Wien - Wer sich seine eigenen Erbanlagen sequenzieren lassen will, hat nun die Chance dazu. Bislang gibt es in Österreich nur zwei Menschen, deren Genom-Daten in Österreich entschlüsselt und ins Internet gestellt werden: Die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny und der Leiter des Zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien, Guilio Superti-Furga. Die beiden Forscher suchen nun im Rahmen des "Genom Austria"-Projekts weitere 20 Freiwillige für das wissenschaftliche Unterfangen. Es soll zu Diskussionen über Chancen und Risiken der Technik in allen Lebensbereichen führen.

Superti-Furga, "Zuwanderer" norditalienischer Abstammung und mit seinem Team an dem Forschungszentrum der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ständig mit dem Sequenzieren von Genen und der Analyse von Gendaten beschäftigt, betonte bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien: "Wer wir sind, das geht uns alle etwas an." Dies treffe insbesondere auf die Diskussion über die Akquirierung und die Verwendung von Genomdaten zu. "Es geht darum, dass wir darüber reden." Die Technik sei zu wichtig, um sich ein "Ready Made"-Programm überstülpen zu lassen. Eine demokratische Gesellschaft habe die Möglichkeit, selbstbestimmt mit dem Wissen über die Erbanlagen umzugehen.

Das biologische "Selbst" kennenlernen

Ähnlich äußerte sich auch Helga Nowotny, als (PGA-2 - Personal Genome Austria 2), nach Superti-Furga (PGA-1), der zweite Mensch, der die Daten über seine rund drei Milliarden Basenpaare umfassende DNA erstellen und öffentlich machen lässt: "Mein persönliches Motiv ist die Neugier, das biologische 'Selbst' kennenzulernen." Im Rahmen der derzeit hektisch verlaufenden Diskussion über das geplante neue Fortpflanzungsmedizingesetz werde plötzlich eine mangelnde Diskussion von manchen Seiten beklagt. "Dazu hätte man 22 Jahre Zeit gehabt", merkte die Wissenschaftsforscherin kritisch an.

Genau diese Diskussionen will "Genom Austria" als "Personal Genome"-Projekt in Österreich lostreten. Dazu werden bis Mitte kommenden Jahres 20 weitere gesunde Freiwillige gesucht, die nach entsprechender Aufklärung und Zustimmung ihr komplettes Genom (Kostenpunkt derzeit je rund 7.500 Euro) sequenzieren und ins "Netz" stellen lassen. Erfahren werden sie dabei mehr an persönlichen Informationen, Herkunft, Abstammung und potenzielle Gesundheitsrisiken. Auf die Daten aufsetzen sollen in ganz Österreich Diskussionen zum Thema Genomforschung mit den biologischen, medizinischen, philosophischen, juristische und sozialen Aspekten der Technik. Auch wissenschaftlich sollen die Daten ausgewertet werden.

Basis für personalisierte und partizipative Medizin

"Genomforschung ist etwas, von dem viele sagen: 'Das ist des Teufels'." - Dies erklärte der Rektor der MedUni Wien, Wolfgang Schütz. Doch die Genomdaten sollten als Möglichkeit für eine personalisierte und partizipative Medizin verstanden werden.

Freilich, es könnte auch sein, dass die freiwilligen "Pioniere", die daran teilnehmen, auch mit unangenehmen Daten konfrontiert werden. Das gilt speziell für möglicherweise feststellbare Anlagen für später im Leben ausbrechende Erkrankungen. Deshalb können sie jederzeit auch wieder aus dem Projekt aussteigen. Superti-Furga erfuhr beispielsweise, dass er - offenbar aus der Herkunft seiner Vorfahren aus dem Po-Delta - eine Anlage für eine Blutkrankheit (Beta-Thalassämie) hat, die, im Falle von Kindern mit einer Partnerin mit ebenfalls dieser Genomvariante, für diese zur Gefahr werden könnte. Vor 40.000 Jahren bedeutete dies jedoch in Norditalien einen größeren Schutz vor der grassierenden Malaria. Ebenso erfuhr der Wissenschafter, dass er wahrscheinlich kaum nikotinabhängig werden dürfte (relativ schwach belegt durch die bisherige Forschung), dafür aber ein größeres Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden und Fettleibigkeit in sich trägt.

