Seit 2008 gibt es in Österreich keine Erbschaftssteuer mehr, im Gegensatz zu 19 EU-Ländern, darunter Deutschland. "Die Regierung verschenkt mit dem Verzicht Milliarden an Reiche und Superreiche" sind die Grünen überzeugt. Die SPÖ spricht sich für eine Wiedereinführung aus, die ÖVP kann sich das nicht vorstellen. Jens Beckert hat sich mit der Abgabe in all ihren Facetten beschäftig. Eine Erkenntnis: In keinem westlichen Land hatte die Erbschaftssteuer historisch jemals eine Umverteilungswirkung.


STANDARD: Worauf man sich verlassen kann: Kommt die Rede auf die Erbschaftssteuer, wird gestritten. Wieso ist das so?

Beckert: Vermögensvererbung trägt soziale Ungleichheit von einer Generation zur nächsten. Erbschaften per se sind nicht die Verursacher, sie verhindern jedoch, dass ungleiche Vermögensverteilung mit dem Tod der vermögenden Person korrigiert wird. Insofern ist Erben nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern berührt unser Selbstverständnis von Gesellschaft.

STANDARD: Geerbtes Vermögen bezeichnen Sie als "unverdientes Vermögen". Ist die verhältnismäßig geringe, wenn nicht überhaupt abgeschaffte steuerliche Belastung wie in Österreich ein neueres Phänomen?

Beckert: Erbschaftsabgaben gibt es quasi seit immer. Sie waren historisch betrachtet sehr gering, nicht progressiv und schlossen in der Regel auch direkte Familienangehörige aus. Die moderne progressive Erbschaftssteuer mit hohen Steuersätzen ist ein Kind des frühen 20. Jahrhunderts. Seit den siebziger Jahren lässt sich dann beobachten, dass Erbschaftssteuern entweder verringert oder sogar ganz abgeschafft wurden. Das gilt für die ganze westliche industrialisierte Welt.

Jens Beckert. Seit den siebziger Jahren wurden Erbschaftssteuern verringert oder abgeschafft.
Foto: MPI für Gesellschaftsforschung / Matthias Jung

STANDARD: Heute wird im Zuge der Verteilungsdebatte wieder recht intensiv über das Thema geredet. Wie hat sich das entwickelt?

Beckert: Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Vermögensvererbung sehr viel stärker Thema in der Öffentlichkeit aber auch in den Sozialwissenschaften und in der politischen Philosophie. Es verschwand in der Nachkriegszeit und rückte erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wieder stärker in den Blick. Hintergrund ist die Vererbung der in der Nachkriegszeit erwirtschafteten Vermögen und die steigende Vermögensungleichheit.

STANDARD: Sprechen über die Materie ruft stets heftige Emotionen hervor. Warum ist das so?

Beckert: Viel davon hängt mit der Erbschaftssteuer zusammen. Erbschaftssteuer heißt ja, dass der Staat sich einen Teil des Erbes aneignet. Im deutschen Wahlkampf 2013 gab es eine Umfrage zum Thema Steuererhöhungen. Jeweils eine Mehrheit der Bevölkerung hat sich für die Erhöhung der Einkommenssteuer und für die Einführung von Vermögenssteuern ausgesprochen, aber eine Zwei-Drittelmehrheit gegen die Erhöhung der Erbschaftssteuer.

STANDARD: Das gälte wohl auch anderswo?

Beckert: Der Befund gilt für viele Länder. Wenn man mit einem Freibetrag rechnet, der nicht unglaublich hoch sein muss, sind die allermeisten Erben aber gar nicht von einer Steuer betroffen. Das ist erst einmal schwierig zu verstehen, denn man würde ja vermuten, dass die Menschen insbesondere Steuern befürworten, von denen sie nicht selbst betroffen sein werden.

STANDARD: Hat das nicht ganz einfach auch damit zu tun, dass es sich beim Sterben und Erben um eine sehr intime Angelegenheit handelt?

Beckert: Erbschaften werden von Erben und Erblassern als Special Money, als spezielles Geld betrachtet. Sie sind nicht irgendein Vermögen, sondern mit dem Tod einer in der Regel geliebten Person, und damit ganz eng mit dem Verhältnis zwischen Erblasser und Erben und der Identität der Familie verbunden. Man kann über sie nicht neutral und sachlich debattieren, weil in ihnen sämtliche Familienbeziehungen mit all ihren Verstrickungen enthalten sind. In den Widerständen gegen die Erbschaftssteuer kommt dies ebenso zum Ausdruck wie in den häufigen Erbstreitigkeiten.

