An Wiener Volksschulen werden viele SchülerInnen unterrichtet die vermehrt einem sozioökonomisch schwachen Elternhaus entstammen. Sie wachsen unter erschwerten Bedingungen auf, sie sehen und erfahren Dinge, die sie in ihrem Alter besser nicht sehen sollten. Dies führt mitunter dazu, dass einzelne Kinder einen ganzen Vormittag versuchen das Klassenzimmer zu verwüsten, da sie keine andere Kommunikationsform kennen und können, um ihre krisenhafte Situation auszudrücken.

Unter solchen Bedingungen geschieht Regelunterricht, in dem keine Inklusion behinderter Kinder stattfindet. Das ist die Schulrealität eines Großteils der Wiener Pflichtschulen. Eigentlich sollte schon der Nicht-Inklusions-Unterricht an diesen Schulen von zwei qualifizierten LehrerInnen durchgeführt werden.

Es bräuchte eine diese Probleme thematisierende Didaktik abseits der Begriffe 'Offener Unterricht' und 'Frontalunterricht'. Es bräuchte aber auch mehr SozialarbeiterInnen, die sich der Probleme im nicht-schulischen Umfeld annehmen. Es bräuchte mehr Ressourcen.

Unter diesem Hintergrund darf, ja muss, gefragt werden, was Frau Schulze meint, wenn sie sagt: "Zuversicht ist für mich keine Arbeitskategorie." Heißt das, machen wir einfach mal, und schauen wo's hinführt und wenn's denn nicht funktioniert, finden wir sicher einen Schuldigen – bestimmt aber nicht uns, denn dies wurde schon zu Anfang durch diesen gefinkelten Schachzug ausgeschlossen: Sie ist ja nur durchführendes Organ der UN.

Neue Ausbildung für LehrerInnen

Wer aufmerksam die Debatte um die LehrerInnenbildung NEU verfolgt hat, dem mag aufgefallen sein, dass die SonderschullehrerInnenausbildung abgeschafft wurde; quasi als erster Schritt hin zur Abschaffung der Sonderschule. Ein Wieso bleibt im Raum stehen, denn natürlich werden auch ohne den speziellen Schultypus weiterhin Profis der Sonderpädagogik benötigt.

Die Antwort darauf ist erschreckend einfach: In Zukunft werden die Studieninhalte der Sonderpädagogik, die vorher innerhalb dreier Jahre gelehrt wurden, in eine um ein Jahr verlängerte VolksschullehrerInnenausbildung, gepackt.

Das heißt, innerhalb von nur vier Jahren müssen sich VolksschullehrerInnen Primar- und Sonderpädagogik aneignen. Zwei Szenarien könnten die Folge sein: Erstens, wozu denn zwei LehrerInnen in eine Inklusions-Klasse stellen, wenn der/die eine sich doch eh ein bisserl mit Sonderpädagogik auskennt? Ist ja ressourcenschonender.

Zweitens, ein auf vier Jahre erweitertes Studium kann womöglich nicht die gesamte Sonderpädagogik abdecken, die zuvor in einem dreijährigen Studium gelehrt wurde. Das gängige Praxisargument, demnach man nur in der Unterrichtspraxis das Unterrichten lernt, ist Augenwischerei.

In einem professionellen LehrerInnenverständnis heißt Unterrichten auch reflektieren, um dadurch SchülerInnen den für sie notwendigen Unterricht besser zu ermöglichen. Ohne theoretische Fundierung allerdings verhaftet die Reflexion im Alltagsdenken und Unterricht wird beliebig.

Der Verdacht kommt auf, dass es bei der Abschaffung der SonderschullehrerInnenausbildung nicht um eine Verbesserung der Unterrichtsqualität – womit ich keine quantifizierbare Qualität meine – ging, sondern im Hinterkopf der EntscheidungsträgerInnen Einsparungsgedanken ihr Unwesen trieben.

Der Unwille, Ressourcen bereitzustellen, ist Schulrealität

Deshalb müsste "Zuversicht als Arbeitskategorie" in Betracht gezogen werden – denn notwendigerweise schließt die Zuversicht auch ihr Gegenteil, die Nicht-Zuversicht, mit ein. Demnach die Erkenntnis, dass es womöglich unter den derzeitigen Bedingungen keine Möglichkeit einer gelungenen Inklusion geben kann.

Es darf nicht vergessen werden: Diese Bedingungen bleiben auch bei jeder noch so radikalen Reform Bedingungen. Das Herausreden auf ein Leiterin-Dasein "eines Gremiums, dessen Aufgabe es ist, die Einhaltung eines Völkerrechtsvertrages auf nationaler Ebene zu überwachen" und die inflationäre Verwendung von Plastikwörtern blendet bewusst Realitäten aus.

Lasst uns also über Inklusion reden, frei von Polemik. Lassen wir eine grundanständige inhaltsbezogene Reflexion und Analyse der Bedingungen und Möglichkeiten unseres Bildungs- und Schulsystems zu. Dabei müssen KritikerInnen der geplanten Reform als auch das mit der Umsetzung betraute LehrerInnenpersonal ernst genommen werden. Wir müssen in einen konstruktiven Diskurs treten. Und wir brauchen eine gemeinsame Lösung. Denn bei einem sind wir uns einig, Frau Schulze und ich, der Mensch ist Mensch; eine gemeinsame Schullaufbahn sensibilisiert dafür. (Tobias Becker, derStandard.at, 24.11.2014)