Ferguson/Washington – Der weiße Polizist Darren Wilson muss sich für seine Todesschüsse auf den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Michael Brown in der US-Kleinstadt Ferguson (Missouri) nicht vor Gericht verantworten. Die Geschworenenjury sehe keine hinreichenden Beweise für eine Straftat, gab die Staatsanwaltschaft am Montag in Clayton bekannt. Die Nationalgarde soll zusammen mit zahlreichen Polizisten für Ruhe sorgen. Dennoch kam es zu Krawallen.
Die Polizei setzte Tränengas und Rauchbomben gegen hunderte Demonstranten ein, die die Beamten mit Flaschen und Dosen attackierten. Zahlreiche Schüsse fielen. Autos und Geschäfte gingen in Flammen auf, mindestens zwölf Gebäude wurden angezündet. Es kam zu Plünderungen, 29 Menschen wurden festgenommen. Berichte über Verletzte lägen aber nicht vor, teilte die Polizei mit. Zur Sicherheit des Flugverkehrs wurde ein Überfliegen der Kleinstadt verboten.
Es sei niemand getötet worden, weder unter den Demonstranten noch bei der Polizei. Die Gewalt habe ein schlimmeres Ausmaß angenommen als erwartet und die Unruhen deutlich größer als jene, die unmittelbar nach den tödlichen Schüssen des Polizisten auf den Jugendlichen im August ausgebrochen waren, gab der Polizeichef von St. Louis, John Belmar, zu.
Auch im benachbarten University City kam es zu einem gewaltsamen Zwischenfall, bei dem ein Polizist durch Schüsse am Arm verletzt wurde, berichtete die Polizei. Es war unklar, ob es einen Zusammenhang mit den Unruhen in Ferguson gab.
Die Unruhen griffen auch auf andere Städte über. Proteste seien auch aus New York, Chicago und der Bundeshauptstadt Washington sowie aus Oakland in Kalifornien und Philadelphia gemeldet worden, berichtete der Sender NBC.
Notstand bereits vergangene Woche ausgerufen
Die Polizei hatte sich zuvor bereits auf mögliche Krawalle vorbereitet. Der Gouverneur von Missouri, Jay Nixon, hatte vergangene Woche den Notstand ausgerufen und die Nationalgarde mobilisiert. Kurz vor Bekanntgabe der Entscheidung der Jury rief er zur Zurückhaltung auf.
Familie von Michael Brown ruft zur Ruhe auf
Die Familie von Michael Brown zeigte sich nach der Entscheidung der Jury enttäuscht. "Wir sind zutiefst enttäuscht, dass sich der Killer unseres Kindes nicht den Konsequenzen seiner Taten stellen wird", ließen seine Eltern über ihren Anwalt mitteilen. Sie riefen aber gleichzeitig zur Ruhe auf. "Auf Gewalt mit Gewalt zu antworten ist keine angemessene Reaktion", heißt es in der Mitteilung. Zugleich bekräftigten sie ihre Forderung, dass jeder Polizist in den USA künftig eine Kamera am Körper tragen muss.
Die drei schwarzen und neun weißen Geschworenen beschäftigten sich rund drei Monate lang mit dem Fall. Sie hätten jedes einzelne Beweisstück und jede Zeugenaussage genauestens überprüft, sagte Staatsanwalt Robert McCulloch.
Wilson hatte Brown am 9. August nach einer Auseinandersetzung erschossen. Der Tod des 18-Jährigen hatte in der 20.000-Einwohner-Stadt schwere Unruhen ausgelöst. Die Demonstranten forderten eine umfassende juristische Aufklärung. Der Polizist beruft sich auf Notwehr.
Obama verteidigt Geschworenenjury
US-Präsident Barack Obama hat die Entscheidung der Geschworenenkammer verteidigt. "Wir sind eine Nation, die auf dem Rechtsstaatsprinzip gründet", sagte Obama am Montagabend (Ortszeit) in Washington. Es sei die Aufgabe des Gremiums gewesen, über den Fall zu urteilen. Zugleich rief Obama auf, nicht mit gewaltsamen Protesten zu reagieren. "Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt", sagte er. Die Polizei forderte er auf, friedliche Proteste mit Vorsicht und Zurückhaltung zu begleiten.
Die ganze Situation sei aber auch exemplarisch für bestehende Herausforderungen in den USA, sagte der Präsident. Es gebe immer noch ein tiefes Misstrauen von Bevölkerungsgruppen gegenüber der Polizei. "Es gibt immer noch Probleme, und die schwarzen Gemeinden erfinden die nicht einfach nur."
US-Sportstars haben kein Verständnis für Entscheidung
Mit Unverständnis haben schwarze US-Sportstars auf die Jury-Entscheidung reagiert, den weißen Polizisten nicht für seine Schüsse auf den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen anzuklagen. "Wow. Einfach wow. Beschämend. Was muss noch passieren???", twitterte die Weltranglisten-Erste im Frauentennis, Serena Williams.
Und auch Basketball-Legende Earvin "Magic" Johnson bekannte: "Ich bin sehr enttäuscht über die Entscheidung im Fall Mike Brown in Ferguson." Mehr Nachdenklichkeit forderte Basketballstar LeBron James: "Was können wir als Gesellschaft besser machen, damit solche Dinge aufhören und nicht immer wieder passieren!!"
Hintergrund: Grand Jury
Bei der Geschworenenjury, die die Entscheidung am Montag gefällt hat, handelt es sich um eine sogenannte Grand Jury, die nicht für Gerichtsverfahren, sondern vielmehr vor Prozessen versammelt werden.
Die Aufgabe von Grand Jurys ist es einzig und allein, vorliegende Beweise in möglichen Verbrechensfällen zu prüfen und zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden soll. Grand Jurys werden daher auch Anklagekammern genannt. Zumeist werden sie eingeschaltet, wenn es sich um größere und kontroverse Fälle handelt – das heißt, wenn die Staatsanwaltschaft nicht allein über eine mögliche Anklageerhebung entscheiden will.
In der Regel werden die Gremien nicht für einen speziellen Fall, sondern für einen längeren Zeitraum bestimmt, etwa für ein halbes Jahr. Sie werden dann einberufen, wenn über eine Anklage entschieden werden soll.
Grand Jurys gibt es in den USA auf Bundesebene und in vielen, aber nicht allen US-Bundesstaaten. Anders als in Prozessen kann das Gremium mehr als zwölf Mitglieder haben. Die Schwelle für eine Anklage ist zumeist relativ niedrig: Es reicht aus, wenn die Jury einen begründeten Verdacht sieht. Im Fall des erschossenen schwarzen Teenagers Michael Brown war die Prozedur nach Angaben von Rechtsexperten aber ungewöhnlich: Den Geschworenen sei weitaus mehr Beweismaterial präsentiert worden als sonst üblich.
Das Verfahren erfolgt stets hinter verschlossenen Türen, und in der Regel sind weder der Beschuldigte noch dessen Rechtsvertreter anwesend. Auch muss die Entscheidung nicht einstimmig fallen. Das Gremium, das in Ferguson beriet, hatte zwölf Mitglieder. Für eine Entscheidung reichte eine Mehrheit von neun Juroren aus. (APA, 25.11.2014)