Spricht man Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf deren Arbeitsvertrag an, kommen postwendend Antworten, die sich auf Verdienst, Arbeitszeiten, Pensionsregelungen oder Ähnliches beziehen. Fragt man nach dem psychologischen Arbeitsvertrag, ist meist Verwunderung oder die Gegenfrage "Was soll das denn sein?" die häufigste Reaktion. Dabei ist der psychologische Arbeitsvertrag von entscheidender Bedeutung für Arbeitszufriedenheit und damit auch für Gesundheit und Lebensqualität. Dieser "Vertrag" beschreibt die wechselseitigen Erwartungen und Angebote von Mitarbeitenden und Unternehmen, die über die im formalen, juristischen Vertrag formulierten gegenseitigen Verpflichtungen hinausgehen.

Im Idealfall wird der psychologische Arbeitsvertrag von beiden Vertragspartnern eingehalten. Die Mitarbeiter haben das Gefühl, dass sie für ihre Arbeitsleistung eine gerechte Gegenleistung erhalten: Entlohnung, sicherer Arbeitsplatz, Sinn durch interessante Tätigkeit, Wertschätzung, Entwicklungsmöglichkeiten, Mitbestimmungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber erwartet sich als Gegenleistung Leistungserbringung, Motivation und Engagement, Loyalität, Zurückstellen von Eigeninteressen, Flexibilität und Eigenverantwortung, Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten zu erweitern.

Profit fürs Unternehmen

Hohe Arbeitszufriedenheit, Engagement und mehr Gesundheit sind der Lohn für die Mitarbeiter. Davon profitiert natürlich auch das Unternehmen. Werden diese Vereinbarungen gebrochen, sei es vom Arbeitgeber, sei es von den Mitarbeitern, hat das negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Dabei gibt es einerseits Verletzungen, die eher nachvollziehbar sind und bei entsprechender Kommunikation auch auf Verständnis stoßen, andererseits aber auch solche, die vom Vertragspartner als "böswillig" und nicht tolerierbar angesehen werden.

Wird der psychologische Arbeitsvertrag gebrochen, erzeugt dies nur allzu leicht Formen innerer Kündigung. Die Folgen gehen vom Dienst nach Vorschrift bis hin zu Diebstahl, Manipulation der Arbeitszeiten, Absentismus. Der große Einfluss von Führungskräften als Repräsentanten der Organisation auf die positive Gestaltung des psychologischen Vertrags ist in der Forschung vielfach dokumentiert. Sie können Wertschätzung und Anerkennung vermitteln, die Arbeit gerecht verteilen und für ein positives Teamklima sorgen. Aber was können Mitarbeiter beitragen?

Positive Beziehung

Ist die Beziehung zum Arbeitgeber prinzipiell positiv, aber momentan durch als ungerecht empfundene Veränderungen belastet, dann kann es hilfreich sein, den Blick nicht nur auf die erlittenen Nachteile zu richten, sondern sich die Fragen zu stellen: Was läuft gut? Worauf kann ich mich bei meinem Unternehmen verlassen? Was macht meine Arbeit interessant? Wovon muss ich mich verabschieden? Welche Vereinbarungen haben keine Gültigkeit mehr? Wenn es gelingt, auf der Basis der neuen Arbeitssituation den eigenen psychologischen Vertrag neu zu formulieren, das Gefühl zu entwickeln, dass Geben und Nehmen trotzdem in Balance sind, können Arbeitsfreude und Arbeitszufriedenheit wieder erlebt werden. (DER STANDARD, 15./16.11.2014)