Wenn Simon Jaramillo "italienischer Kaffee" hört, wird er etwas ungehalten. "Wachsen in Italien etwa Bohnen?", fragt er dann, "Italiener haben keine Ahnung von Kaffee, die trinken jeden Dreck, der völlig verbrannt und schwarz ist. Das Einzige, was sie wirklich können, ist Kaffeemaschinen bauen." Jaramillo ist gebürtiger Kolumbianer und Sohn einer Kaffeebauern-Dynastie in der vierten Generation. Vor drei Jahren hat er seinen Traum verwirklicht und ein eigenes Kaffeehaus, eine Rösterei und, für Experimente, ein Kaffeelabor eröffnet - in Sydney. "Australien", sagt er, "hat derzeit die wahrscheinlich spannendste Kaffeekultur der Welt."

In seinem Geschäft, dem "Reformatory Caffeine Lab", kostet der beste Kaffee - ein Filterkaffee - 20 Dollar (ca. 14 Euro) pro Tasse, oder besser pro Cognacschwenker. In einem solchen wird er nämlich serviert, damit der Trinker sich besser an seinem Geruch erfreuen kann. Jaramillo nimmt zwölf Gramm frisch gemahlenen Kaffee und gießt ihn per Hand mit 92 Grad heißem Wasser auf: insgesamt 220 Milliliter, die ganze Extraktion darf nicht länger als 70 Sekunden dauern. Erst wenn der Kaffee danach auf 50 Grad heruntergekühlt ist, serviert er ihn - Filterkaffee zeigt erst kühl sein volles Geschmackspotenzial.

Eine der Cold-Drip-Maschinen des Reformatory Caffeine Lab. 24 Stunden lang tropft kaltes Wasser ganz langsam auf gemahlene Bohnen.
Foto: Tobias Müller

Wie guter Wein

Jaramillo ist in Sydney bei weitem nicht allein mit seinem Kaffee-Fanatismus. Die australische Kaffeekultur hat sich in den vergangenen Jahren, vorsichtig ausgedrückt, sehr professionalisiert. Sydney und Melbourne haben vielleicht die weltweit höchste Dichte an "Third Wave Coffeeshops", Brühbars, die mehr gemeinsam haben mit spezialisierten Weinhandlungen als mit Starbucks. Die Kaffees werden hier nach Herkunftsregionen und Plantagen unterschieden, nach Art der Trocknung und Röstung. Zwar werden auch hier hervorragender Espressi und Milchkaffees serviert, als Krone der Kaffeekultur gilt aber der schwarze Filterkaffee, weil bei dieser Art der Zubereitung die vielen verschiedenen Aromen der Bohne am besten zur Geltung gebracht werden können.

Wer in Sydney oder Melbourne nach seinem Lunch einen Kaffee bestellt, bekommt oft eine kleine Karte serviert, die ihm genau beschreibt, wo der Kaffee gewachsen ist, wie er verarbeitet wurde und ob er mehr nach Heidelbeeren oder "Tee- und Blumennoten" schmeckt. Kaffeekarten in den Brühbars preisen sonnengetrocknete Kolumbianer an und sehr hell geröstete Kenianer, sie empfehlen handgegossenen Filterkaffee oder "Cold Drips", eine Methode, bei der kaltes Wasser bis zu 24 Stunden auf Kaffeepulver tropft und so ganz langsam die Geschmacksstoffe extrahiert. Und jeder ambitioniertere Take-away-Shop hat eine maßgefertigte La-Marzocco-Maschine zum Preis eines gar nicht so kleinen Neuwagens.

Die Brühbar von Single Origin, einer der größeren Sydneyer Innenstadt-Röster.
Foto: Tobias Müller

Allein in Sydney gibt es derzeit neunzig Kaffeeröstereien, und selbst in Städten im Hinterland findet man immer wieder einen Dorfröster. Die Guten holen ganz Erstaunliches aus ihren Bohnen heraus: Ihr Kaffee schmeckt oft vielschichtig und komplex wie guter Wein. Viele der Röster fliegen regelmäßig in die Kaffee-Anbauländer, um ihre Bohnen direkt vor Ort zu kaufen und sicherzustellen, dass sie nur allerhöchste Qualität bekommen. Zu Hause veranstalten sie regelmäßig öffentliche "Cuppings", bei denen Interessierte ihre neuen Röstungen blind verkosten können und sich dabei über Körper, Länge und Säure austauschen.

Hervorragendes Essen

Manche Röster beschäftigen Mitarbeiter, die prüfen, ob Kaffeehäuser es wert sind, mit ihren Bohnen beliefert zu werden. In den vergangenen Monaten habe von 20 Bewerbern nur einer seinen Kaffee bekommen, erzählt Reece Cooper, Röster von Reuben Hills, einem Sydneyer Innenstadt-Kaffeehaus, in dem auch geröstet wird. "Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Whiskybrenner, der 20 Jahre harte Arbeit in sein Getränk steckt, und dann kauft es jemand, um daraus Whisky Cola zu machen", sagt Cooper. "Wir fliegen bis nach Äthiopien, suchen dort mühsam die besten Bohnen und experimentieren lange mit der perfekten Röstung. Dann wollen wir nicht, dass jemand all die Arbeit ruiniert, indem er den Kaffee schlecht braut."

