Panama - damit verbinden Europäer den einhundert Jahre alten Kanal. Und vielleicht noch den Panamahut, der in Wirklichkeit aus Ecuador kommt. Dabei besteht der Staat aus einem vielseitigen Patchwork mit Zukunftspotenzial: ein wenig kleiner als Österreich, knapp vier Millionen Einwohner, nur ein Drittel unter der Armutsgrenze, der Rest unter Steueramnestie.

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Das Chiriqui-Hochland.

Im Westen empfängt das spärlich besiedelte Land seine Gäste unverschämt grün und dröhnend still. Beim Örtchen Boquete etwa bergen die Nebelschwaden des Chiriqui-Hochlandes Öko-Lodges und Kaffeeplantagen, während die Nationalpark-Inseln Bocas del Toro vom erfolgreichen Beach-Business erzählen. Letzteres haben die Kuna im Osten nur ansatzweise im Sinn.

San Blás gilt als touristische Entdeckung schlechthin

Das Revier der Indios im Archipélago de San Blás gilt als touristische Entdeckung schlechthin. Knapp vierhundert Mini-Inseln, die wie ein langer, gleichförmiger Streifen am blassblauen Horizont treiben und die dem Sehnsuchtsort der ikonischen Karibikinsel maximal nahekommen, waren auf Dauer nicht zu übersehen.

Der San-Blás-Archipel vor Panama besteht aus 370 karibischen Inseln, die noch kaum erschlossen sind.
Foto: Robert Haidinger

In den Wintermonaten verwandelt sich das Inselparadies in ein Spiegelbild, in dem sich Himmel und Meer sanft berühren. Ab und zu tauchen kleinere Boote darin auf: Mahagoni-Einbäume mit leichten Bambusmasten, die an die überlieferte Lebensform der Kuna erinnern, des markantesten der sieben indigenen Völker Panamas. Vor gar nicht allzu langer Zeit stakten und segelten sie in größeren Gruppen von den bewohnten, mehr in Küstennähe gelegenen Inseln in den einsamen Archipel hinaus, sammelten Meeresschnecken und Kokosnüsse, die noch Mitte der 1990er-Jahre als Zahlungsmittel galten.

Autonomes Gebiet

Rund 180 Kilometer zieht sich der Indio-Archipel hin bis Puerto Olbadia an der kolumbianischen Grenze. Die Liste der Inseln, die allesamt zum autonomen Gebiet der Comarca Guna Yala gehören und die man nach dem Passieren eines Kuna-Checkpoints - er befindet sich im von den Indios gemanagten Naturschutzgebiet Nusagandi - ansteuern kann, ist kontinuierlich angewachsen. Knapp vierzig der San-Blas-Inseln werden nun touristisch genutzt, Tendenz steigend.

Foto: Robert Haidinger

Da bescheren die sieben Cabanas der Akwadup-Lodge eine Prise Malediven-Luxus, während sich die Isla Franklin in großen Tanzschritten Richtung Partyinsel bewegt. Youngsters aus Kalifornien und Grenoble lernen nun, wie man auf Kuna-Art Kokosnüsse erklettert, oder treten an derselben Palme mit einem Korb im Basketball gegen Bootsleute an.

Eine Insel halb so groß wie ein Fußballfeld

Wir landen bei Señor Marcos, Mitte fünfzig, mit blau tätowiertem Schönheitsstrich auf dem Nasenrücken. Er ist "sáhila" - sprich Community-Chef - des Küstenörtchens Platanes und äußert einen exotischen Reisewunsch. "Ich würde gerne mal die künstlichen Inseln von Dubai sehen", sagt Marco. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man so etwas macht."

Er verwaltet die Insel seines Schwiegervaters, die Isla Nubesidup. Ein halbes Fußballfeld groß fällt diese aus, eine für den San-Blas-Archipel durchaus gängige Insel-Konfektionsgröße. In drei Minuten hat man alles Wesentliche gesehen: ein paar Dutzend Kokospalmen, die zahnfleischfarbenen Meeresschnecken am Strand, den Sturzflug der Pelikane ins türkisgrüne Meer. Hier macht Panama Pause.

Trillern und krächzen

Birdwatching per Tretboot - damit kann Portobelo, rund 100 Kilometer nördlich von Panama-Stadt, aufwarten. 940 Vogelarten trillern und krächzen im Land. Eine davon ist der Anhinga, eine Art hellgrau gefiederter Speer mit langem Hals und spitzem Schnabel, der sich gerne in der moosgrünen Zielscheibe eines Tümpels versenkt. Kaum Spritzwasser, Haltungsnote zehn. Schwere Knochen lassen sie beim Schwimmen tief ins Wasser sinken, nur der lange Hals steht dann hervor.

Foto: Robert Haidinger

Wer die unregelmäßigen Steinstufen des Boutiquehotels El Otro Lado nach oben keucht, der findet sich bald auf der Staumauer eines stillen Reservoirs wieder. Jim Peebles, der General Manager, hat hier Sonnenliegen aufstellen lassen. An der trockenen Seite der Staumauer rasten Jules et Jim, wie Peebles seine beiden Hausalligatoren nennt. Im Geäst machen Brüllaffen auf Tyrannosaurus rex, am schaurigsten zur Dämmerung.

