Wien – Tagelang war im Wiener Palais Coburg verhandelt worden, meist in aller Ruhe, dann wieder hektischer. Zwischendurch gingen die Verhandler auf den Balkon, besprachen sich mit ihren Delegationsmitgliedern, winkten den Journalisten auf dem Platz vor dem Gebäude zu – oder sie gingen spazieren, um in Ruhe telefonieren und ein bisschen vorweihnachtliche Luft schnappen zu können.

Spätestens ab Sonntagnachmittag verdichteten sich dann die Hinweise darauf, dass die Frist – der gestrige Montagabend – erfolglos, also ohne ein Atomabkommen, verstreichen dürfte. In Delegationskreisen machten am Montag Informationen die Runde, dass längst nur noch über das Procedere für eine Verlängerung der Frist geredet würde – schon lange nicht mehr über den Atomdeal mit dem Iran selbst.

Pressekonferenz von US-Außenminister John Kerry.
State.gov

Weitere Gespräche heuer

Der erste Außenminister der 5+1-Runde, der Konkretes nach außen dringen ließ, war der Brite Philip Hammond. Er sagte am frühen Montagnachmittag: "Wir mussten zu dem Schluss kommen, dass es nicht möglich ist, eine Vereinbarung zu erzielen, die für heute nötig gewesen wäre. Daher werden wir den JPOA (Joint Plan of Action, gemeinsamer Aktionsplan, Anm.) bis zum 30. Juni 2015 verlängern." Teheran soll laut Hammond bis zum neu gesetzten Fristende weiter die Möglichkeit für Sanktionserleichterungen im Volumen von rund 560 Millionen Euro monatlich bekommen.

Treffen der Außenminister im Palais Coburg.
European Union/EBS

Nächste Runde im Oman

Bis zum Sommer 2015 will man die Zügel keinesfalls schleifen lassen: Noch im heurigen Jahr soll es mindestens eine Verhandlungsrunde im Oman geben – allerdings auf Ebene von Experten, nicht von Außenministern oder gar Regierungschefs.

Für die Schlussrunde im nächsten Sommer – sofern der Zeitplan hält – sei Wien als Verhandlungsort neuerlich ein Thema, erfuhr DER STANDARD aus Kreisen des österreichischen Außenministeriums; es sei aber noch alles offen, noch nichts beschlossen.

US-Außenminister John Kerry kündigte am Montagabend an, dass binnen vier Monaten ein politisches Rahmenabkommen und binnen sieben Monaten eine endgültige Einigung in dem langjährigen Streit erreicht werden soll. Sollte es nach vier Monaten nicht zu einem politischen Durchbruch kommen, müsse man erneut überlegen, ob und wie weiter verfahren werden soll.

Nur von Wien, aber nicht vom Verhandlungstisch verabschiedete sich John Kerry.
Foto: cremer

Kerry: Welt heute sicherer

Ohne näher auf die Details der Verhandlungen der vergangenen Woche einzugehen, verwies er darauf, dass es auch weiterhin oberste Priorität sei, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten. An die Skeptiker eines Atom-Deals gerichtet sagte Kerry: "Die Welt ist heute sicherer als noch vor einem Jahr." Der Iran hätte sich an die Spielregeln gehalten und das Atomprogramm vorläufig auf Eis gelegt. Deshalb sei dies "nicht der Zeitpunkt, um vom Tisch aufzustehen und zu gehen." Ein nächstes Treffen soll bereits im Dezember stattfinden.

Ein Deal mit dem Iran könne nicht auf Vertrauensbasis geschlossen werden, sondern dessen Inhalte müssten zu jederzeit überprüfbar sein. "Es wird nicht leichter werden, die Verhandlungen werden hart bleiben, aber wir haben schon substanzielle Fortschritte erzielen können, deshalb werden wir daran festhalten", so Kerry.

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Gespräche ohne Durchbruch: US-Außenminister Kerry wendet sich zum Gehen nach einem Foto mit den Kollegen aus Großbritannien, Russland, dem Iran, Deutschland, Frankreich, der EU und China (von links nach rechts).
Foto: REUTERS/Joe Klamar

Die Minister der 5+1-Gruppe (die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) versuchten bis zuletzt einhellig, die Wiener Gespräche nicht als Scheitern darzustellen. So sprach der Russe Sergej Lawrow von "substanziellen Fortschritten". Ähnlich hatte sich auch Hammond kurz zuvor geäußert. Lawrow gab sich auch betont optimistisch, sich schon demnächst auf "grundlegende Prinzipien" eines endgültigen Abkommens verständigen zu können. Zeitrahmen: drei bis vier Monate, also rechtzeitig vor dem neuen Fristende.

Lawrows deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier sagte: "Trotz guter Verhandlungsbedingungen sind wir nicht so weit gekommen wie erhofft." In den letzten Tagen seien immerhin neue Ideen zu den technischen Details auf den Tisch gelegt worden. Diese müssten allerdings erst überprüft werden. "Wir müssen das jetzige Momentum nützen und konsequent weiterverhandeln." Die Chance zueinanderzufinden bestünde nach wie vor – wenngleich womöglich erst in einigen Monaten.

Skepsis und Erleichterung

Daran glaubt aber offenbar ein westlicher Diplomat nicht mehr, den Reuters zitierte: "Zehn Jahre lang wurden Vorschläge und Ideen behandelt. Ich bin skeptisch, dass wir ein Abkommen erzielen können, auch wenn wir die Frist verlängern."

Etwas Positives konnte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Ereignissen in Wien abgewinnen. Er sagte zu Journalisten fast erleichtert: "Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen."

Rohani-Ansprache

Gleich nach Bekanntwerden der Verlängerung der Frist für die Atomverhandlungen hat der iranische Präsident Hassan Rohani live im iranischen TV gesprochen. "Die Zukunft ist hell. Ein endgültiger Durchbruch bei den Verhandlungen wird gemeinsam mit der iranischen Bevölkerung erzielt werden. Die Vorgangsweise des Iran war und ist der Weg der Verhandlungen und der Diplomatie."

Und deswegen würden die Atomverhandlungen bis zu einem endgültigen Deal ernsthaft und gewissenhaft fortgeführt werden, ergänzte der Präsident. Hinsichtlich der umstrittenen Urananreicherungszentrifugen erklärte Rohani, dass diese niemals gänzlich gestoppt würden. Weiters versprach der als moderat geltende Kleriker, dass das Alltagsleben der Iraner in naher Zukunft besser werden würde – durch ein Ende der Sanktionen.

Khamenei unterstützt Verhandlungen

Irans Oberster Führer, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, will die internationalen Atomverhandlungen weiterhin unterstützen. Für ihn sei das vorläufige Scheitern in Wien Ergebnis der konsequenten Haltung des iranischen Atomteams, erklärte er am Dienstag.

"Die USA und die Europäer versuchten bei den Atomverhandlungen, den Iran in die Knie zu zwingen," sagte Irans religiöser Führer. "Sie waren aber nicht erfolgreich und werden es auch in der Zukunft nicht sein." (Gianluca Wallisch, Teresa Eder, derStandard.at, 24.11.2014)