
Für Österreichs Karate-Coach Herbert Hinterecker wäre Serji Solomonyan "unser stärkstes Pferd im Stall".
Wien - Der Blick ist hochkonzentriert. Das leichte Lächeln im Gesicht ist Serji Solomonyan auch dann nicht zu nehmen, als Trainer Herbert Hinterecker wie vorher vereinbart zwei Körpertreffer landet. Serji Solomonyan steckt diese locker weg, richtet sich seinen schwarzen Gürtel zurecht und geht in die Offensive. Drei Schritte Anlauf, und er wirbelt mit einer Drehung um die eigene Achse durch die Luft, als wären die Gesetze der Schwerkraft eine Illusion. Der durchgestreckte Fuß steuert zielgerecht wie in einem Martial-Arts-Film auf den Kopf des Trainers zu. Aber es ist nur eine Übung. Solomonyan zieht den Fuß ein und fällt ohne Treffer zu Boden.
"Serji ist unser stärkstes Pferd im Stall", sagt Coach Hinterecker, der seit 22 Jahren Karate lehrt. "Mit ihm hätten wir bei einer Europameisterschaft Medaillenchancen." Solomonyan ist in seiner Kategorie im Vollkontakt-Karate Shinkyokushin, einer der härtesten Karatearten, zweifacher Staatsmeister.
"Echter Österreicher"
Aber auch wenn er bei Bewerben in Österreich Erfolge sammelte: "Echter Österreicher" - wie die Krone den eingebürgerten Ivica Vastic 1998 erst nach einem Tor bei der Fußball-WM bezeichnete - ist Solomonyan nicht. Solomonyan ist Asylwerber. Und als solcher darf er zu internationalen Turnieren wie Welt- und Europameisterschaften nicht ausreisen.
Im Dezember 2011 floh Solomonyan mit seiner Mutter aus seiner Heimat Georgien nach Österreich. "Mein Vater und ich waren politisch in der Opposition aktiv", erzählt der 23-Jährige in fast perfektem Deutsch. Laut Solomonyan wurde der Vater Opfer seines politischen Engagements und wurde getötet. Solomonyan, der in Tiflis Software-Engineering studierte, fühlte sich nicht mehr sicher. "Ich wurde geschlagen, meine Mutter wurde geschlagen." Die Flucht endete in einer Flüchtlingsunterkunft in Natschbach im südlichen Niederösterreich. Seit Dezember 2011 läuft das Asylverfahren.
Talent erkannt
Solomonyan suchte nach der Ankunft mit Unterstützung der Caritas um Deutschkurse an. Dazu versuchte er, einen Karate-Verein zu finden. Er hatte zuvor erfolgreich für Georgien Wettkämpfe bestritten. Solomonyan suchte im Internet. "Ich konnte noch kein Deutsch, da habe ich einen russisch klingenden Namen gefunden. Dem habe ich erklärt, dass ich kämpfen will."
Über Umwege kam Solomonyan zu Marek Kubek, als zweifacher Vizeeuropameister ein Kapazunder im Vollkontakt-Karate in Österreich. Der erkannte sein Talent. Solomonyans erster Wettbewerb waren die Austrian Open 2012. Die deutschen Anweisungen des Trainers verstand er nicht. Also schickte er den ersten Gegner sicherheitshalber nach ein paar Sekunden auf die Matte. "Der Trainer hat gesagt: 'Serji, du bist Killer.' Das habe ich verstanden. Killer ist international."
320 Euro monatlich
Solomonyan ist 2013 in eine private Unterkunft nach Wiener Neustadt gezogen. Er bekommt als Asylwerber 320 Euro monatlich, dazu Hilfe von der Caritas. Damit bestreitet er sein Leben. Viel lieber würde er selbst Geld verdienen wollen. Solomonyan studiert Rechts- und Politikwissenschaften in Wien, spricht fünf Sprachen. Zur Verbesserung nimmt er bei einem Lehrer weiter Deutschstunden - und lehrt im Austausch kostenlos Russisch. "Ich hätte einen Job bei der Dokumentenkontrolle am Flughafen Wien bekommen. Aber als ich beim Bewerbungsgespräch gesagt habe, dass ich Asylwerber bin, war es das." Asylwerber sind weitgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Im Juni 2014 wurde per Ministerratsbeschluss 21 Sportlern mit Potenzial die Staatsbürgerschaft verliehen. Solomonyan hat darauf keine Chance: Karate ist nicht olympisch, seine Vollkontakt-Karateart noch dazu nicht im österreichischen Karatebund organisiert. Darauf hat er es auch nicht abgesehen. "Asyl und Sport sind getrennte Sachen." Die Statistik ist aber ernüchternd: Nur vier von 213 Asylansuchen von Georgiern wurden 2013 in Österreich positiv entschieden.
Solomonyan würde es vorerst schon reichen, wenn er arbeiten und ausreisen dürfte, um 2015 bei der Shinkyokushin-EM antreten zu können. "Mit österreichischer Flagge am Kampfanzug." (David Krutzler, DER STANDARD, 15.11.2014)