STANDARD: Wenn Sie vom 19./20.Jahrhundet als Geburtsstunde der modernen Erbschaftssteuer sprechen, so gibt es wohl eine Übereinstimmung zu heute: Der Staat brauchte Geld.

Beckert: Zwei Entwicklungen waren zusammengefallen: Das eine war der Ausbau von Staatsfunktionen. Der moderne Staat hat sich rund um die Jahrhundertwende mit seinen vielfältigen Aufgaben konstituiert. Eine kostspielige Aufgabe war die Errichtung von sozialen Sicherungssystemen. Wenn sie Deutschland im 20. Jahrhundert nehmen, führte auch die Aufrüstungspolitik des Reichs zum starken Ansteigen der Staatsausgaben. Die zweite Entwicklung war, dass in dieser Zeit soziale Bewegungen erstarkten, die an dem bestehenden ungerechten Steuersystem Anstoß nahmen: Die Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften, aber auch sozialliberale bürgerliche Strömungen gehörten dazu. Die progressive Erbschaftssteuer war als Teil eines insgesamt gerechterer Steuersystems gedacht.

STANDARD: Wie haben die Ökonomen diese Abgabe beurteilt?

Beckert: Für die frühen Positionen in der liberalen Ökonomie stand die Befürchtung im Vordergrund, dass eine Erbschaftsbesteuerung die Kapitalbildung in der Wirtschaft behindert. Mit der Besteuerung würde den Unternehmen Eigenkapital entzogen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit reduziert, lautete das Argument.

STANDARD: Es hält sich bis heute. Ist es nicht plausibel?

Beckert: In den Frühformen des Kapitalismus war es berechtigter, weil damals sehr viel mehr Unternehmen als Privat- oder Familienunternehmen geführt wurden und Kapitalmärkte viel weniger entwickelt waren. Das Argument spielt ja keine Rolle, wenn Sie etwa an große Aktiengesellschaften denken. Besteuert wird ja nicht die Aktiengesellschaft, sondern zum Beispiel die Erben von Frau Klatten, der große Anteile an BMW gehören. Wenn sie stirbt, und es wäre eine hohe Erbschaftssteuer fällig, dann müssten die Erben zur Begleichung der Steuerschuld am Finanzmarkt Aktien von BMW verkaufen. Das ist für das Unternehmen unerheblich.

STANDARD: In Deutschland werden Unternehmen mit Erbschaftssteuer zwar gering – aber immerhin belastet. Wie sieht die Abgabe dort aus?

Beckert: Betriebsvermögen kann seit einer Reform 2009 unter bestimmten Voraussetzungen quasi erbschaftsteuerfrei an die nächste Generation gehen. Vereinfacht gesagt ist es seither so, dass wenn die Beschäftigung im Unternehmen gehalten wird, die Erbschaftssteuer fast vollständig erlassen wird. Genau mit dem Argument, das Adam Smith damals auch angeführt hat. Die Regelung ist allerdings verfassungsrechtlich umstritten, weil sie zur Ungleichbehandlung verschiedener Vermögensarten führt.

Im frühen 20. Jahrhundert sprachen sich etliche amerikanische Ökonomen für eine hohe Belastung von Erbschaften aus. Mit dem Argument, dass die Vermögenskonzentration in der Gesellschaft für die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung schädlich ist.
Foto: MPI für Gesellschaftsforschung / Matthias Jung

STANDARD: In den USA werden Erbschaften belastet. Zu manchen Zeiten war die Abgabe dort sehr, sehr hoch. Trotzdem ist die Ungleichheit sehr ausgeprägt. Muss man nicht die umverteilende Wirkung anzweifeln?

Beckert: Mitte der 1930er Jahre bis ungefähr 1980 gingen die Erbschaftssteuersätze bis auf 77 Prozent. Dann gab es noch Zusatzsteuern. Die Belastung konnte bis zu 90 Prozent erreichen. Im frühen 20. Jahrhundert sprachen sich etliche amerikanische Ökonomen für eine hohe Belastung von Erbschaften aus. Mit dem Argument, dass die Vermögenskonzentration in der Gesellschaft für die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung schädlich ist. Man muss jedoch mit bedenken, dass das amerikanische Steuersystem jede Menge Schlupflöcher hatte und teilweise immer noch hat. Es war ein leichtes, sich der Nachlasssteuer zu entziehen.

