Bild nicht mehr verfügbar.

Matthew Miller (Mitte) bei seiner Rückkehr in die USA Anfang November 2014. Seit April war er in nordkoreanischer Gefangenschaft gewesen.

Foto: AP/Warren

Als der 26-jährige Matthew Miller nach Nordkorea einreiste, trieb ihn nur eine Angst um: Was passiert, wenn sie mich doch nicht verhaften? Seine Sorge schien berechtigt. "Sie wollten, dass ich das Land mit dem nächsten Flug verlasse", verriet der Amerikaner nun in einer langen Interview-Serie dem Onlinemedium "NK News". "Aber ich weigerte mich. Ich ging einfach nicht weg."

Miller musste seinem Schicksal mehrmals unter die Arme greifen, ehe sein Wunsch in Erfüllung ging: 15 Tage lang habe er jede erdenkliche Möglichkeit zur Konfrontation mit den Behörden gesucht. Sein Weg in die Einzelzelle war ein weiter.

Sollte uns dieses Geständnis wirklich überraschen? Jein.

Für viele Leitmedien zwischen New York und Berlin stand nach Millers Festnahme schnell fest: Das Kim-Regime würde die amerikanische Geisel als Einsatz nutzen, um sich für lästige Verhandlungen über sein Atomprogramm oder Menschenrechtsfragen eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Doch weit gefehlt: Miller musste die Behörden regelrecht überzeugen, ihn doch endlich in Haft zu nehmen.

Unzufrieden mit Medienberichterstattung

Wieso das Ganze? Die Begründung des Amerikaners für seinen Trip liest sich wie der Beschreibungstext dieses Blogs: Miller war unzufrieden mit der Berichterstattung über den Schurkenstaat und wollte sich selber ein Bild verschaffen. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Tatsächlich ergeben die spärlichen Puzzleteile, die man über seine Vergangenheit kennt, das Bild eines äußerst verwirrten jungen Mannes.

So soll sich Miller unter falscher Identität in südkoreanischen Manga-Foren herumgetrieben haben, um Zeichner für eine Comic-Fortsetzung von "Alice im Wunderland" zu engagieren. In Seoul besuchte er einen Debattierklub, in dem junge Koreaner ihr Englisch aufpolieren. Doch statt sich in die Konversationen einzuklinken, gab Miller den stummen Beobachter. Als er nach seinem Beruf gefragt wurde, antwortete er in britischem Akzent, dass er als Journalist arbeite.

Geistige Grenzgänger

Matthew Miller ist ein schräger Zeitgenosse, keine Frage. Ein Einzelfall ist er nicht. Ganz im Gegenteil: Er reiht sich in eine überaus lange Tradition ein. Wie ein Magnet zieht Nordkorea geistige Grenzgänger an. Im Folgenden ein Best-of:

Larry Abshier, ein Soldat aus Illinois, war 1962 der erste Amerikaner, der nach dem Korea-Krieg in den Norden flüchtete. Schon in der Wahl seiner überaus spektakulären Route erwies er sich als wahrer Pionier: Abshier überquerte die entmilitarisierte Zone, eine der am stärksten hochgerüsteten Regionen der Welt. In Nordkorea erlangte er umgehend Berühmtheit, als er in einer Reihe von Propagandafilmen den "bösen Imperialisten" mimte. 1983 starb er an einem Herzinfarkt in Pjöngjang. Seine Beerdigung war gut besucht und vom Staat finanziert.

Mitte der 90er-Jahre verschlug es den Amerikaner Evan Hunziker nach China – um zu missionieren, wie er damals bekundete. Die Regierung seines Heimatstaats Alaska vertrat hingegen eine andere Meinung: Hunziker wolle lediglich seinem Haftbefehl für Drogen- und Gewaltdelikte entkommen. Fakt ist: Im August 1996 schwamm der 26-Jährige über den Grenzfluss Yalu nach Nordkorea – nackt und, wie sich später herausstellte, stockbesoffen. Sein Grenzübertritt war nicht viel mehr als das Resultat einer spontanen Wette im Vollsuff. Wenig später wurde Hunziker nach seiner Festnahme in Nordkorea wieder entlassen, doch seine Dämonen blieben bei ihm. Im Dezember desselben Jahres nahm er sich das Leben.

Auch der koreanischstämmige Robert Park schwamm 2009 nach Nordkorea – nüchtern, aber "bewaffnet": mit einer Bibel und einem Dutzend handgeschriebener Briefe an Kim Jong-il. Seine bescheidene Forderung an den "Großen Führer" nach seiner Verhaftung lautete: Er solle alle Gefangenenlager schließen, deren Insassen freilassen und selber zurücktreten. Wenn es nötig sei, so bekundete Park, wolle er sich für die nordkoreanische Bevölkerung aufopfern. Park wurde zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, aber wenig später freigelassen.

Ein Jahr später war es wieder ein verdeckter Missionar, der in Nordkorea verhaftet wurde: Aijalon Gomes. Allerdings bekam er hochrangige Hilfe aus seinem Heimatland USA. Anlässlich seiner Freilassung berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Nordkoreas: "Jimmy Carter gab das Versprechen ab, dass solche Fälle nicht mehr vorkommen werden." Die Zusage konnte der ehemalige US-Präsident schließlich nicht einhalten. Manchmal wiederholt sich die Geschichte eben doch.

Bei Matthew Miller stand am Ende zumindest die Katharsis: "Mein Trip hat wahrscheinlich nichts geändert – außer mich selbst. (…) Für die nordkoreanischen und amerikanischen Beamten, die sich meines Falles angenommen haben, habe ich eine Menge Zeit verschwendet." (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 21.11.2014)