulturelle, keine militärische Provokation.

STANDARD: Vielleicht war es ja wegen der Wahlen, dass Sie das gemacht haben?

Zukorlić: Nein, es war vor den Wahlen geplant. Sie müssen versuchen, die Bosniaken zu verstehen. Man kann ihnen nicht verbieten zu spielen. Warum sollte ich kein Recht haben, eine Kappe auf meinem Kopf zu tragen? Es sieht doch aus wie eine pazifistische ökologische Armee. Ich war vor einem Monat bei einer Konferenz in Wien. Und ich habe genug davon, von islamischem Terrorismus zu hören. Wir sind keine Terroristen.

STANDARD: Ich habe nicht von Terrorismus gesprochen.

Zukorlić: Wir haben es immer nur mit Vorurteilen gegenüber Muslimen zu tun.

STANDARD: Das ist nicht so.

Zukorlić: Der Westen dressiert uns. Und die Leute in Belgrad haben das akzeptiert und die Leute in Podgorica. Aber ich werde das niemals akzeptieren. Ich bin nicht so wie die anderen, ich bin trunken von der Freiheit. Ich würde mein Leben geben, aber niemals die Freiheit. Wenn es um Meinungsfreiheit geht, dann soll diese auf alle angewandt werden. Doch wenn man die LGBT-Leute nicht akzeptiert, dann ist man "out". Das ist ein Dogma. Die Säkularen verhalten sich wie Inquisitoren. Das ist eine säkulare Inquisition. Doch die einzige Sache, die ich niemals akzeptieren werde, ist ein Homosexueller. Das ist das Ende der Welt für mich. Gegen jene, die die LGBT-Gemeinschaft nicht unterstützen, wird eine Lynchatmosphäre geschaffen. Europa ist so. Und Serbien wird jetzt auch so. Und deshalb haben alle ein Problem mit meiner Raffinesse und Rhetorik, und ich werde stigmatisiert. Die Wahlergebnisse vor vier Jahren wurden nur deshalb nicht anerkannt, weil ich die Wahlen gewonnen habe.

STANDARD: Und was hat das jetzt mit den Homosexuellen zu tun?

Zukorlić: Nichts, es geht nur um Beispiele, dass ich stigmatisiert werde.

STANDARD: Sollen Ihrer Meinung nach die Frauen gleichberechtigt sein?

Zukorlić: Ja. Die Kommunisten haben Gleichberechtigung so verstanden, dass sie auch im Bergwerk arbeiten sollten.

STANDARD: Also sollten die Frauen Ihrer Meinung nach nur zu Hause arbeiten?

Zukorlić: Nein, ich habe eine Universität, wo Mädchen zehn Prozent Ermäßigung bekommen für das Studium. Meine Frau ist eine Professorin an der Universität, und abgesehen davon hat sie ein privates Geschäft.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie zwei Frauen haben?

Zukorlić: Was glauben Sie?

STANDARD: Ich frage Sie.

Zukorlić: Ich rede niemals über private Angelegenheiten. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Langfassung, 13.11.2014)