Das Genom-Austria-Team besteht aus Experten des CeMM und der MedUni Wien. Weiters gibt es einen eigenen Steering Board. Die Frau von Bundespräsident Heinz Fischer, Margit, hat den Ehrenschutz übernommen. "Genetik als eine der Leitwissenschaften des 21. Jahrhunderts muss allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehen und verständlich sein", schrieb sie den Initiatoren. Dazu sollte sich die Öffentlichkeit auch in Österreich mehr mit diesen Themen beschäftigen. (APA/red, derStandard.at, 25.11.2014)

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Genom-Sequenzierung: Schneller, einfacher - Analyse diffizil

Am 12. Februar 2001 publizierten die Wissenschaftszeitschriften "Nature" und "Science" die Detail-Informationen über die erste Sequenzierung der menschlichen Erbsubstanz (Desoxyribonukleinsäure - DNA). Was damals gut zehn Jahre gedauert hatte, schaffen moderne Sequenziermaschinen binnen einer Woche. Hier die wichtigsten Neuentwicklungen.

Auch die schnellsten Verfahren bauen auf den Daten des Human Genome Project (HUGO) auf und kombinieren so die Vorteile alter und neuer Technologie. Die menschliche Erbsubstanz besteht aus drei Milliarden Basenpaaren (Guanin, Cytosin, Thymin und Adenin - G, C, T, A). Die Abfolge auf den beiden Strängen der DNA und deren Ablesen bestimmen Struktur und Funktion der Erbsubstanz. Das öffentliche Humangenom-Projekt wurde ehemals weltweit von Labors mit öffentlicher Finanzierung in Konkurrenz mit einer privaten Firma (Celera) durchgeführt.

Von der Fabrik zum Schreibtisch

Was sich im Vergleich zu damals technisch verändert hat, ist phänomenal, so Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) in Wien: "Das Genom-Sequenzieren fand ehemals in den USA, Großbritannien, Japan und Deutschland in richtig großen Fabrikanlagen statt, in denen viele Menschen und vielen Maschinen hart und repetitiv gearbeitet haben."

Das ist vorbei, so der Experte: "Im letzten Jahrzehnt sind aus diesen Anlagen schreibtischgroße Kästen geworden, die Millionen DNA-Fragmente parallel und automatisch sequenzieren." Ehemals wurde die für die Sequenzierung verwendete DNA Base für Base in immer kleinere Segmente zerlegt, die auf einem Gel der Größe nach aufgetrennt wurden.

Die modernen Verfahren haben diesen Ablauf umgekehrt. Der Experte: "Man sequenziert die DNA, indem man ihre Sequenz auf einen neuen Erbgutstrang kopiert und dabei farblich markierte Bausteine verwendet. Das Ganze beobachtet man mit einem automatischen Mikroskop. Anschließend baut der Computer aus vielen Fotos die DNA-Sequenz zusammen."

Längere Analyse, kürzere Sequenzierung

Mit der neuen Technologie können etwa eine Milliarde DNA-Bausteine in einem Experiment sequenziert werden, und die Kosten sind um ein Vielfaches geringer als noch vor einigen Jahren. In ihr Gegenteil verkehrt hat sich auch - bei einer enorm zugenommen Geschwindigkeit - das Verhältnis der Arbeiten für das Sequenzieren und das Analysieren. Bock: "Früher hat man jahrelang sequenziert und dann in vergleichsweise relativ kurzer Zeit analysiert. Jetzt benötigt man für die Sequenzierung des Genoms eines Menschen nur noch etwa eine Woche. Doch die Analyse dauert Wochen und manchmal Monate."

Die beim Sequenzieren verwendeten DNA-Fragmente werden übrigens 40 Mal überlappend an das menschliche Referenz-Genom angeordnet. Die Abweichungen vom öffentlichen Referenz-Genomen aus dem Humangenom-Projekt könnten auf Unterschiede bzw. Mutationen hinweisen. Dafür benötigt man also durchaus die ursprünglichen Erkenntnisse aus dem bahnbrechenden Projekt, das um die Jahrtausendwende spektakulär zu Ende ging. (APA, 25.11.2014)