Oft weiß das Pflegepersonal derzeit nicht, was ein Heimbewohner wünscht, wenn er dem Tod nahe ist. Der Vorsorgedialog soll Klärung bringen.

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Wien - Der Tod ist ein Tabu, heißt es. Dieses Tabu könnte ab Mitte 2015 regelmäßig gebrochen werden, wenn die Pläne des Dachverbands Hospiz Österreich entsprechend aufgehen. "Wir wissen von verschiedenen Befragungen von Heimbewohnern, dass die Menschen darüber reden wollen", sagte Hildegard Menner von der Arge Heime am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch. Menner ist Mitglied eines Beirats zum Projekt "Hospizkultur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen", der Kriterien für den sogenannten Vorsorgedialog erarbeitet.

In zirka einem halben Jahr soll das Konzept dafür fertig sein und dann in allen der rund 800 Alten-und Pflegeheime in Österreich Anwendung finden, später auch in der mobilen Pflege. Zirka 72.000 Menschen werden derzeit in Heimen betreut. Oft ist laut Menner unklar, welche Maßnahmen die Heimbewohner in welcher Situation wünschen und welche nicht. Das Nichtvorhandensein von Willensbekundungen beziehungsweise von deren Dokumentation führe derzeit oft "zu Entscheidungen, die nicht im Sinne des Bewohnerwillens sind", sagt Menner. Das könnten unerwünschte Krankenhauseinweisungen oder lebensverlängernde Maßnahmen in der Sterbephase sein.

Gespräche zweimal im Jahr

An den Gesprächen sollen neben dem Betroffenen ein Arzt, Pflegepersonal und Vertrauenspersonen wie zum Beispiel Angehörige mitwirken. Rund zweimal im Jahr sollen Gespräche stattfinden. Wer diese Maßnahme bezahlt, ist allerdings noch unklar. Man sei diesbezüglich mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger in Kontakt, hieß es.

Inhaltlich soll es um ethische Fragen der Reanimation, Ernährung und Krankenhauseinweisung im Krisenfall gehen. Auch Wünsche - etwa nach einem letzten Urlaub oder in Sachen eigenes Begräbnis - sollen Platz finden.

Je konkreter der Wille festgehalten sei, desto verbindlicher könne er sein, sagte Maria Kletecka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht an der Uni Wien. Verbindliche Patientenverfügungen sind - wie berichtet - in Österreich kaum verbreitet: Erst 23.500 Personen haben jemals eine solche registrieren lassen. Der Vorsorgedialog sei als Ergänzung zu sehen.

"Vermeidbare" Einweisungen

Die Erarbeitung der Leitlinien findet in einem Beirat statt, in dem auch das Gesundheitsministerium vertreten ist. Gerhard Aigner, dort Leiter der Rechtssektion sagte dem Standard, er finde "die Idee gut". Ob eigene Leitlinien nötig sind, sei aber fraglich.

Michael Lang, Leiter des Notarzt- sowie des Geriatriereferats in der Ärztekammer führte an, dass Studien zufolge "ein hoher Prozentsatz der Spitalseinweisungen vermeidbar" wäre - je nach Land und Studie zwischen 22 und 67 Prozent. Reanimationsmaßnahmen mit Herzmassage und Beatmung werden laut Lang von Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen in maximal 4,3 Prozent der Fälle überlebt - und es sei kein einziger Fall ohne schwere Folgeschäden dokumentiert. Der Vorsorgedialog könne die Zahl dieser Einsätze reduzieren. Kletecka-Pulker gab zu bedenken, dass aber gesichert bleiben müsse, dass Menschen weiter darauf beharren dürfen, die Rettung zu rufen. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 20.11.2014)