Es gab eine kurze Periode in der Mitte der 1930er Jahre, während der das Aufkommen aus der Nachlasssteuer auf zehn Prozent des Gesamtsteueraufkommens stieg. Wenn überhaupt, kann man in dieser Periode von einem Umverteilungseffekt sprechen. Ansonsten lag das Steueraufkommen aus der Nachlasssteuer trotz dieser hohen Sätze nicht über zwei Prozent und hatte fast keinen Einfluss auf die Vermögensverteilung. In keinem westlichen Land hatte die Erbschaftssteuer übrigens historisch jemals tatsächlich eine Umverteilungswirkung.

STANDARD: In den USA gibt es bekanntlich sehr berühmte Menschen, die ihr erarbeitetes Vermögen in diverse Stiftungen einbringen. Damit wird dem Gedanken Rechnung getragen, dass Chancengleichheit eher herzustellen ist, wenn die Nachkommen nicht soviel Vermögen erben. Macht das die Welt gerechter?

Beckert: Dieser Stiftungsgedanke hat beginnend mit dem 19. Jahrhundert in den USA eine lange Tradition. Die berühmteste Stiftung ist wohl jene Andrew Carnegies. Carnegie ist bis heute interessant, weil er sich auch in Abhandlungen mit der Frage beschäftigt hat, warum man sein Vermögen nicht an die Kinder vererben soll, sondern an Stiftungen.

STANDARD: Warum soll man?

Beckert: Dahinter steckt ein ganz protestantischer Gedanke, der sich so ausdrückt: Ich als Carnegie zeige als Selfmade-Millionär, welche ungeheure Leistungsfähigkeit ich habe. Aber meine Kinder fallen ins gemachte Nest und werden dadurch möglicherweise auch in ihren Erwerbswerten zerstört. Warum sollen die sich noch anstrengen? Als Ergebnis bekommen die Kinder eine tolle Ausbildung und im Zweifelsfall auch etliche Millionen, aber eben nicht diese Milliarden-Vermögen.

Die Stiftungen, die dann mit dem Großteil des Vermögens errichtet werden, sehe ich ambivalent: Das Stiftungsvermögen wird zwar einem gemeinnützigen Zweck zugeführt, aber dieser wird ausschließlich von Stifter bestimmt. Würde man dieses Vermögen durch eine Erbschaftssteuer in den Haushalt einstellen, wäre es durch den Haushaltsbeschluss des Parlaments in seiner Verwendung demokratisch legitimiert.

STANDARD: Andererseits bringen diese Stiftungen vielen Begründern zusätzlich jede Menge Ruhm.

Beckert: Der Reichtum selbst bringt sozialen Status, man denke nur an Bill Gates. Ironischerweise findet eine weitere Steigerung des sozialen Status jedoch statt, indem das ungeheure Vermögen für gemeinnützige Zwecke quasi verschenkt wird. Insofern ist stiften nicht einfach ein altruistischer Akt. Und jemand wie Bill Gates übt selbstverständlich auch Macht aus über das Geld, das er weggibt. Damit lässt sich eine politische Agenda verfolgen, ohne jegliche demokratische Kontrolle.

STANDARD: Im Sinne der Chancengleichheit könnte man vollkommen unspektakulär sein Geld Highschools in unterprivilegierten Stadtvierteln zur Verfügung stellen, statt es an Elitehochschulen zu spenden. Gerade in einem Land, wo auf Chancengleichheit so viel Bedacht genommen wird, fast noch mehr als bei uns, oder?

Beckert: Das ist tatsächlich paradox in den USA. Der Diskurs über Vermögensvererbung war dort vor dem Hintergrund des normativen Ideals der Chancengleichheit sehr viel kritischer als in den europäischen Ländern. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch und bis heute war es für amerikanische Liberale ein großes Problem, dass Vermögen leistungsfrei an die nächste Generation vererbt werden. Faktisch jedoch tolerieren und perpetuieren die USA soziale Ungleichheit in noch größerem Maße als die meisten kontinentaleuropäischen Gesellschaften.

STANDARD: Stichwort: Leistungsfrei. Wir in unseren Breiten verstehen uns auch als Leistungsgesellschaft. In Österreich aber auch in Deutschland wird geklagt, dass Arbeit sehr hoch besteuert wird. Warum wird genau hier der Leistungsgedanke überhaupt nicht in Rechnung genommen?

Beckert: Historisch gab es diese Diskussion natürlich. Aber in der Nachkriegszeit hat sie aufgehört. Der Hintergrund in den europäischen Gesellschaften ist, dass damals durch die Zerstörung von Vermögen im Krieg Erbschaften zunächst einmal eine relativ geringe Rolle gespielt haben. Zumindest meinte man das. Erst seit den1990er Jahren gibt es für das Thema wieder vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit. Auch vor dem Hintergrund, dass wir klar sehen, dass die die relativ egalitäre Verteilung in der Nachkriegszeit sich seit den 1980er Jahren verändert und es eben tatsächlich eine immer stärkere Konzentration von Vermögen gibt.

