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Zwei Männer demonstrierten vor dem römischen Kassationsgericht für einen Schuldspruch des ehemaligen SEG-Chefs.

Foto: EPA/RICCARDO ANTIMIANI

Nachdem Gerichtspräsident Arturo Cortese das Urteil am Mittwochabend bekanntgegeben hatte, ertönten auf der Piazza Cavour vor dem Römer Kassationshof Pfiffe und "Schande, Schande"-Rufe; einige der Anwesenden brachen in Tränen aus. Zu Hunderten waren Angehörige von Asbestopfern nach Rom gereist - in der Hoffnung, dass die höchsten Richter Italiens für das tausendfache Sterben, das von der Killerfaser Asbest ausgelöst wird, einen Schuldigen benennen würden. "Die Opfer von Eternit erwarten Gerechtigkeit - und eine Verurteilung von Schmidheiny", stand auf einem Transparent.

Die Erwartungen wurden enttäuscht: Die Kassationsrichter haben die Schuldsprüche der Vorinstanzen annulliert und den Schweizer Unternehmer Schmidheiny freigesprochen. Die zur Last gelegte Straftat - die vorsätzliche Verursachung eines andauernden Desasters - sei verjährt: Das Delikt habe 1986 geendet, als das letzte italienische Eternit-Werk geschlossen wurde und damit die Emissionen von Asbest-Fasern geendet hätten. Nur: Weil bis zum Ausbruch des vom Asbest verursachten, fast immer tödlich verlaufenden Bauchfellkrebses bis zu vierzig Jahre vergehen können, sterben an den Langzeitfolgen bis heute jedes Jahr Dutzende von Personen. Die höchste Todesrate wird erst im Jahr 2025 erwartet.

Schmidheiny war im Juni 2013 vom Appellationsgericht in Turin zu 18 Jahren Gefängnis und Entschädigungszahlungen in der Höhe von rund 90 Millionen Euro verurteilt worden. Die Vorinstanzen hatten ihn persönlich verantwortlich gemacht für die Erkrankung und den Tod von bisher insgesamt rund 3000 Asbestopfern in Italien - obwohl die italienischen Eternit-Fabriken nur in den letzten 13 Jahren ihres insgesamt 80-jährigen Bestehens zur Schweizer Gruppe gehörten und obwohl an den Fabrikstandorten auch andere asbestverarbeitenden Betriebe produzierten.

Staatsanwalt gibt nicht auf

Der ehemalige Chef der Schweizer Eternit-Gruppe (SEG) habe aus Profitgier weiter Asbest verarbeiten lassen, obwohl ab den Siebzigerjahren die Gefahr bekannt gewesen sei, hatte die Vorinstanz den Schuldspruch begründet. Unterschlagen wurde, dass der Unternehmer ein Pionier des Asbestausstiegs gewesen war und kurz nach seinem Amtsantritt ein Programm zur Entwicklung asbestfreier Produkte lanciert hatte.

Für den Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er hat gestern angekündigt, dass er demnächst in einem neuen Prozess Anklage erheben wolle - diesmal wegen fortgesetzter vorsätzlicher Tötung in über 260 Fällen. Dieser Tatbestand wäre noch nicht verjährt. (Dominik Straub aus Rom, DER STANDARD, 21.11.2014)