Die "New York Times" kürte das "australische Kaffeehaus" vor einiger Zeit in einem Artikel zu einem eigenen kulinarischen Genre, weil es etwas bietet, was Kaffeehäuser in anderen aktuellen Zentren der Kaffeekultur wie Kopenhagen, New York oder San Francisco meist nicht haben: hervorragendes Essen.

Die Wände des Reformatory Caffeeine Lab sind mit Graffiti aus dem Batman-Universum übersät, der Kaffee kommt in Labor-Messbechern und Cognacschwenkern.
Foto: Tobias Müller

Wer in Sydney oder Melbourne wirklich gut und vergleichsweise günstig essen will, der ist in Kaffeehäusern oft besser aufgehoben als in klassischen Restaurants. Sicher, der Avocado-Toast, das australische Äquivalent zu den Sacherwürsteln, fehlt auf keiner Speisekarte. Daneben findet sich aber meist erfrischend Kreatives. Reuben Hills etwa serviert eine ständig wechselnde Auswahl an Speisen aus den Ländern, aus denen die Bohnen stammen: chilenischen Rindfleischeintopf im Tontopf mit hausvergorenen Chilis oder hausgemachte Chilaquiles mit herrlich scharf-saurer frischer grüner Salsa.

Im Cornersmith, einem Kaffeehaus in Sydneys grünem Stadtteil Marrickville, können Nachbarn ihre überschüssige Ernte aus dem eigenen Garten gegen Kaffee tauschen, das Lokal macht daraus dann kreative Köstlichkeiten wie Sauerteigtoast mit Kürbis-Miso-Aufstrich und Kichererbsen oder einen Kohl-Kraut-Salat mit hausgemachtem Ziegenjoghurt.

Woher die große australische Kaffee-Begeisterung kam, weiß keiner so genau. "Vielleicht liegt es daran, dass Wein hier immer noch als Beschäftigung für alte Männer und als uncool gilt", sagt Cooper, "Die jungen Leute haben sich mit Kaffee ihr eigenes Ding geschaffen. Und wir konnten etwas völlig Neues aufbauen, weil es vor- her schlicht überhaupt keine Kaffeekultur gab." Für Jaramillo liegt es auch am Geld: "Wir zahlen einfach die besten Preise für die Bohnen", sagt er, "viele Händler kommen daher erst zu uns und bieten die beste Ware an."

Schicke Sorten

Unter den Röstern gibt es einen Wettbewerb, wer an die besten Bohnen kommt - oder an jene, die gerade besonders schick sind. "Vor ein paar Jahren etwa wollte jeder Bohnen, die noch in der Frucht getrocknet wurden", sagt Röster Cooper. "Das gibt dem Kaffee eine bestimmte Süße. Heute gilt das als ein bisschen ordinär." Derzeit besonders gefragt: sogenannter Geisha-Kaffee, eine Sorte, die aus Äthiopien stammt und in den 1960ern nach Lateinamerika kam. Die Sorte wurde lange geringgeschätzt und höchstens in kleinen Mengen angebaut, um sie mit anderen Bohnen zu mischen. Dann entdeckten die Kaffeebauern, dass Geisha-Bohnen pur ganz hervorragend schmecken und eine ganz ungewöhnliche Komplexität an Aromen hervorbringen können. Mittlerweile werden gute Ernten für mehrere Hundert Dollar pro Kilo gehandelt.

Jeden Montag wirft Reece Cooper im Reuben Hills die Röstmaschine an.
Foto: Tobias Müller

Viele Topbohnen werden auf Auktionen an den Höchstbietenden verkauft, manche besonderen Ernten bekommt man nur über gute Beziehungen. Die Bohnen für Jaramillos 20-Dollar-Kaffee kommen vom US-amerikanischen Spezialkaffee-Händler Ninety Plus. Deren Äthiopien-Chef, Semeon Abay, suchte für diese bestimme Mischung die besten Bohnen von insgesamt 14 äthiopischen Plantangen zusammen. Jamarillo kaufte die gesamte verfügbare Menge dieses Kaffees auf - etwa 30 Kilo für umgerechnet etwa 800 Euro pro Kilo. Er röstet sie nun selbst in kleinen Drei-Kilo-Chargen in seinem "Kaffeelabor" in der Sydneyer Vorstadt.

Ist der Kaffee das Geld wert? "Das muss jeder für sich entscheiden", meint Jaramillo. Sobald er den gebrühten Kaffee einmal im Schwenker kreisen lässt, erfüllt der Duft des Gebräus den ganzen Raum, zuerst riecht und schmeckt es stark nach Passionsfrucht, später kommen Blaubeeren und Schokolade dazu. Obwohl die Flüssigkeit hellbraun ist und optisch eher an Tee erinnert, hat sie Körper wie ein voller Rotwein. Während die Temperatur fällt, verändert und intensiviert sich der Geschmack ständig. Mit italienischem Espresso hat das nichts mehr zu tun. (Tobias Müller, Rondo Feinkost, DER STANDARD, 26.11.2014)