Bild nicht mehr verfügbar.

Festredner Juri Andruchowytsch.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Literatur rettet keine Leben - das behauptet auch Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels, bei der Eröffnung der internationalen Buchmesse Buch Wien nicht. Jedoch: "Ohne Literatur haben wir nicht einmal eine Chance." Schreiben und Lesen heiße, den Menschen zu verbessern.

Dem stellte Festredner Juri Andruchowytsch eine Realität entgegen, die Literatur dringend braucht. Der ukrainische Schriftsteller erzählte von einem "Wir", das vor einem Jahr aus der gewohnten Realität gefallen sei - und meint damit die Bürger und Bürgerinnen der Ukraine, die nun mitten in einem hybriden Krieg leben. Die Todesstrafe sei wieder eingeführt: "Sie erschießen und sie erhängen."

Die Zeit zurückdrehen will er deshalb noch lange nicht - die erreichte Freiheit, so Andruchowytsch, sei höher als die Verluste. Es gebe für die Ukraine keinen besseren Weg als den europäischen.

Europa aber kommt nicht gut weg in seiner Rede. Einmal bemüht er den anspielungsreichen Ausdruck vom "alten Europa", er nennt es eine Komfortzone, eine des Wohlstands und der Bequemlichkeit, steril und "oversecured". Nicht jeder Europäer wird das so unterschreiben; und immerhin ist Andruchowytsch sich dieser massiven Verallgemeinerung bewusst.

Offenbar geht es ihm darum, den größtmöglichen Gegensatz zwischen seinem Land ("In der Ukraine aber wird Blut vergossen") und den westlichen Nachbarn heraufzubeschwören. Er verweist auf "Putin-Versteher", einen "Bonzen der österreichischen Handelskammer" oder spanische Obstbauern, die aus Protest gegen die Sanktionen EU-Flaggen verbrannten. Im Ukrainischen hätten "Wert" und "Preis" dieselbe Wurzel. Und während Europa den finanziellen Wert sehe, ginge es der Ukraine um den ideellen. "Verzeihen Sie", schließt Andruchowytsch seine Rede, "ganz ungewollt sind wir zu Ihren Gewissensbissen geworden."

Es war mutig und vor allem richtig von den Veranstaltern, inmitten dieses undurchschaubaren Konfliktes einen Ukrainer einzuladen, der seine persönliche, authentische Sicht auf die Dinge darlegt. Das ist den Menschen, hier wie überall, zuzumuten. Ob es aber klug ist oder gar hilfreich, in diesem Konflikt, der auch ein Grenzkonflikt ist, noch eine weitere, schier unüberwindbare Grenze zu befestigen, nämlich die in den Köpfen von Europäern und Ukrainern - das sei dahingestellt. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 14.11.2014)