Nabil M. (links) und Mufid H. arbeiten gemeinsam an einem Sitzpolster.

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Der Wunsch des Syrers für das nächste Jahr: seine Familie nachholen zu können.

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Der Libyer hat seine Ausbildung zum Optiker in England absolviert.

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In der Vinzirast mittendrin entstehen unter anderem Pölster und Säcke aus alten Kaffeesäcken.

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Zu Mittag wird gemeinsam eine heiße Suppe gegessen.

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Wien - Die Fenster zur Werkstätte in der Lackierergasse stehen offen. Der Geruch frischer Sägespäne und groben Jutestoffs dringt aus dem Biedermeierhaus. Die Gäste der "Vinzirast mittendrin" im neunten Wiener Gemeindebezirk nehmen die Passanten draußen gar nicht wahr. Konzentriert sägen, hämmern und nähen sie oder schrauben an Fahrrädern.

Seit acht Wochen läuft das Projekt "Vinzichance": Wohnungslose Asylwerber werden in der Früh eine Stunde von Ehrenamtlichen in Deutsch unterrichtet. Anschließend wird zwei Stunden an Schachteln, Pölstern oder Nikolosäckchen aus leeren Kaffeebeuteln gearbeitet, die der Meinl spendet. Zu Mittag wird gemeinsam gegessen. Das Haus wurde im Mai 2013 eröffnet: Es leben ehemals Wohnungslose mit Studenten unter einem Dach.

"Ich habe hier Freunde aus der ganzen Welt gefunden", sagt Igor T. und macht eine ausladende Geste durch die Räume, in denen unter anderen Nordafrikaner, Afghanen und Syrer miteinander arbeiten. Der Ukrainer wartet wie alle anderen auf eine Aufenthaltsbewilligung, auf den Startschuss, damit es zurück in ein geordnetes Leben mit bezahlter Arbeit geht.

"Ich muss schnell Deutsch lernen"

Der Sinn des Projekts ist es, den Menschen bis dahin zu helfen, wieder Freude an etwas zu entwickeln, was sie mit ihren eigenen Händen geschaffen haben. Mufid H. schneidet gerade einen Kreis aus einem Kaffeesack aus. Der Syrer wird daraus ein Sitzkissen nähen. Innerhalb dreier Monate hat er Deutsch sprechen gelernt. "Am Abend lernt er noch lange allein Vokabeln", sagt Jacqueline Kornmüller, die das Projekt konzipiert hat.

"Ich muss schnell Deutsch lernen. Ich brauche einen Pass, damit ich meine Frau und meine vier Kinder nachholen kann. Sie sollen im Frieden leben", sagt er mit bestimmtem Ton. Seine Augen sind mit dunklen Ringen umschattet. Seine Kinder können keine Schule besuchen, es gibt keine Elektrizität, Nachbardörfer wurden in den vergangenen Wochen bombardiert. H. stand gerade in der Werkstätte, als er die Bilder im Fernsehen sah. "Ich würde alles arbeiten", sagt der Mann, der Arabisch, Russisch, Bulgarisch, Englisch und Deutsch spricht.

"Müssen mehr wegschicken"

Nabil M., ein Libyer, sitzt einen Tisch weiter an der Nähmaschine. Der Optiker musste aus politischen Gründen flüchten. Am Nachmittag besucht er oft die nahe Bibliothek in der Berggasse. Er liest Bücher über Geschichte oder nutzt das Internet, um Kontakt in die Heimat zu halten. Er braucht ständige medizinische Versorgung, da seit Jahren Kugeln in seinem Oberschenkel stecken. Er verhinderte die Vergewaltigung eines Mädchens durch Soldaten, die ihn daraufhin anschossen.

Vinzirast-Leiterin Cecily Corti hat den Verein Vinzenzgemeinschaft St. Stephan vor elf Jahren gegründet. "Wir müssen mittlerweile viel mehr Menschen als früher wegschicken, weil wir keinen Platz haben", sagt sie. (Julia Schilly, DER STANDARD, 20.11.2014)