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66 Prozent halten "Schlagen mit der Hand" für angebracht oder zulässig.

Grafik: APA/BMFJ

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Eltern müssen lernen, sich Hilfe zu holen, wenn sie überfordert sind.

Foto: APA/dpa/Patrick Pleul

Sie ist in den Augen von Experten das größte kinderrechtliche Problem in Österreich: die Gewalt an Kindern. Dabei feiert das absolute Gewaltverbot in der Erziehung heuer das 25. Jubiläum. 1989 verankerte Österreich als viertes Land weltweit - nach Schweden (1979), Finnland (1983) und Norwegen (1987) - die gewaltfreie Erziehung im Gesetz. Aktuell gilt ein solches in 42 Staaten der Welt.

Trotz dieser Vorreiterrolle gehören Klaps, Watsche, gar Prügel noch immer zur österreichischen Normalität. Eine aktuelle Studie des Familienministeriums zeigt zwar einen abnehmenden Trend; 66 Prozent von 1000 befragten Personen halten aber einen "leichten Klaps" und 22 Prozent das "Schlagen mit der Hand" als Erziehungsmethode für angebracht oder zulässig (siehe Grafik).

Kampagnen auf Milchpackerln

Ist angesichts solcher Zahlen das Gewaltverbotsgesetz nutzlos? Nein, sagt die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits im Gespräch mit dem STANDARD. "Kein Gesetz, das Signale aussendet, ist unnütz." Als Signalwirkung plädiert sie sogar dafür, die Ohrfeige - die derzeit strafrechtlich als Beleidigung gilt - explizit als Form von Gewalt zu definieren. Es gehe nicht darum, Eltern zu kriminalisieren, sondern das Bagatellisieren der angeblich "g'sunden Watsch'n" zu beenden. Auf die Aussage "eine Ohrfeige hat noch keinem Kind geschadet, kann aber oft besser erziehen als noch so viele Worte" antworten 30 Prozent der Befragten mit "richtig" oder "teilweise richtig".

Ein Gesetz allein werde die erzieherische Gewalt aber nicht verhindern, sagt Pinterits. Die Politik müsse viel mehr Öffentlichkeitsarbeit und Prävention leisten sowie Pädagogen, Eltern und Kinder aufklären. "Kinder sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass sie nicht geschlagen werden dürfen."

Dass die Tracht Prügel mit Bewusstmachung verhindert werden kann, zeigt zum Beispiel Schweden vor. Seit 1979 ist die Gewaltanwendung durch zahlreiche staatliche Aktionen - bis hin zu Info-Kampagnen auf Milchpackerln - auf ein wesentlich niedrigeres Niveau als in Österreich gesunken.

In Frankreich erlaubt

Umgekehrt zeigt eine Untersuchung des Familienministeriums von 2009, dass in Frankreich gewalttätige Belehrungsmethoden noch viel weiter verbreitet sind - Körperstrafen sind dort weder verboten, noch wird öffentlich über ihre Risiken informiert oder eine gewaltfreie Erziehung propagiert. "Mit der Hand den Po versohlen" praktizieren laut dieser Untersuchung rund vier Prozent schwedischer sowie 16 Prozent österreichischer Eltern. In Frankreich wird diese Bestrafung von mehr als der Hälfte (50,5 Prozent) der Eltern angewendet.

Neben Überforderung und eigener Gewalterfahrung nennen Experten auch die gesellschaftliche Einstellung zu Kindern, die nicht als vollwertige Menschen betrachtet werden, als Grund für die "Tätschn". "Wenn mein Partner zu laut Musik hört, bestrafe ich ihn ja auch nicht, sondern spreche ihn darauf an", gibt Kinderanwältin Pinterits als Beispiel.

Eltern würden sich schämen. Sie müssten aber lernen, sich Hilfe zu holen. "Kinder können einen an seine Grenzen bringen." Es sei keine Schande, wenn die Hand einmal ausrutscht. Dann könne man mit dem Kind darüber sprechen und sich entschuldigen. Das Ziel sei doch, so Pinterits, die Kinder zu kritischen, selbstbestimmten Erwachsenen zu erziehen. (Christa Minkin, DER STANDARD, 20.11.2014)