Die Zahl der jugendlichen Häftlinge ist seit Sommer 2013, als ein 14-Jähriger in U-Haft vergewaltigt wurde, deutlich gesunken. Mit ein Grund: die Sozialnetzkonferenz.

Robert Newald

Wien - Bei der Enthaftung des 14-jährigen Terrorverdächtigen in St. Pölten diese Woche hatte der junge Tatverdächtige ein Wörtchen mitzureden - im Rahmen einer sogenannten Sozialnetzkonferenz. Bei diesem Prozedere sollen junge Straftäter mit Menschen ihres sozialen Umfelds - das können Verwandte, Freunde, Lehrer, ihnen wichtigen Personen sein - einen Zukunftsplan und eine sinnvolle Tagesstruktur erarbeiten.

Dieses Prozedere ist seit 1. November bundesweit Teil des Regelbetriebs der österreichischen Justiz - und wird für jugendliche Straffällige angewandt. Die bundesweite Umsetzung ist ein Erfolg für den Verein Neustart, dessen Geschäftsführer Christoph Koss meint, Neustart habe international erstmals das Konzept auf U-Häftlinge angewandt. Und es ist ein Erfolg für die Unruhe-Privatstiftung, die jährlich soziale Innovationen mit der Sozialmarie auszeichnet. Im Mai 2014 gewann das Sozialnetzkonferenz-Projekt.

"Aha-Erlebnis" zu Beginn

Gleich ganz am Beginn des Prozederes erwarte den Jugendlichen meist ein Aha-Erlebnis, sagte Koss von Neustart am Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz: dass es da Menschen im Umfeld gibt, die dem Jugendlichen helfen wollen. "Diese Netzwerke sind meist sogar hochmotiviert", sagte Koss.

Sozialarbeiter moderieren die Erstellung des Zukunftsplans nur. Dieser wird dann dem Richter vorgelegt, der anhand dessen über eine Enthaftung entscheidet.

91 jugendliche Häftlinge

Mit Stand Freitag befanden sich nach Angaben des Justizministeriums 91 Jugendliche in Haft. Als im Sommer 2013 ein Jugendlicher in U-Haft in Wien von einem Mithäftling vergewaltigt wurde, kündigte Justizminister Wolfgang Brandstetter an, die Haftzahl zu verringern. Damals saßen rund 140 Jugendliche hinter Gittern.

650.000 Euro sind für ein Jahr Laufzeit der Sozialnetzkonferenz im Regelbetrieb vom Justizministerium budgetiert. Auf eine Enthaftung folgt eine enge Betreuung durch die Bewährungshilfe mit mehreren Besuchen pro Woche.

Enthaftungen in zwei Dritteln der Fälle

Schon seit Anfang 2012 lief ein Modellversuch. Von August 2013 bis 31. Oktober 2014 wurden laut Neustart 64 Sozialnetzkonferenzen für Jugendliche in U-Haft durchgeführt. Bei 65 Prozent führten diese zur Enthaftung. Fünf Jugendliche wurden rückfällig. "Acht Prozent Rückfälligkeitsquote ist bei Jugendlichen "mehr als herzeigbar", sagt Koss. Binnen eines Jahres sollen künftig 100 Sozialnetzkonferenzen ermöglicht werden. Circa 400 Jugendliche im Jahr kommen in Haft, damit könnte also jeder Vierte ein Angebot dazu erhalten.

Dass soziale Innovationen, die mit dem Preis Sozialmarie ausgezeichnet werden, so viel Beachtung in der Politik finden, ist eher die Ausnahme: Bei einer Befragung gaben lediglich vier von 72 bisherigen Preisträgern an, ihr Thema sei von der Politik aufgegriffen worden. Als motivierend sei die Auszeichnung aber von der Mehrheit wahrgenommen worden. Die Ausschreibung für 2015 hat diese Woche begonnen. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 15.11.2014)