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Südkoreanerinnen hören oft, dass Schönheit ihre wertvollste Eigenschaft ist - chice Kleidung sehen Professoren aber mitunter als Einladung. Im Bild: Abschlussfeier an der Sookmyung-Uni in Seoul.

Foto: EPA / Yonhap

Die Konferenz stand nur wenige Wochen bevor, und die Nerven lagen blank. Dass ein Professor seine Studentin in einer solchen Drucksituation beschimpft, ist in Südkorea nichts Ungewöhnliches. Dass er sie zur Wiedergutmachung zum Umtrunk einlädt, ebenso wenig. Und das, was auf dem Nachhauseweg passiert sein soll, leider auch nicht.

Als die Anklage im November öffentlich wurde, war es den meisten Tageszeitungen nur einen Einspalter wert: Der Mathematikprofessor der renommierten Seoul National University (SNU) soll seine studentische Praktikantin unsittlich angefasst und sie auf seinen Schoß gebeten haben. Viele solcher Meldungen erscheinen dieser Tage. Ungewöhnlich waren aber die Reaktionen auf den Fall.

Landesweite Debatte

Über ein Dutzend Studentinnen outeten sich auf dem Internetportal der Uni als angebliche Opfer des Professors, einige gingen mit ihren Geschichten gar an die Medien. Die Anschuldigungen reichten vom Klaps auf den Po über unzüchtige Textnachrichten bis hin zu unfreiwilligen Küssen. Es entwickelte sich eine landesweite Debatte.

"Sexualverbrechen kommen deshalb regelmäßig an Unis vor, weil die Professoren eine enorme Macht haben - von der Benotung bis hin zur Vergabe von Assistenzstellen", sagt Lee Mi-jeong der südkoreanischen Tageszeitung Hankyoreh. Die Forscherin des koreanischen Women's Development Institute beobachte, dass sich die Professoren stets diejenigen als Opfer aussuchen, von denen sie keine Gegenwehr erwarten: eben ihren Studentinnen. Nun wollen diese nicht mehr schweigen.

Ermutigung für Opfer

"Bitte übertreiben Sie den Fall nicht", sagt Lee Hye-won vom Human Rights Center der SNU. Ihre Uni kommt nicht mehr aus den Negativschlagzeilen heraus. Doch die mediale Aufmerksamkeit habe auch viele Opfer ermutigt - die Rechtsanwältin wird dieser Tage von unzähligen Studentinnen aufgesucht. "Die meisten kommen erst zu uns, wenn sie es wirklich nicht mehr aushalten", sagt Lee.

An der SNU trifft man viele Studentinnen, die persönliche Geschichten erzählen. Vor der Bibliothek erzählt eine Studentin, sie kenne den vermeintlichen Täter vom Tanzclub an der Uni. Dort habe er nach ihrer Handynummer gefragt und lud sie später immer wieder zum Abendessen ein.

Körperliche Schönheit instrumentalisiert

"Da ich nicht an seinem Institut studiere, konnte ich es ignorieren", erzählt sie. "Lehrern muss man in Südkorea ähnlich viel Respekt entgegenbringen wie dem Vater. Sie haben fast einen Status wie Gott", sagt eine andere Studentin. Professoren erzählen, dass Studentinnen ganz bewusst ihre sexuellen Reize einsetzen würden. Tatsächlich wird Südkoreanerinnen von klein auf gelehrt, dass ihre wertvollste Eigenschaft körperliche Schönheit ist.

Von dieser Argumentation ist es jedoch nur ein schmaler Grat bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr, die auch in der akademischen Gemeinschaft verbreitet ist.

Erst im Mai gab ein Medizinprofessor an der SNU eine Vorlesung über sexuelle Gewalt, in der er meinte, dass Frauen, die nicht vergewaltigt werden möchten, eben kein anzügliches Gewand tragen sollten.

"Wenn das Geld auf der Straße liegt, wird es auch jemand auflesen", lautete die unangebrachte Metapher des Professors, der auch als politischer Berater für die nationale Menschenrechtskommission arbeitet. (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD, 20.11.2014)