Helene Winterstein-Kambersky: eitel und experimentierfreudig. Nach ihren geheimen Rezepten wird bis heute in Österreich produziert.

Foto: Winterstein Cosmetics

Haben Sie sich schon einmal schwarze Schuhcreme auf die Wimpern geschmiert? Was einem heute die Augen verdrehen lässt, war in den 1920er- und 1930er-Jahren für Frauen geübte Praxis für einen verführerischen Augenaufschlag – der freilich selten von langer Dauer war. Körperwärme, Schweiß oder Tränen ließen die Farbe von den Klimperwimpern bald zerrinnen – bis nur noch wenige schmückende schwarze Spuren auf dem Gesicht der Trägerin davon zeugten. Mit Produkten aus Kohlenstaub und Vaseline verhielt es sich nicht viel anders.

Auch zum Leidwesen der Wienerin Helene Winterstein-Kambersky (1900–1966), der bei ihren Gesangsauftritten in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter dem Einfluss des Scheinwerferlichts die schwarze Pracht von den Augen schmolz. "Und meine Großmutter war sehr eitel", erzählt Enkel Marcus Kambersky, der heute auf ihren Spuren wandelt. Allerdings nicht als Sänger, sondern als Chef von La Bella Nussy, eines in Familienhand befindlichen kleinen Betriebs, der – erraten – Wimperntusche herstellt.

Nussy am Werk

Helene Winterstein-Kambersky war nicht nur eitel, sondern auch experimentierfreudig. Mit ihrem Bruder, einem Chemiker, mixte sie in ihrer Küche in der Wiener Hegelgasse so lange diverse Substanzen miteinander, bis sie hatte, was sie wollte: wasserfeste Wimperntusche, weltweit die erste ihrer Art, die ihre Trägerin nicht in ein Monster verwandelte. Nach einer folgenschweren Bleivergiftung im Rollstuhl sitzend, verursacht von Möbellacken in ihrer Wohnung, gründete die Sängerin 1936 ihr eigenes Kosmetikunternehmen und benannte es nach ihrem Künstlernamen Nussy.

Krise und Neuanfang

Als Marcus Kambersky 1995 die Leitung übernahm – Firmeninhaberin ist seine Mutter Edith – sah er sich zunächst mit heftigen Turbulenzen konfrontiert. Durch den Balkankonflikt brach der wichtige Markt Kroatien weg, wo die Firma eine Monopolstellung innehatte; zudem verdrängten Parfümerieketten zunehmend kleine Kosmetikhändler, die La-Bella-Nussy-Produkte führten. Doch schnell war ein Ausweg gefunden.

"Das Internet hat uns das Leben gerettet", erinnert sich Kambersky an die schwierige Zeit. Der Produktvertrieb wurde weitgehend von der analogen in die digitale Welt gezogen. 60 Prozent des Jahresumsatzes – zu dem er keine Details nennt – werden heute über den Onlinekanal lukriert, ohne Vorauskasse oder lästigen Newsletter, wie er betont.

Geheime Rezepte

Der Rest wird via Generalvertretung in Deutschland, Arzneiwaren- und Friseurbedarfgroßhandel verkauft. Produziert wird wie zu Großmutters Zeiten in der Hinterbrühl in Niederösterreich – nach altem Rezept, das natürlich geheim bleibt.

Der feine Duft der Mascaracreme verrät, dass Bienenwachs enthalten ist. Auch Rizinus- und Leinöl, ist Ehefrau Katharina Kambersky zu entlocken, das sei gut für die Wimpernhärchen. "Wir verwenden Rohstoffe, die aus nächster Nähe kommen", sagt sie, "und können so eine niedrige CO2-Bilanz aufweisen." Für die Herstellung wird auf Stammleihpersonal zurückgegriffen.

Treue Kunden

An die 100.000 Privatkundinnen weltweit nutzen den Kamberskys zufolge ihre Produkte, darunter viele Künstler und Kundinnen, die dem Unternehmen schon seit mehr als 70 Jahren die Treue halten – wie etwa eine Teilnehmerin der Olympiade 1936 in Berlin. Die Werbetrommel wird nur ganz leise gerührt. "Wenn die Mutter unsere Kosmetik verwendet, nutzt diese meist auch die Tochter. Oder die Großmutter teilt mit der Enkelin", sagt Katharina Kambersky. Mundpropaganda sei die ehrlichste Werbung.

Wenn das Geschäft so gut läuft wie geschmiert, gibt es da keine Expansionsgelüste? "Wir wollen gesund bleiben", sagen die Kamberskys und meinen das in mehrfacher Hinsicht. Der Privatsektor via Internet wachse zum Glück beständig. Der größte Gewinn für beide bestehe jedoch in ihrer Unabhängigkeit. "Wir müssen bei niemanden buckeln, dass wir in deren Kette gelistet werden." Und: "Was haben wir von mehr Umsatz, wenn wir dann keine Zeit mehr für die Familie haben?" Ein Weg, mit dem auch der neunjährige Sohn zufrieden zu sein scheint. Sein Berufsziel: Spitzensportler und "Wimperntuscheverkäufer". (Karin Tzschentke, DER STANDARD, 14.11.2014)