Zum Dreijahresfest des Art Peace Hotel in Schanghai hat Swatch eine eigene Uhr aufgelegt.

Foto: Swatch

Hotel oder Atelier? Das ist hier die Frage. "Swatch Art Peace Hotel" steht in großen Lettern auf der Fassade des prächtig erleuchteten Kolonialgebäudes direkt am Bund von Schanghai. Von der anderen Seite des Flusses glitzern all die kunterbunt beleuchteten Wolkenkratzer des in den vergangenen zehn Jahren in die Höhe geschossenen Shopping- und Finanzviertels Pudong herüber, hier aber haben sich noch einige Gebäude aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert erhalten, Relikte aus der Ära der ausländischen Konzessionen. 1908 fand in dem frisch errichteten Gebäude eine der ersten Tagungen der Opium-Kommission statt, um im Konflikt zwischen den verfeindeten Parteien im Opiumkrieg zu vermitteln.

Einst tagte hier die Opium-Kommission. Heute ist das Art Peace Hotel am Bund von Schanghai Hotel und Luxuskünstlerklause.
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Auch heute geht es hier um Geld, zumindest im Erdgeschoss, wo der Swatch-Konzern Geschäfte seiner prestigeträchtigen Marken Omega, Breguet, Blancpain und Swatch untergebracht hat. In den Obergeschoßen wird hingegen um andere Währungen und Werte gefeilscht. Maler malen sich die Seele aus dem Leib, Videokünstler filmen die Welt um sich herum, Musiker brüten über Partituren, und Tänzer studieren Choreografien ein. Und mittendrin liegen Hotelgäste in ihren von Designern entworfenen Betten und grübeln darüber nach, ob sie sich einen Champagner aufs Zimmer kommen lassen oder doch ein Nickerchen machen sollen.

Luxuskünstlerklause

Das Swatch Art Peace Hotel ist eines jener Zwitterwesen, wie es sie in einer von Umsatzsteigerungen dominierten Konzernwelt eigentlich nicht geben dürfte. Ein bisschen Fünfsternehotel, das aber mit Sicherheit keinen Gewinn abwirft, ein bisschen Luxuskünstlerklause, in der aber nicht die Berühmten abhängen, sondern jene, die noch kaum jemand kennt.

"Eine Vision" nennt Nick Hayek bei der Drei-Jahr-Jubiläum-Sause Ende Oktober das Projekt. Er ist der Herr über den Uhrengiganten Swatch, der nicht nur die Plastikuhren gleichen Namens, sondern von Rado bis Longines noch weitere 18 Uhren- und Schmuckmarken im Portfolio hat. 2008 begann man mit der viele Millionen Euro verschlingenden Renovierung, am 31. Oktober vor drei Jahren zogen die ersten Künstler und Hotelgäste in die Ateliers und Suiten ein. 18 gibt es von Ersteren, sieben von Letzteren.

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Alexandre Gaillard ist der jüngste Ankömmling. Nummer 139, wenn man richtig gezählt hat. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder John wird der in Berlin lebende Schweizer in den kommenden Monaten in einem schicken Künstleratelier wohnen, zu Mittag eine Nudelsuppe in einer der vielen Garküchen der Stadt essen und ansonsten an ihren Draht- und Nylonfädenskulpturen arbeiten.

"Überwältigt von dieser Stadt"

Ihr rotes Fadenherz war bereits bei der Art Basel zu sehen (unter dem Künstlernamen A. J. Gailla), jetzt stehen einige ihrer Kopfskulpturen, hübsch anzusehen, im Schanghaier Atelier. Sein Bruder ist schon seit eineinhalb Monaten da, und fragt sich immer noch, was er hier eigentlich mache. "Die ersten Wochen kommt man zu gar nichts. Man ist überwältigt von dieser Stadt - und vom Luxusleben in diesem Hotel hier."

