In ein Kostüm mit Brustpanzer und in die Rolle der Identifikationsfigur gepresst: Jennifer Lawrence mit Liam Hemsworth im neuen Teil von "Die Tribute von Panem: Mockingjay".

foto: constantin film

Wien – Das erste Bild zeigt das Gesicht einer jungen Frau in Großaufnahme. Es ist von Angst gezeichnet, die Frau kauert auf der Erde, presst ihren Körper gegen die Mauer eines dunklen Gewölbes. Sie weiß nicht, was im nächsten Augenblick mit ihr geschieht. Die Kämpferin ist am Boden.

Auch am Ende dieses Films ist ihr Gesicht angsterfüllt. Aus den rot unterlaufenen Augen fließen erneut Tränen, doch diesmal gelten sie jemand anderem: Nun geht sie aufrechten Schrittes ihrem Ziel, einem grell erleuchteten Raum, entgegen. Sie weiß, dass sie dem Anblick, der sie erwartet, standhalten muss. Für Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) gibt es kein Davonlaufen mehr, sondern nur noch den Blick nach vorne.

Zwischen diesen beiden Bildern liegen eine Nation im Krieg, grausame Unterdrückung und erbitterter Widerstand, imperiale Selbstherrlichkeit und rebellische Selbstlosigkeit - und die Geschichte jener Frau, die einer Revolution ihr Gesicht verleihen soll. Denn in "Die Tribute von Panem: Mockingjay" ("The Hunger Games: Mockingjay"), dem Auftakt des zweigeteilten Finales der wohl populärsten Filmserie der vergangenen Jahre, wird Katniss Everdeen endgültig zur Auserwählten: Sie muss nicht wie bisher nur Kampfkraft und ihren Scharfsinn unter Beweis stellen, sondern die richtigen Worte und Emotionen.

Dieser Krieg, der als dystopische Zukunftsvision das aufgesplitterte Land Panem erschüttert, ist nämlich großteils auch einer der Propaganda - und die Heldin Mittel zum Zweck. Bereits in den ersten beiden Teilen der Bestsellertrilogie, in denen sich junge Menschen als Abgesandte ihrer sogenannten Distrikte wie moderne Gladiatoren zum Gaudium der dekadenten Hauptstädter bis zum Tod bekämpfen mussten, wurde das als Fernsehevent inszenierte Spektakel letztlich durch Bilder entschieden: Die meiste Unterstützung in der Arena erfuhren dabei diejenigen, die sich - wie die Heldin im lodernden Streitwagen - am besten präsentieren konnten.

Kampf um Bilder

Diese Prämisse durchspielt "Mockingjay", erneut inszeniert von US-Regisseur Francis Lawrence, auf mehreren Ebenen: Nicht nur schicken die Revolutionäre unter der Führung ihrer Präsidentin (Julianne Moore) Videobotschaften an das geknechtete Volk, auch der Tyrann (Donald Sutherland) lässt seine Ansprachen am liebsten live auf Großbildschirmen übertragen.

"Never let them see you bleed", erkennt er die Gefahr, die dem droht, der Schwächen nicht verbergen kann. In diesem Kampf um die Vorherrschaft der Bilder wird die Heldin zur Hauptdarstellerin: Als ein ihr eigens zur Seite gestelltes Kamerateam ihren Revolutionsruf als TV-Spot drehen will, scheitert der Versuch an der fehlenden Überzeugungskraft der neuen Jeanne d'Arc. Nur der Anblick von durch Regierungstruppen verübten Gräueltaten führt zum Erfolg - erst die fassungslose Zeugenschaft konstituiert Gefühle.

Für einen Blockbuster seiner Größenordnung lässt "Mockingjay derartigen Reflexionen und wohldosierter Medienkritik überraschend viel Raum. Das liegt auch daran, dass dieser Film, wiewohl martialischer angelegt als die ersten beiden Teile, nicht auf die Inszenierung großer Schlachten angewiesen ist. Hier werden, Suzanne Collins' Jugendbuchvorlage und die entsprechende Zielgruppe vor Augen, vor allem innere Kämpfe gefochten. Und die können dauern: Der Prozess der Selbstbehauptung, dem die Heldin in "Mockingjay" unterworfen ist, um ihre Rolle zu akzeptieren und die Verantwortung für andere übernehmen zu können, ist eben eine langwierige Angelegenheit.

"We'll make you the best-dressed rebel in history", wird Everdeen im Zuge ihrer Vereinnahmung in ein enges Kostüm mit Brustpanzer und damit zugleich in ihre Rolle als Identifikationsfigur gedrängt. "Die Tribute von Panem" lassen sich also (auch) als Erweckungsgeschichte lesen, als jugendlicher Kampf zwischen dem Wunsch nach Freiheit und dem Dienst an der Gemeinschaft.

Es ist kein Zufall, dass niemand diesen Prozess besser durchschaut und vorantreibt als der ehemalige Spielleiter der Hauptstadt und nunmehrige Stratege der Rebellen: Mit dieser Heldin werde, so Philip Seymour Hoffman in einer seiner letzten Rollen, in jedem Augenblick Geschichte geschrieben. Darin liegt im Vergleich zu anderen Jugendbuchverfilmungen wie etwa "Chroniken der Unterwelt" oder "Sixteen Moons"
der überragende Erfolg dieser Serie begründet: In ihr kann nicht nur die bedrohlich erscheinende Welt der Zukunft korrigiert, sondern jeden Tag auch die eigene Geschichte selbstbestimmt begonnen werden. (Michael Pekler, DER STANDARD, 18.11.2014)