Die Entwicklungen der nächsten Tage lassen eine Rückkehr von US-Bodentruppen in den Irak wahrscheinlicher werden: gerade weil, wie Generalstabschef Martin Dempsey am Wochenende in Bagdad versicherte, erstmals eine Wende im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Sicht ist. Der IS konnten Verluste beigebracht werden, die sie nicht nur an den Rändern - wie in Kobane -, sondern auch im Herzen ihres Herrschaftsgebiets in Bedrängnis bringen. Die Rückeroberung von Baiji, wenn sie nachhaltig ist, treibt einen empfindlichen Keil in ihre Nord-Süd-Verbindungsroute im Irak.

Euphorie ließen die Worte Dempseys aber dennoch nicht aufkommen: 80.000 Mann - gut ausgebildet und gut geführt - brauchte es, um das verlorene Territorium, vor allem die Stadt Mossul, wieder zurückzugewinnen. Die Ziffern sind an sich kein Problem, die bringt die irakische Armee. In Mossul und Umgebung waren zehntausende irakische Soldaten - die im Juni von etwa 1200 IS-Leuten in die Flucht geschlagen wurden.

Von der amerikanischen "Berater"-Armee im Irak - im Moment 1400, erweiterbar auf 3100 - sollte man sich keine Wunder erwarten. In der irakischen Armee stecken bereits viele Jahre und viele Millionen Dollar Ausbildung, Beratung und Ausrüstung. Militärische Beobachter fragen sich, warum heute das gelingen sollte, was in den vergangenen zehn Jahren misslungen ist: eine effiziente und loyale nationale irakische Armee aufzubauen. Dazu hätte auch ein politischer Ausgleich zwischen den verfeindeten Gruppen der irakischen Gesellschaft gehört, und der ist nicht nur ausgeblieben, sondern die Spaltung wurde besonders in der zweiten Amtszeit von Premier Nuri al-Maliki nur noch weiter verschärft.

Allerdings ist Malikis Nachfolger Haidar al-Abadi nun mit einer Vehemenz in die korrupten Armeestrukturen hineingefahren, die Bewunderung abnötigt. Vom Generalstabschef abwärts wurden Kommandanten ersetzt, schon zuvor hatte er das "Büro des Oberkommandanten" - über das Maliki seine Herrschaft ausübte - aufgelöst. Aber die Reform der Sicherheitskräfte - auch das Innenministerium ist eine Baustelle - wird, wenn sie jemals gelingt, dennoch Jahre dauern. So lange kann die Bekämpfung der IS nicht warten. Für den entscheidenden Stoß vorwärts wird es wahrscheinlich US-Bodentruppen brauchen. Pentagonchef Chuck Hagel hält damit nicht mehr hinter dem Berg. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.11.2014)