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Zerstörungen in der Kirche von Maalula in Syrien, angeblich der ältesten der Welt. Die griechisch-katholischen Bewohner sprechen Aramäisch wie einst Jesus. Im syrischen Bürgerkrieg wurde Maalula zunächst von Islamisten besetzt und geplündert, dann von Regierungstruppen zurückerobert.

Foto: Reuters/Sanandiki

Das Christentum mitsamt seiner Vielfalt an alten orientalischen Kirchen ist am Ort seiner Entstehung in Syrien und dem Irak in höchster Gefahr. Das wird beim kommenden Papstbesuch in Istanbul und Ankara ein Thema sein, ebenso wie die Situation der Christen in der Türkei.

Der Sitz des syrisch-orthodoxen Bischofs von Istanbul, Mor Philoxenos Yusuf Cetin, liegt in Beyoglu, einem Viertel des alten Istanbul, das soeben der Modernisierung anheimfällt. Hinter der syrisch-orthodoxen Kirche aus dem 19. Jahrhundert schieben sich schon die weltweit gleichen Stahl-Glas-Hochhäuser heran. Der Bischof hat hier in Istanbul nur eine kleine Gemeinde, aber sie ist uralt. Genauer gesagt, "eine der ältesten Kirchen auf der Welt", wie der Mitarbeiter des Bischofs sagt. Mitglieder der Gemeinde, die im Südostanatolien, Syrien und im Nordirak siedeln (oder vielmehr: siedelten), hören die Liturgie auf Aramäisch. Das ist die Sprache, die Jesus gesprochen hat.

"Großes Begräbnis"

Das Christentum hat sich in diesem Raum ursprünglich ausgebreitet. Paulus hat hier missioniert. Die ersten christianisierten Nicht-Juden waren Syrer. Diese Tradition ist in höchster Gefahr, denn der syrische Bürgerkrieg und das Wüten der Terrormiliz "Islamischer Staat" und anderer islamistischer Gruppen in Syrien und im Irak haben das dort ohnehin bedrängte Christentum schon weitgehend ausgelöscht. "Der christlichen Bevölkerung im Nahen Osten droht ein großes Begräbnis", sagt Erzbischof Cetin.

Das befürchten alle kirchlichen Gesprächspartner in Istanbul - von den greisen Würdenträgern der verschiedenen orientalischen Kirchen bis zu jüngeren Patres, die vor Ort in der Flüchtlingsbetreuung engagiert sind.

Eroberungszüge überdauert

Das orientalische Christentum ist von verwirrender Vielfalt: syrisch-orthodox, armenisch-orthodox, antiochenisch-orthodox, griechisch-orthodox. Mit der römisch-katholischen Kirche uniert: chaldäisch-katholisch, melkitisch griechisch-katholisch, assyrisch, armenisch-katholisch ...

Etliche dieser Kirchen haben sich schon vor dem großen Schisma zwischen der (west-)römischen Kirche und der Orthodoxie (1054) abgespalten. Sie haben die Eroberungszüge des jungen Islam und den Mongolensturm im Mittelalter, die türkischen Massaker an den Armeniern und den Syrisch-Orthodoxen im Ersten Weltkrieg, die Vertreibung der Griechen aus der Türkei nach 1918 und 1955 durch das große Pogrom in Istanbul überdauert. Nun haben der syrische Bürgerkrieg und die Erfolge des "Islamischen Staates" (IS) und der Al-Nousra-Brigaden zu großflächiger Vertreibung geführt, begleitet von Gräueltaten wie Kreuzigungen und Enthauptungen. Aktuelle Zahlen sind schwierig zu bekommen, aber von den immerhin zehn Prozent Christen in Syrien - etwa zwei Millionen Gläubige - dürfte ein beträchtlicher Teil vertrieben (zum Teil im Land selbst) oder getötet worden sein. Der Irak wiederum sei "so gut wie christenfrei", heißt es.

Der Patriarch von "Konstantinopel"

Christen sind nicht die alleinigen Opfer. "Muslime töten dort Muslime, die Christen leiden aber auch darunter, die Armenier und die Assyrer werden umgebracht. Und wir können nicht viel tun", sagt Patriarchalvikar Aram Atesyan von der armenisch-apostolischen Kirche. Apostolisch, weil die Gründung auf den Apostel Thaddäus zurückgeführt wird. Das Königreich Armenien nahm als erstes im Jahr 301 das Christentum als Staatsreligion an. Im Gottesdienst wird die armenische Sprache des vierten Jahrhunderts verwendet. Diese uralte Tradition, über die beinahe beiläufig gesprochen wird, ist in jedem der Gespräche präsent.

