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"Die härteste Strafe, die man abräumen kann." Michael B., kürzlich aus der Justizanstalt im 5. Bezirk entlassen, berichtet von Blitzabfertigungen, Gefälligkeitsgutachten und Ausschlussdiagnosen.

Foto: APA/Roland Schlager

Wien - An einem kalten Novembertag sitzt er auf einer Parkbank, mit dem Rücken zu dem Ort, an dem er vier Jahre seines Lebens verbracht hat. Michael B. wurde vor wenigen Tagen aus der Justizanstalt Mittersteig in Wien-Margareten entlassen, wo er wegen besonderer Gefährlichkeit nach Paragraf 21 im Strafgesetzbuch in den Maßnahmenvollzug eingewiesen wurde; in eine Anstalt also, in der ein therapeutischer Behandlungsauftrag besteht. B. wurde aufgrund verschiedener Gewaltdelikte und eines Sexualdeliktes verurteilt, das er bestreitet.

Er erzählt, dass er den Lebensmut nicht verloren habe, wie es vielen Insassen passiere. Er nahm das Therapieangebot an, studierte Jus, baute sich Kontakte auf und machte seine Kritik publik: "Für mich ist der Maßnahmenvollzug die härteste Strafe, die man in Österreich überhaupt abräumen kann", sagt der 36-Jährige mit den blond gefärbten, nach hinten gekämmten Haaren. "Man weiß nicht, wann oder ob man jemals wieder entlassen wird."

Auf unbestimmte Zeit hinter Gittern

Entgegen der ursprünglichen Idee - Therapie und Resozialisierung - stehe heute der Gedanke, Täter möglichst lange wegzusperren, immer stärker im Vordergrund. "Gefälligkeitsgutachten", Ausschlussdiagnosen (DER STANDARD berichtete) und "Blitzabfertigungen" bei der Entlassungsanhörung machten es der Justiz leicht, die Betroffenen auf unbestimmte Zeit hinter Gittern zu halten.

Mit seiner Kritik steht der gelernte Informatiker nicht allein da. Spätestens seit dem Fall des verwahrlosten Insassen in der Justizanstalt Krems-Stein wird der Ruf nach einer Reform des Maßnahmenvollzugs immer lauter. Justizminister Wolfgang Brandstetter setzte im Frühjahr wegen "massiver struktureller Schwächen" eine Arbeitsgruppe ein. Betreuungs- und Personalmangel, fehlende Standards für Gutachten und Inhaftierungen, die weit über das Strafmaß hinausgehen, sind nur einige der Kritikpunkte.

Michael B. geht in einem Text, den er für die Insassenzeitschrift "Blickpunkte" verfasste, noch weiter: Er schreibt, dass Gutachter, Richter und Haftanstalten zu Tätern würden, indem sie die eigentlichen Straftäter zu Justizopfern machten. Auf fast 30 Seiten schildert B. detailliert die gegensätzlichen Schlussfolgerungen seiner Gutachten. Um zu unterstreichen, dass es sich nicht um ein "bedauerliches Einzelschicksal" handelt, wie er oft zu hören bekomme, beschreibt er andere Fälle, in welchen den Insassen vermittelt werde, wie es ist, wenn man zum Opfer wird: "Ohnmächtig, wehrlos, perspektiv- und hoffnungslos."

Zeitschrift wird eingestellt

Der Text löste Widerstand aus. Die aktuelle Ausgabe der "Blickpunkte" soll laut Recherchen des STANDARD und des TV-Senders Puls 4 ohne B.s Text gedruckt werden. Der Hintergrund: Peter Prechtl, Leiter der Vollzugsdirektion, fungiert als Medieninhaber. Mitarbeiter der Justizanstalt drohten mit einer Klage wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Das Thema freie Meinungsäußerung sei problematisch, wenn man Behördenvertreter und Herausgeber zugleich sei, sagt Prechtl gegenüber dem STANDARD. Man habe nichts zu verbergen, aber B.s Artikel belaste die Anstalt. Der Strafvollzug sei eben "ein System, das nicht hundertprozentig hinhaut". Die Zeitschrift wird Prechtl zufolge künftig komplett eingestellt.

Dass Michael B. - einen Monat und 20 Tage vor Strafende - entlassen wurde, sei in erster Linie Glück, sagt er. Das öffentliche Interesse sei aber auch ausschlaggebend: "Mit einem Insassen, den keiner kennt, kann man machen, was man will. Mein Aufenthalt wurde der Justiz unangenehm. Das ist ein Machtapparat, der seine Ruhe haben will." (Christa Minkin, DER STANDARD, 25.11.2014)