STANDARD: In Österreich fielen die Erträge aus der Erbschaftssteuer kaum ins Gewicht. Auch in Deutschland ist das Aufkommen nicht sehr hoch. Über welche Höhe müsste man diskutieren, um tatsächlich von einer verteilungspolitischen Wirkung ausgehen zu können?

Beckert: Ich habe einmal den Vorschlag formuliert, dass man Erbschaften in Höhe von Einkommen besteuert. In Deutschland liegt die Einkommenssteuer bei maximal 45 Prozent, Erben müssten damit die knappe Hälfte an den Staat abführen. Über die Freibeträge würde man die kleinen Vermögen schützen und dadurch zu einer egalitäreren Verteilung von Vermögen kommen. Der Hintergrund für diesen Vorschlag ist, das mir unverständlich ist, wie sich in einer Gesellschaft, die sich als Leistungsgesellschaft versteht, Arbeit – die ja ganz offensichtlich Leistungserbringung bedeutet - so viel höher besteuert werden kann, als Erbschaften, die leistungsfrei erlangt werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Arbeit und Erbe gleich zu besteuern: Das brächte erhebliche Steuereinnahmen, sagt Jens Beckert.
Foto: EPA/Kefalas

Mir erscheint es normativ plausibel zu sagen, dass Arbeit und Erbe zumindest gleich hoch besteuert werden sollen. Die zusätzlichen Steuereinnahmen, die dann erheblich wären, könnte man nutzen, um insgesamt die Steuersätze zu reduzieren. Mir geht es darum, zwischen den Einkommensarten umzuverteilen und Arbeit tendenziell zu entlasten, um Anreize für Arbeit zu stärken. Politisch durchsetzen lässt sich dieser Vorschlag nicht.

STANDARD: Krise hin oder her würde wohl ein großer Kuchen zu verteilen sein, denn die Privatvermögen steigen in Deutschland ebenso wie in Österreich?

Beckert: Für Deutschland liegen die Schätzungen des vererbten Vermögens zwischen 100 und 200 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind ganz grob überschlagen zwischen vier und acht Prozent des Bruttosozialprodukts. In Deutschland werden etwa vier Milliarden Euro an Erbschaftssteuer eingenommen. Wir sprechen also über eine Besteuerung von Erbschaften zwischen zwei und vier Prozent. Die möglichen Umverteilungseffekte der Erbschaftssteuer werden nicht genutzt.

STANDARD: In Österreich ist die Erbschaftssteuerdebatte untrennbar mit dem Wort Neid verknüpft. Ist da etwas dran?

Beckert: Zwei dominante Themen bringen in dieser Debatte die Emotionalität zum Ausdruck: Neidsteuer und doppelte Besteuerung. Letzteres ist verbunden mit der Vorstellung, dass alles Erbe schon versteuertes Geld sei und dieses nun ungerechterweise noch einmal versteuert werden soll.

Das ist falsch, weil es zwar vom Erblasser besteuert wurde, nicht aber vom Erben. Es ist aber ein Vermögensübergang, der durch das Vererben stattfindet. Das ist so, als wenn wenn sie sagen würden, das Geld das sie morgens beim Bäcker für Brötchen ausgeben, haben sie auch schon versteuert, warum soll der Bäcker das dann noch einmal versteuern? Das halte ich schlichtweg für eine irreführende Argumentation.

STANDARD: Und der Neid?

Beckert: Neid ist eine der Todsünden und niemand will natürlich als neidisch erscheinen, insofern ist das ein sehr kraftvolles Argument für all diejenigen, die sich gegen die Besteuerung von Erbschaften aussprechen. Es geht aber letztendlich nicht um die Frage, gönne ich es jemanden zu erben oder nicht. Es geht darum, wie wir es mit dem Leistungsprinzip halten und welche Ungleichheit der Vermögen wir in unserer Gesellschaft für tolerabel halten.

Wollen wir eine Gesellschaft, in der eine kleine Elite über Generationen hinweg Vermögensprivilegien aufrecht erhalten kann? Damit entstehen Prozesse der sozialen Schließung, die wirtschaftliche Entwicklung und das demokratische Gesellschaftsgefüge behindern. Die Regulierung der Vermögensvererbung ist nicht nur eine private Angelegenheit, sondern wichtig für die Entwicklung unserer Gesellschaft als ganzer. Neid ist da schlicht die falsche Kategorie. (Regina Bruckner, STANDARD, 13.12.2014)