Zauberhafte Flecken, dank des Kanals

Wie so vieles in Panama verdankt auch dieser zauberhafte Flecken seine Existenz dem berühmten Kanal. Aber keine Angst: Die Miraflores-Schleusen, an denen die Insassen der Touristenbusse mitunter etwas ratlos auf den Konvoi der rostigen Frachter blicken, sind weit entfernt. Es waren Amerikaner, die den kleinen Teich oberhalb des Boutique-Hotels angelegt haben, zum Kühlen der Steinsägen, die hier Material für den Kanalbau aufbereiteten.

Panama bietet große Vielfalt auf kleinem Raum: eine Kuna-Frau auf der San-Blás-Insel Wichub-Huala.
Foto: Robert Haidinger

Schippert man quer über die Lagune, die das El Otro Lado vom historischen Städtchen Portobelo trennt, so finden sich gleich wieder Bruchstücke der zerfledderten panamaischen Geschichte. Schwarz bemooste Festungswälle tauchen auf. Eine hispanische Kirche, neben der Kragengeier durch die Innenhöfe flattern. Das kleine Portobelo ist ein Ort mit großer Vergangenheit, Unesco-Weltkulturerbe und verträumtes Juwel zugleich.

Christoph Kolumbus tauchte bereits 1502 im schönen Naturhafen auf, ließ die nicht mehr ganz so flotte Vizcaína zurück. Jahrzehnte später hatte sich Portobelo in das wichtigste Nadelöhr des transatlantischen Handels verwandelt. Hier endete der berüchtigte Camino Real, die peruanische Silberstraße, und in den Magazinen stapelten sich Gold- und Silberbarren.

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Portobello

Zu den Stammgästen gehörte auch der Weltumsegler und Freibeuter Sir Francis Drake, der Portobelo gleich mehrmals in Schutt und Asche legte und seine Karriere im Inneren eines bleiernen Sargs beendete, nach dem hier bis heute gefahndet wird. Man sieht: Geschichte, wohin man blickt.

Remix alter Geschichten

Und dann gibt es da auch noch die Congo-Connection. Wer in der Casa de la Cultura Congo vorbeischaut, einer Institution, die sich mit den kulturellen Wurzeln der mehrheitlich schwarzen Bewohner Portobelos befasst, kann mit Musikern wie Heraldo Eucebio De Hoyos über den Remix moderner Sounds und althergebrachter Karnevalrhythmen plaudern: "Im Rahmen von Jugend-Workshops", erzählt der Percussionist, "bleiben die alten Geschichten am Leben." "Und das Bewusstsein um die Selbstbestimmung", ergänzt die US-amerikanische Kulturanthropologin Renee Alexander Craft, die hier seit Jahren das Erbe der "Cimarrones" erforscht - jener versklavten Menschen aus dem Kongo, die während der Knechtschaft in Panama unter anderem nach Portobelo fliehen konnten.

Bambus im Chiriqui-Hochland
Foto: Robert Haidinger

Der Ort gilt als heißester Hexenkessel des panamaischen Faschings, fleißig geübt wird dafür das ganze Jahr. "Die verschlüsselte Geheimsprache des Congo Carnival wurzelt im Bestreben nach Identität und Abgrenzung und wird seit Jahrhunderten tradiert", weiß Craft. Dazu gehören auch Männer mit umgedreht angezogenen Kleidern und mit Kohle oder Indigo gefärbten Gesichtern.

Großes Patchwork, kleiner Flecken Land

Das ist ein ziemlich großes historisches Patchwork für einen kleinen Flecken Land - aber zugleich typisch für die Vielfalt eines Staates, dessen Hauptstadt heute boomt wie nie zuvor. Acht der zehn höchsten Wolkenkratzer Mittelamerikas zeugen bereits von der Potenz Panama-Stadts, während neu angekündigte Projekte wie ein Luxushotel den entsprechenden Skyline-Feinschliff besorgen sollen. Die denkmalgeschützte Altstadt Casco Viejo vollzieht diese Entwicklung bereits nach.

Eine gewaltige Sukkulente im Bergdorf Boquetes.
Foto: Robert Haidinger

Die Tage der nächtlichen Katzenmusik unter von Rost zerfressenen Balkonen sind auch hier längst vorbei. Heute arbeitet eine bunt zusammengewürfelte Community an der Reanimation des kolonialen Schmuckstücks, haucht dem ehemaligen Slum Casco Viejo neues Leben ein: mit Geschäften für Biogemüse, Mode-Shootings vor dem neoklassizistischen Präsidialpalast, Pariser Gourmet-Sorbets zum Versüßen des abendlichen Altstadtbummels, Boutique-Hotels, Tapas-Bars und lauschigen Patios, deren Vintage-Laternen weiches Licht aufs buckelige Pflaster werfen - ein Slum schaut anders aus. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 20.11.2014)