Eigene Handy-Apps und Telemonitoring sollen den Alltag von Diabetes-Patienten erleichtern.

Foto: lukas friesenbichler

Es liegt natürlich auf der Hand: Immer größere Bereiche unseres alltäglichen Lebens werden von Informationstechnologie beeinflusst, warum also nicht auch unsere medizinische Versorgung? Digitalisierung ist das Zauberwort der heutigen Zeit. Zwar dürften sich Medikamente auch zukünftig kaum über das Internet verabreichen lassen, doch bei der Betreuung gibt es diesbezüglich durchaus Potenzial - vor allem für chronisch kranke Personen, bei denen keine durchgängige Spitalspflege erforderlich ist - so wie bei den meisten Diabetikern.

Hilfreiche Apps

"Einige kleine Firmen und Start-ups sind auf diesem Gebiet bereits tätig", berichtet Thomas Wascher, Internist und Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft. Sie produzieren zum Beispiel Smartphone-Apps zur Berechnung der Kohlenhydrataufnahme. Solche "Insellösungen", meint Wascher, sind hauptsächlich für Typ-I-Diabetiker attraktiv. "Das sind meist im Berufsleben stehende Menschen, die nicht gerne zum Arzt gehen" - aus Zeitmangel.

Ganz anders dagegen sieht es bei vielen Senioren aus. Ältere sind oft nicht mit der modernsten Technik vertraut und haben zudem andere Bedürfnisse. "Die brauchen eine niedrigschwellige Betreuung", wie Wascher betont. Da muss mitunter auch schlicht nur erinnert werden: Hast du dein Insulin schon gespritzt? Der Philips-Konzern hat ein derartiges Konzept entwickelt. Die interaktive Gesundheitsplattform ist Internet-basiert und modular aufgebaut. Das System namens Motiva versteht sich als Lösung für die Begleitung von chronisch Kranken.

Moderne Versorgung

Es ist hauptsächlich ein Betreuungs- und Schulungsprogramm, erläutert die Gesundheitswissenschafterin Barbara Koch, Managerin bei Philips. Die Patienten bekommen unter anderem individuell auf sie zugeschnittene Informationen, wie sie ihren Lebensstil bestmöglich an die Krankheit anpassen können, und welche selbstständig zu treffenden Maßnahmen ihr Wohlbefinden verbessern. Das System kann auch gesundheitsrelevante Daten an medizinisches Fachpersonal weiterleiten. So lässt sich der Zustand des Patienten täglich überwachen, ohne Hausbesuche oder den Besuch einer Ambulanz.

Ein Vorläufer von Motiva wurde bereits Anfang des Jahrtausends bei 168 Personen mit schweren Herzstörungen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien erprobt. Die Testpersonen hatten zuvor einen Herzanfall erlitten. Den Ergebnissen der von Philips mitfinanzierten Studie zufolge haben per Telemonitoring betreute Patienten ein deutlich geringeres Mortalitätsrisiko als solche, deren Nachsorge nach den bislang üblichen Klinikstandards betrieben wird. Bei Letzteren betrug die Sterblichkeit nach einem Jahr 45 Prozent, für die elektronisch Begleiteten lag sie bei 29 Prozent.

Eine weitere Vergleichsgruppe war allerdings telefonisch von Pflegekräften betreut worden, zusätzlich zur Standardbehandlung. Ihre Mortalität betrug sogar nur 27 Prozent (vgl.: Journal of the American College of Cardiology, Bd. 10, S. 1654). Motiva eigne sich auch gut für den langfristigen Einsatz bei Zuckerkranken, sagt Koch. Für nicht technikaffine Senioren lässt sich das Programm via eine sogenannte Set-Top-Box über den Fernseher betreiben. Zur Installation kommt ein Techniker ins Haus, der auch die Handhabung erklärt.

Geregelter Alltag

Der typische Alltag könnte danach wie folgt beginnen: Die Patientin schaltet morgens den Fernseher ein und wird vom System begrüßt. Eventuell stellt Motiva ein paar Fragen zum Befinden. Anschließend folgen die Messungen. Die Dame steigt auf die elektronische Waage und lässt von einem Spezialgerät ihren Blutzuckerwert ermitteln.

Beide Apparate schicken die Daten umgehend über die Box an die betreuende medizinische Einrichtung. Wenn die Messwerte Anlass zur Sorge geben, erfolgt von dort gegebenenfalls Nachfrage, oder es werden Tipps etwa zur Ernährung über spezielle Schulungsvideos vermittelt, erklärt Koch. "Es ist ein Austausch."

Selbstbestimmt leben

Der Ansatz zielt auch auf die Reduzierung von Versorgungskosten. Laut Studie verbrachten die per Telemonitoring betreuten Patienten langfristig im Schnitt sechs Tage weniger im Spital als die telefonisch Begleiteten. Dadurch spart das Gesundheitssystem viel Geld, heißt es aufseiten von Philips. Barbara Koch ergänzt: "Wenn der Patient gelernt hat, selbstbestimmt mit der Erkrankung umzugehen, braucht man das System unter Umständen gar nicht mehr." Wie lange eine Motiva-Betreuung im Einzelfall dauert, hängt neben der medizinischen Indikation natürlich auch von der Finanzierung ab, fügt die Managerin hinzu. Zu konkreten Preisen will der Konzern allerdings keine Angaben machen.

Thomas Wascher kann sich durchaus vorstellen, dass Telemonitoring einen Beitrag zur besseren Versorgung von Diabetikern leisten kann. Entscheidend sei jedoch, wer am anderen Ende der Datenleitung sitzt. Dort muss man den Betreuten persönlich kennen, sonst kann keine gute Beratung stattfinden. "Die Interaktion zwischen Arzt und Patient ist nicht ersetzbar", betont Wascher. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 14.11.2014)