Statt von Berlin lassen sich die beiden in den kommenden Monaten von Schanghai inspirieren. In der 15-Millionen-Metropole prallen wie kaum irgendwo sonst die Gegensätze aufeinander. Für einen Cocktail in einer der hypermodernen Bars der Stadt geben die einen das aus, was die anderen am Tag nicht verdienen. "Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der menschliche Körper", erklärt Alexandre Gaillard: "Seine Abbildung und Deformation." Im Schanghaier Dauersmog lassen sich diese besonders deutlich studieren.

Künstler werden gebeten, Spuren zu hinterlassen.
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Wobei am Ende nicht unbedingt etwas dabei herauskommen muss. Nach Beendigung des Aufenthalts bittet man die Künstler lediglich darum, eine Spur zu hinterlassen. Diese kann die Form eines Kunstwerks haben oder auch nur jene eines Fotos. Zum Drei-Jahr-Jubiläum hat man jetzt all die hinterlassenen "Spuren" in eine Ausstellung und in einen Katalog gepresst. Im ersten Stockwerk des Hotels hat die chinesische Künstlerin Collette Fu ein Pop-up-Buch der Schanghaier Skyline aufgebaut, gleich daneben hängt ein Gemälde ihres Landsmanns Ma Jianfeng.

Der Italiener Sandro Del Pistoia hat eine seiner Wabenstrukturen hinterlassen, der Österreicher Julian Palacz ein Gemälde, auf dem er das Hotel aus Wörtern rekonstruiert hat. Auch Künstler wie der Amerikaner Billy the Artist oder der Spanier José Carlos Casado, die für Swatch bereits eine Uhr gestaltet haben, sind vertreten.

Sammlerstücke

So wirklich herausstreichen will das hier aber niemand. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, betont Carlo Giordanetti. Der Kreativdirektor von Swatch ist für die jährlich rund 250 neuen Designs der Uhrenmarke zuständig. Seit 1988 kommen vier bis fünf davon aus der Hand von Künstlern. Legendär sind zum Beispiel die Zeitmesser von Keith Haring und Kiki Picasso, die heute als Sammlerstücke zu hohen Preisen gehandelt werden.

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"Künstler schaffen es immer wieder, eine Uhr ganz anders zu denken. Und uns so neue Impulse zu geben." Auch zum Dreijahresfest hat man eine neue Swatch aufgelegt. Die New Gent zeigt auf dem Zifferblatt die Umrisse des Swatch Art Peace Hotel, auf dem Armband ist die Skyline von Schanghai zu sehen. Einige der Künstler haben sie sich zur Ausstellungseröffnung umgebunden, andere haben es sein lassen.

Kunstförderung als Teil der Unternehmenspolitik

"Allen Künstlern hier ist klar, dass Swatch das Ganze auch deswegen macht, weil es gut für ihr Image ist", sagt John Gaillard. Wie bei vielen anderen Konzernen ist bei Swatch Kunstförderung Teil der Unternehmenspolitik. Statt in Kunstpreise (z. B. Boss), in eine eigene Foundation (Cartier) oder in eine Sammlung (Prada) steckt der Bieler Konzern sein Geld in die Nachwuchsförderung. Seit zwei Jahren ist man auch einer der Hauptsponsoren der Biennale in Venedig.

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Die Nachwuchsförderung bringt vielleicht nicht so viel Aufmerksamkeit wie die Arbeit mit Arrivierten, hat aber den Vorteil, dass die Marke bei jungen Kreativen im Gespräch bleibt. Dagegen lässt sich aus Sicht von Alexandre und John Gaillard wenig einwenden: "Uns war wichtig, dass wir die Konzernpolitik grundsätzlich in Ordnung finden", Zusatz: "Von Nestlé oder Monsanto würden wir kein Stipendium annehmen." Swatch profitiert, und die Künstler profitieren. Und Schanghai hat zwischen all den Bürotürmen und Wohnhaussilos einen Ort, an dem man für einen Moment zur Ruhe kommt. (Stephan Hilpold, Rondo Exklusiv, DER STANDARD, 20.11.2014)