Eine Schule, in die man als fünfjähriges Kind aufgenommen wird und die man als 14 Jahre alter, für eine Lehrlingsausbildung oder für ein Oberstufengymnasium reifer Jugendlicher verlässt. Zwischendurch gibt es mehr oder weniger Sport, mehr oder weniger individuelle Förderung, mehr oder weniger raschen Bildungsfortschritt. Und viel Betreuung, damit die Eltern dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

So stellt sich die Industrie die ideale Schule vor, in der die Arbeitnehmer von morgen für eine optimale Karriere geformt werden sollen. Den Industriellen ist damit zweierlei gelungen: Sie haben ein arbeitsmarktgerechtes Konzept vorgelegt - und sie haben gleichzeitig vermieden, eines der seit Jahrzehnten ohne große Bewegung diskutierten Modelle aufzugreifen.

Denn seit Otto Glöckel (1874-1935) kannte die linke Reichshälfte nur das Bekenntnis zur gemeinsamen Schule der zehn bis 14 Jahre alten Schüler. Ob man diese nun "Gesamtschule" nannte oder den Begriff anders verbrämte - die konservative Seite war immer gegen die "Einheitsschule"; da gilt (und galt seit Jahrhunderten), dass man frühzeitig Latein lernen soll, schön abgeschieden vom einfachen, wenig gebildeten Volk.

Mit dem müssen sich die Kinder der oberen Schichten ohnehin die Volksschule teilen. Das ist eine Form der Einheitsschule, die jedem Kind bis zum Alter von zehn Jahren das Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen soll und daran elendiglich scheitert. Ein Fünftel der Schüler hat diese Grundfertigkeiten auch mit 15 Jahren noch nicht, was aber niemand als Versagen der Volksschule zu deuten bereit ist.

Der aktuelle Vorschlag zeigt den Mut, die Volksschule aufzulösen und die Mittelschule noch dazu. Das mag man als Gleichmacherei bezeichnen - aber im pädagogischen Diskurs der vergangenen Jahre hat sich ja abgezeichnet, dass Gleichmacherei zumindest im Bereich der Lehrerbildung - und in der Folge im Dienstrecht - durchaus gewünscht ist: Österreichs Bildungswesen braucht bestausgebildete Pädagogen für junge Menschen aller Altersstufen, ob diese nun in ein Gymnasium, eine Hauptschule oder eine Volksschule gehen. Nur wenn es um die Kindergärten geht, haben noch nicht alle Zuständigen verstanden, dass auch dort akademisch gebildete Pädagogen gefragt wären. Aber mit dem auf fünf Jahre vorverlegten Schuleintrittsalter im Konzept der Industrie erübrigt sich diese Diskussion immerhin teilweise.

Wenn man das Konzept ernst nimmt - und die ÖVP zeigt mit ihren zurückhaltenden Stellungnahmen, dass sie eine ernsthafte, ideologiefreie Diskussion zumindest zulassen will -, dann ließe sich durchaus ein Einheitsschulmodell verwirklichen, das bei ganztägiger, individueller Betreuung kein Kind zurücklässt. Man weiß ja, dass Kinder unterschiedlich lange brauchen, bis ihnen "der Knopf aufgeht".

Bei Schulpolitikern ist dieser "Knopf" ja längst zum gordischen Knoten geworden. Einige der darin verwirrten Fäden - vor allem jene des Lehrerdienstrechts - sind in den vergangenen Jahren herausgezogen worden, was die Lösung erleichtern könnte.

Das Grundproblem, dass man an der bestehenden schulischen Gliederung mit zwei nacheinander gestaffelten vierklassigen Schulen festhält, weil dies nun einmal Tradition hat, bleibt aber ungelöst, wenn man nicht eine umfassende Organisationsreform durchführt. Der Knoten würde dadurch zerschlagen wie einst jener in Gordion. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 20.11.2014)