Fazit: "Die Christen werden in dem Teil der Welt verfolgt, wo das Christentum erstmals erblühte - und sie werden weniger und weniger", sagt Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer ökumenischer Patriarch von Konstantinopel. Aber auch die religiöse Vielfalt sei bedroht: Was jetzt etwa im Irak geschehe, sei die "Entwurzelung einer ganzen Zivilisation".

Misstrauen gegenüber Ökumene

Bartholomaios I. blickt von seinem Sitz, dem "Phanar" im Istanbuler Stadtteil Fener, auf das Goldene Horn. Hier wird er Ende November Papst Franziskus empfangen, wie schon zuvor Papst Benedikt. Bartholomaios ist griechisch-orthodoxer, zugleich aber "ökumenischer" Patriarch von Konstantinopel. Das bedeutet, dass er das - nominelle - Oberhaupt aller 350 Millionen Orthodoxen in der Welt ist. Die ziemlich nationalistisch ausgerichteten griechisch-nationalen, serbischen und russischen Orthodoxien erkennen diese historisch bedingte Stellung jedoch nicht wirklich an. Sie betrachten auch misstrauisch die Annäherung von römisch-katholischer Kirche und ökumenischem Patriarchat. Seit Papst Paul VI. im Jahr 1964 den von Kreuzfahrern geraubten Kopf des Apostels Andreas zurückgab, wird es eine Politik der Annäherung verfolgt.

Leises Lob für Erdogan

Die "Wiedervereinigung" ist ein latentes Thema, um das sich auch Kardinal Schönborn kümmert, aber "sie wird nicht morgen kommen", sagt Bartholomaios. Auch nicht übermorgen, denn jetzt geht es ums Überleben. Was tun gegen die Auslöschung des Christentums im Nahen und Mittleren Osten? Beim Türkeibesuch von Franziskus - er trifft auch Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara - wird das zweifellos ein Thema sein. Spekulieren kann man darüber, dass sich Bartholomaios etwas vom Einfluss des Papstes auf die USA und indirekt auch auf die Türkei verspricht.

Was die Vereinigten Staaten und den Westen betrifft, kann man allerdings überaus Kritisches hören: "Es ist traurig, dass die USA und der Westen so viel tun, damit das Christentum ausstirbt", sagt der syrisch-orthodoxe Erzbischof Cetin. Und ein jüngerer europäischer Pater aus der Flüchtlingshilfe stößt in einer Diskussion hitzig hervor: "Es ist zu einfach, wenn man sagt, das Christentum im Nahen Osten wird durch die Islamisten ausradiert - die Politik des Westens ist auch mitverantwortlich. Dieses Monster ist ein Kind der USA!" Soll heißen: Nur durch den Einmarsch der USA im Irak 2003 und die falsche Politik im syrischen Bürgerkrieg habe überhaupt die IS so stark werden können.

"Religiöse Minderheiten zur Kenntnis genommen"

All diese Gespräche finden in einer Türkei statt, in der Präsident Erdogan eine bewusste, unablässige (Re-)Islamisierung betreibt. Was heißt das für die christlichen Kirchen, für die 100.000 Christen unter den Dutzenden Millionen sunnitischen Türken? Die Aussagen der Würdenträger sind überraschend positiv: Es sei noch viel zu tun, "aber heute fühlen wir uns viel besser als vor wenigen Jahren, denn Erdogan hat die religiösen Minderheiten wenigstens zur Kenntnis genommen", sagt Bartholomaios. Erdogan hat vor allem den Titel "Patriarch von Konstantinopel" akzeptiert, was den Würdenträger innerhalb der Orthodoxie aufwertet. Noch vor wenigen Jahren wurde er wegen des verpönten "Konstantinopel" behördlich verfolgt.

Erdogan tut das vielleicht auch deshalb, weil er sich als Nachfolger der Sultane sieht, die relativ tolerant waren. Allerdings spielt Erdogan ein Spiel auch mit den eigenen Radikalen, die etwa die Hagia Sophia - einst die größte Kirche der Christenheit, dann Moschee, jetzt Museum - wieder in eine Moschee zurückwidmen wollen.

Einer der Pater fasst die Situation philosophisch zusammen: "Unsere Kirche war klein, als das römische Imperium groß war. 2000 Jahre später sind wir wieder eine Minderheit wie am Anfang. Wir haben jetzt mehr Schwierigkeiten, aber wir versuchen, weiterzumachen."(Hans Rauscher aus Istanbul, DER STANDARD, 15.11.2014)