Pink Floyd rudern auf ihrem Abschied "The Endless River" noch einmal gegen ihr eigenes Ende an.


Foto: Columbia

Wien - Die Hammond-Orgel schwillt auf einem Mollakkord. Manchmal reißt es den Musiker dahinter zurück aus dem Sekundenschlaf, dann greift er um. Jetzt noch ein bisschen durchhalten, gleich kommen die Kollegen und holen ihn da raus. Und siehe da, die Fender-Stratocaster gluckst und tiriliert jetzt, man hört das Schlagblatt interstellare Blues-Licks kratzen, gespielt auf sündhaft teuren Saiten. Sie wurden mit Sternenstaub besprüht, aufgelesen während Reisen hin zu erloschenen Sonnen.

Schlagzeug und Bass setzen jetzt ebenfalls ein, schwer und mächtig wogend, doch der Mississippi, Robert Johnson und Muddy Waters sind fern. Das hier ist immer schon der Blues gewesen, der einen erfasst, wenn man von Lebensüberdruss geplagt in einen Raumkreuzer steigt und nach einigen Lichtjahren draufkommt, dass man nicht mehr zurück nach Hause kommen wird. Man hat zu spät umgedreht und der Treibstoff wird nicht reichen.

Pink Floyd, das große altehrwürdige Flaggschiff des britischen Todessehnsuchts- und Ennui-Rock spielt immer schon den Blues. Pink Floyd, das bedeutet seit fünf Jahrzehnten Vergehen, Verzweiflung, Verschwinden.

Es handelt sich beim Werk der Band spätestens nach dem geistigen Durchbrennen ihres frühen Genies Syd Barrett unter der Regentschaft der drogenaffinen Lucy in the Sky with Diamonds in den 1960ern um die größtmögliche Annäherung von Popmusik an den Trauermarsch. Diese Band trug sich immer schon selbst zu Grabe. Gemessenen Schrittes und wie eine Blasmusik darauf bedacht, tempomäßig nicht die Sargträger abzuhängen.

Shine on you crazy Diamond, der Totengesang auf Syd Barrett. Animals als wütender Soundtrack des Untergangs des britischen Empires in der Klassengesellschaft. Schließlich The Wall als erster dokumentierter künstlerischer Selbstmordversuch eines größenwahnsinnig gewordenen Band-Diktators in Gestalt des Bassisten Roger Waters. Danach jahrelanger Zwist und Hader und passiv-aggressives Schmollen - sowie eine einmalige Wiedervereinigung für Band Aid 2005. Schlechte, sehr schlechte, nach hohlem Pathos klingende Alben unter der letztmaligen Führung von Roger Waters wie The Final Cut oder zuletzt The Division Bell, konzipiert von David Gilmour im Jahr 1994.

Ein schrecklich schönes Ende

Die Band ruhte in Unfrieden. Schließlich wieder ein Trauerfall: Keyboarder Rick Wright starb 2008 im Alter von 65 Jahren. Zu dieser Zeit muss Gitarrist und Sänger David Gilmour gemeinsam mit Schlagzeuger Nick Mason die Idee gekommen sein, Wright ein klingendes Denkmal zu errichten. 20 Stunden Material aus den Aufnahme-Sessions zu The Division Bell waren noch da, der Rest bestand aus jahrelanger klangarchitektonischer Ornamentalarbeit.

Mit Ausnahme des wehmütigen, zur überlebensgroßen Versöhnungsgeste im Pathos-Barock ausholenden Abschiedssongs Louder Than Words ist das jetzt palettenweise in den Handel gebrachte Album The Endless River instrumental gehalten. Es zitiert Motive aus alten Songs wie Shine on ... oder Comfortably Numb. Manchmal schrammt es hart am esoterischen Kitsch vorbei.

Einmal ertönt ein supersauberes Saxophon wie man es als Liebesmelodie aus dem Soundtrack von Blade Runner kennt. Bittersüß, zu Tode betrübt werden auf der Klampfe Blue-Notes gezogen. Wir hören sehr viele Echoeffekte, die die Weite erfahrbar machen wollen, die man durchschiffen muss, wenn man sich auf dem Weg nach Nirgendwo befindet.

Dazwischen wildes Wasser, schwere See. Das metallische Kreischen, das man hört, wenn Schiffe in die Tiefe fahren. Kathartischer Lärm. Das Schlagzeug stemmt sich martialisch gegen den Untergang. War am Ende alles vergeblich? Es folgt ein harter Schnitt. War alles etwa nur ein Traum? Das Meer ist jetzt ausgetrocknet, die Reise geht in einem Ruderboot über den Wolken weiter. Dort muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Die Sonne geht unter. Sie könnte auch aufgehen. Ein schrecklich schönes Ende. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 14.11.2014)

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