Europaparlament in Brüssel am Mittwoch vergangener Woche: Der neue EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker tut, was seine Vorgänger trotz aktueller Anlässe nie taten. Er tritt um 15.30 Uhr vor das EU-Parlament, um eine Erklärung zu den Vorwürfen abzugeben, er trage die Hauptschuld am Ausbau Luxenburgs zu einer der großen Steueroasen für transnationale Unternehmen.

Sehen wir einmal davon ab, dass sich nur wenige österreichische Tageszeitungen diesem Thema gewidmet haben. Auch die ZiB 2 behandelte, ihrem üblichen Niveau entsprechend, dieses Ereignis in Brüssel. Und viele Zuseher mögen damit ganz zufrieden gewesen sein. Wer aber im Europaparlament dem Juncker-Auftritt und der folgenden Debatte beiwohnte und am nächsten Tag - wieder in Wien - die ZiB 2 vom Vortag archivarisch besichtigte, konnte nur zu einem einzigen Schluss kommen: Das war glatte mediale Manipulation.

Die Verantwortlichen verwandelten die Brüsseler Story in eine - zugegeben quotenträchtigere - Geschichte über die Zerrissenheit der rechts-rechten Gruppierungen im Europäischen Parlament.

Da sah man Beppe Grillo (Italien), Marine Le Pen (Frankreich), Nigel Farage (Großbritannien) und Harald Vilimsky (Österreich). Nur, weder Grillo noch Le Pen noch Farage waren an diesem Tag im Parlament anwesend, die ZiB 2 suggerierte deren Anwesenheit, weil die meisten Zuseher ohnehin nicht wissen konnten, dass einige der Aufnahmen gar nicht vom Brüsseler Schauplatz stammten, sondern Aufnahmen vom zweiten Parlamentssitz in Strassburg waren. Und der Zusammenschnitt hatte jenen Effekt, den die ZiB-Macher kennen müssten. Zerstrittenheit ist in diesem Fall kein Nachteil - nach dem Grundsatz "Getrennt kämpfen, vereint gewinnen".

Besonders peinlich und vom professionellen Standpunkt angreifbar die Nichterwähnung der Abwesenheit des britischen EU-Gegners. Genau das wurde vom belgischen Liberalen und ehemaligen Premier Guy Verhofstadt heftig kritisiert, und man hätte daraus eine die "politische Rechte" viel treffendere Sequenz schneiden können. Verhofstadt warf Farage nämlich vor, immer dann zu fehlen, wenn es um Steuerhinterziehung und finanzielle Versteckspiele gehe. Der britische EU-Gegner sei nämlich lange Jahre Rohstoffhändler und Börsenspekulant gewesen. Davon sah und hörte man in der ZiB kein einziges Wort.

Man kann natürlich nicht überall gleichzeitig sein - an den Schauplätzen und vor den TV-Schirmen. Aber die Seriosität der ZiB 2 wäre zu bezweifeln, sollten derartige Manipulationen öfter passieren.

Europa ist ohnehin eine sperrige Materie. Aber just an diesem Mittwoch bot die EU hochklassiges Theater mit Inhalten. Denn die Sozialdemokraten (die österreichische Delegation inklusive) rangen sich zur Unterstützung Junckers durch, und selbst die Linke (mit den Griechen und den Deutschen) zog ihr anfängliches Misstrauen gegen den Kommissionspräsidenten zurück. Die Begründung: Ein Sturz Junckers würde den "zerrissenen Rechten" (O-Ton ORF) nützen. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 17.11.2014)