Wien - Das Urteil der Sitznachbarn fiel gleich nach dem Schlussakkord: Beethoven gefiel besser als zuvor Haydn. Im Kleinen wiederholte sich da anscheinend das Urteil der Geschichte oder besser das gängige Vorurteil: Auf der einen Seite der gemütliche, natürlich großartige, aber nun einmal nicht besonders aufregende "Papa" Haydn, auf der anderen der kraftvolle, individualistische und ausdrucksvolle "Titan" Beethoven. Punktum?
Nein, zumal über die Idee eines evolutionären Fortschritts auch in der Musik keineswegs mehr Übereinkunft besteht. Versteht man große Komponisten aus ihrer Zeit und Welt heraus und aus ihrer Beziehung dazu, dann begegnen einander Haydn und Beethoven auf Augenhöhe; und man weiß, wie sehr Letzterer zu Ersterem seinerzeit aufgeblickt hat.
Was geschah da also beim philharmonischen Abonnementkonzert im Musikverein? Haydns D-Dur-Symphonie Hob. 1:101 (Die Uhr) erklang unter Herbert Blomstedt, fast vollkommen akkurat, mit Esprit und - im aufbrausenden Moll-Mittelteil des zweiten Satzes - gar mit einem deutlich hervorgekehrten ästhetischen Bruch.
Temperiert wie Kuvertüre
Doch was Haydn an ähnlichen Verunsicherungen im Detail unterbringt, verschwand hinter warmem, dabei wie Kuvertüre temperiertem Wohlklang. So entstand kaum mehr als eine immer noch unterhaltsame Form von Fadesse - oder aber umgekehrt. Der böse Ausspruch Gustav Mahlers, hinter "Tradition" stehe nur Bequemlichkeit und Schlamperei, wäre hier ein zu schweres Geschütz. Aber doch schien es, als würde der sprühende und so vielgestaltige Geist dieser Musik hinter dem wunderbar gepflegten Spiel tendenziell verschwinden.
Ganz konträr dann Beethovens Dritte (Eroica): Hier war das "Con brio" von Anfang an präsent (im Gegensatz zum etwas unentschlossenen Einsatz bei Haydn), machten schon die straffen Tempi jenseits der Wohlfühlzone und sehr nahe an Beethovens eigenen Metronomangaben eine Dringlichkeit deutlich, die sich auf allen Ebenen fortsetzte: Jeder längere Ton oder Klang hatte eine eigene innere Dynamik, schwang ein und aus, kurz: entfaltete eine Energie, die die gesamte Wiedergabe schlüssig und authentisch machte.
Blomstedt - Jahrgang 1927 - schien sich sichtbar zu verjüngen, als er die wilden Akzente, die tiefen Furchen des Werks ebenso deutlich machte wie seinen stürmischen Optimismus. Zu Recht erntete seine Beethoven-Interpretation Standing Ovations, musste der Dirigent gar nochmals auf die Bühne zurückkommen, als sie das Orchester bereits verlassen hatte. Die Uhr zeigte da immer noch zehn Minuten weniger als geplant. (Daniel Ender, DER STANDARD, 17.11.2014)