EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat - zumindest auf absehbare Zeit - nicht zu befürchten, dass er persönlich oder gar seine ganze Kommission wegen der Steuerpraxis in Luxemburg das Vertrauen der Mehrheit im Europäischen Parlament verliert. Der langjährige Premierminister des Kleinstaates bleibt aber weiter unter starkem politischem Druck. Ihm wird seit Wochen vorgeworfen, große internationale Konzerne bei der Steuervermeidung in anderen EU-Staaten mit speziellen Deals in Luxemburg bewusst begünstigt zu haben, was der nunmehrige Kommissionspräsident strikt zurückweist.

"Ja, er ist definitiv beschädigt", fasst der Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, die Stimmung unter den europäischen Sozialdemokraten zusammen. Die Lage sei so, dass Juncker "nicht die moralische Autorität hat", der er jetzt brauchen würde.

Gegen Misstrauensantrag

Dennoch wird die SP-Gesamtfraktion in Straßburg, so wie auch die Europäische Volkspartei (EVP) mit den Grünen und Liberalen am Donnerstag gegen einen Misstrauensantrag stimmen, den ein Interessensbündnis von rechtsextremen und EU-skeptischen Abgeordneten um den Briten Nigel Farage und die Französin Marine Le Pen gegen die gesamte Kommission eingebracht haben.

Es gehe ihnen nicht um das Wohl Europas, sondern darum, die europäischen Institutionen zu schwächen, argumentiert Leichtfried gegen den Antrag. Man dürfe sich von den EU-Skeptikern nicht in Geiselhaft nehmen lassen. Er spricht sich wie der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas stark dafür aus, dass sich in der Steuerpolitik Europas etwas ändern müsse. Die EU-Kommission solle so rasch als möglich Vorschläge machen, wie man Steuerdumping zwischen den EU-Ländern verhindert. Ein Spezialausschuss des Parlaments unter Vorsitz des Chefs der Liberalen, Guy Verhofstadt, wird die Steuerpraxis der Länder diesbezüglich überprüfen und ebenfalls Vorschläge machen. Dies soll kein Ausschuss gegen Juncker sein, sagte Verhofstadt dem Standard.

Den Grünen reicht das wiederum nicht, auch wenn sie gegen den Misstrauensantrag der rechten Abgeordneten stimmen, wie Michel Reimon Dienstag in Straßburg erklärte. Er fordert einen echten Untersuchungsausschuss, mit entsprechend stärkeren Prüfungsrechten, der konkret auch die Vorkommnisse in Luxemburg unter die Lupe nimmt. Juncker hält Reimon für "rücktrittsreif".

Schlimmere Fälle

Allerdings gibt es Stimmen, wonach Luxemburg "kein herausragender Fall der europäischen Steuerpolitik" sei, wie Thomas Wieser meint. Laut dem Chef der Euroarbeitsgruppe gibt es eine Vielzahl von Mitgliedsstaaten, die über Regelungen verfügen, die "unerquicklich" seien. Als Beispiele nennt Wieser Trusts im Vereinigten Königreich, durch die im Vergleich zu Luxemburg ein Vielfaches an Steuern anonymisiert oder gar nicht entrichtet werde. Weiters nennt der Experte den Nullsteuersatz für Einkünfte aus Drittstaaten in Ungarn und Malta.

Dieser "Geniestreich" koste auch den österreichischen Fiskus erhebliche Mittel. Auch niederländische Modelle seien von ihrer Wirkung her viel gravierender als die luxemburgische Praxis. Erst kürzlich hat der Rechnungshof in Den Haag die Existenz von 12.500 Briefkästen kritisiert, durch die Gelströme zur Steuerersparnis geschleust werden. (Thomas Mayer aus Straßburg Andreas Schnauder, DER STANDARD, 26.11.2014)