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Kim Jong-un hat ein hohes Ziel: Eine Million Ausländer pro Jahr in Nordkorea.
Solange Sie keinen südkoreanischen Pass besitzen oder als Journalist arbeiten, kommen Sie ganz einfach hinein. Und wenn Sie keine Bibel bei sich führen oder Ihr Touristenvisum auf offener Straße zerreißen, kommen Sie auch wieder hinaus. Nordkorea erlebt gerade den größten Tourismusboom seit der Öffnung des Landes in den späten 1980er-Jahren.
Eine Million Ausländer pro Jahr lautet das hochgesteckte – und derzeit noch utopische – Ziel von Staats- und Parteichef Kim Jong-un. Derzeit sind es zumindest mehr als 100.000 Besucher, vorwiegend aus China, die ihre Ferien in Nordkorea verbringen. In Libyen, Afghanistan und der Republik Moldau sind es weniger.
Auch Westler können mittlerweile zwischen mehreren englischsprachigen Reiseanbietern wählen. Diese bieten auch Touren abseits der abgetrampelten Pfade an. Man muss sich also nicht mehr mit Pjöngjang, den Massenspielen und Kriegsdenkmälern zufriedengeben. Skifahren, Golfen, Wandern – all das ist bereits heute Standard. An der Küste des Landes haben erste Surfer die Wellen geritten, und ausländische Freizeitjogger sind heuer beim beim Pjöngjang-Marathon mitgelaufen.
Andere Länder, andere Sitten
Klar, die Regeln bleiben die gleichen: Das Reiseprogramm ist bis hin zur nachmittäglichen Kaffeepause strengstens durchorganisiert und stets von einem Guide begleitet. Deren Vorgaben sind jedoch simpel: keine Fotos von Soldaten, keine Respektlosigkeiten gegenüber dem "Großen Führer". Ansonsten ist vieles erlaubt: Handys muss man nicht mehr an der chinesischen Grenze abgeben, und mittels 3G-SIM-Karten kann man sogar das von der ägyptischen Orascom errichtete Netzwerk benutzen und auf Instagram Selfies posten.
Kritiker kreiden an, der Tourismusboom solle nur den Durst nach ausländischer Währung stillen – und vermutlich haben sie damit recht. Der russische Nordkorea-Analyst Andrej Lankow geht sogar so weit zu behaupten, dass das Regime nur reiche Westler ködern wolle, um sie exorbitante Preise in extra eingerichteten Touristenghettos bezahlen zu lassen, damit sie dann möglichst bald wieder verschwinden. Nun ja, mit dieser Einstellung stünde Nordkorea zumindest nicht alleine da.
Begegnungen mit der Bevölkerung möglich
In jedem Fall könnte der Tourismussektor – als eines der wenigen von Sanktionen ausgenommenen Felder – der nordkoreanischen Wirtschaft einen sanften Schub verpassen. Bleibt also die Gretchenfrage: Macht man sich als Nordkorea-Reisender zum Komplizen des Systems, wenn man seine Euros in ebenjenem Land ausgibt, das tagtäglich die Menschenrechte mit Füßen tritt?
Ich glaube nicht. Ganz im Gegenteil: Im Idealfall können Sie sich selbst und auch dem nordkoreanischen Volk einen Gefallen tun.
Zuallererst: Die vom Tourismus generierten Summen sind derzeit noch so marginal, dass sie beim Aufbau des Landes keine signifikante Rolle spielen. Und dass Ausländer nach ihren Nordkorea-Ferien die Propaganda des Regimes in ihrer Heimat verbreiten, bleibt auch eher unwahrscheinlich. Der Nutzen für den Staat hält sich also in Grenzen – zumindest bislang.
Andererseits: Was passiert, wenn wirklich so viele Touristen, wie vom Regime erhofft, ins Land strömen? Schon jetzt sind Kontakte mit der Bevölkerung möglich – und je mehr Ausländer kommen, desto alltäglicher werden sie.
Wie mögen wohl die Westberliner Touristen auf die Einheimischen gewirkt haben, als sie für einen Tag "rübermachten" und bei ihren DDR-Besuchen mehr Ostmark verprassten als die dicksten Parteibonzen? Auf Nordkorea umgemünzt bedeutet das auch: Viele Stereotype über das Ausland können Sie entkräften. Wenn Sie freundlich und aufgeschlossen auftreten, werden Sie vielleicht sogar ein echter Advokat Ihres Heimatlandes. Vielleicht sind Sie gar der erste Österreicher, den Ihr Gegenüber kennenlernt. "Wenn Nordkoreaner isoliert leben und nichts über die Außenwelt wissen, wie kann man von ihnen erwarten, echten Wandel zu fordern?", sagte Lankow im Interview mit dem Magazin "The Atlantic".
Keine Statisten in der U-Bahn
Das gegenseitige Kennenlernen sollte jedoch beileibe keine Einbahnstraße sein. Auch Sie als Tourist werden während Ihres Trips merken, dass viele Schlagzeilen aus der Boulevardpresse Unsinn sind: etwas die vom Staat vorgeschriebenen Haarschnitte, die niemand trägt. Oder die angeblich hingerichtete Girlband "Moranbong", die man quicklebendig bei ihren Auftritten im Fernsehen bestaunen kann. Auch das hartnäckige Gerücht, dass alle nordkoreanischen U-Bahn-Pendler vom Regime organisierte Statisten sind, werden Sie als lächerlich verwerfen.
Vor zwei Wochen traf ich eine südkoreanische Studentin, die mir eine spannende Geschichte erzählte: Sie gehörte zur letzten Generation an, die noch während ihrer Schulzeit eine Klassenfahrt nach Nordkorea machen durfte. Heute wäre das undenkbar, doch um die Jahrtausendwende herrschte auf der Koreanischen Halbinsel ein Klima der Annäherung.
Kein Interesse
Noch erstaunlicher war jedoch, dass nur die Hälfte der Reiseplätze vergeben wurde. Lag es am Preis? Nein, der sei billig gewesen. Waren die Eltern besorgt über die Gefahr, die von Nordkorea ausgeht? Ach, i wo. "Unter uns Schülern hat sich einfach niemand dafür interessiert", sagte die Studentin achselzuckend.
Wenn sie heute über ihren Ausflug nachdenkt, erscheine ihr vieles komisch: die leeren Straßen, die Uniformen der nordkoreanischen Schüler, auch seien alle Gleichaltrigen kleiner gewesen. Dennoch habe sie nach dem Trip angefangen, anders über eine Wiedervereinigung ihres Heimatlandes zu denken. Der Wendepunkt kam mit einem überraschenden Gespräch beim Wandern – ihrem ersten mit einem Nordkoreaner überhaupt. "Da wurde mir erstmals so richtig bewusst: Am Ende gehören wir doch zum selben Volk." (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 14.11.2014)