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"Wichtig, die Kultur der Menschenrechte zu vertiefen": Papst Franziskus im Europaparlament.

Foto: AP / Andrew Medichini

Besuche von Staatsmännern sind im Europäischen Parlament (EP) nichts Ungewöhnliches. Der Vertretung von 500 Millionen Bürgern und der stärksten Wirtschaftsmacht der Welt kommt seit langem globale Bedeutung zu. Beim Papst, dem Oberhaupt von einer Milliarde Katholiken, gelten aber andere Wahrnehmungsregeln.

Darauf wies Präsident Martin Schulz in seiner Einleitung hin, nachdem er "Ihre Heiligkeit" - Franziskus - Dienstag in Straßburg begrüßt hatte: "Ihre Worte haben enorme Bedeutung, weil sie an uns alle gerichtet sind. Sie bieten Rat in Zeiten der Verwirrung", trug er im Plenum vor. Das Reden von Solidarität, Frieden, gegen Ausgrenzung sei sehr europäisch. Auch die Geschichte dieses Mannes, der von Südamerika nach Europa gekommen sei, "kann uns helfen, uns zu erneuern", sagte Schulz, ein glühender Sozialdemokrat, kein Gläubiger.

Seltene Einigkeit

Er hatte die Idee, Franziskus einzuladen. Damit dürfte der Parlamentspräsident sehr vielen Parlamentariern aus dem Herzen gesprochen haben. Schon als er bei der Ankunft aus einem bescheidenen grauen Auto ausgestiegen war, waren die Gänge wie leergefegt. Papstschauen. Zuletzt war dies vor 26 Jahren möglich, 1988, kurz vor dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa. Johannes Paul II. habe damals in einer Rede "einen Meilenstein zur Befreiung Europas gesetzt", sagte Schulz. Die Erwartung war also riesig, als Franziskus ans Rednerpult trat. So artig aufmerksam hat man die EU-Abgeordneten - von ganz rechts bis ganz links - selten gesehen. Mit seiner sanften Stimme blieb der Mann in der weißen Soutane ihnen nichts schuldig. Er sei in einer Zeit gekommen, in der der Kontinent nicht mehr in zwei Blöcke geteilt, aber die Welt viel komplexer geworden sei. Die Union zeige das Bild "eines gealterten und erdrückten Europa", misstrauisch, argwöhnisch.

Seine "Botschaft der Hoffnung und der Ermutigung" solle die Ideen der Gründerväter in Erinnerung zu rufen: Im Mittelpunkt dieses politischen Projekts müsse der Mensch "als eine mit transzendenter Würde begabte Person stehen".

"Nicht die Seele verlieren"

Den Menschen ihre Würde wiederzugeben, sei es durch Hilfe für die Armen, durch Arbeit und Beschäftigung, sei es durch den Schutz der Flüchtlinge, die nach Europa strömen ("Das Mittelmeer darf kein großer Friedhof werden!") - das war Schlüsselwort der Papstrede, einer sehr philosophisch angelegten Ausführung. Europa drohe "seine Seele zu verlieren", warnte Franziskus vor einer "Wegwerfkultur" - nicht nur im wirtschaftlichen Sinne. Menschen dürften nicht wie Objekte behandelt werden, die Natur nicht hemmungslos ausgebeutet werden. Es sei "wichtig, die Kultur der Menschenrechte zu vertiefen".

Am Schluss wandte Franziskus sich direkt an sein Auditorium: "Liebe Abgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der Person, der unveräußerlichen Werte." Es gehe um ein Europa, "das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt." Schöne, magische Worte. Es gab minutenlangen donnernden Applaus. Im Anschluss daran besuchte der Papst den Europarat, hielt eine zweite Rede mit Schwergewicht auf das Thema Krieg und Frieden. Nach vier Stunden flog er von der Europastadt wieder heim nach Rom.

Im Flugzeug äußert er vor Journalisten, ein Dialog mit der Jihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) sei eventuell möglich: "Ich gehe immer davon aus, dass man nie aufgeben soll. Vielleicht kann man in der Tat keinen Dialog führen, aber dennoch darf man nie die Tür zum Gespräch verschließen", sagte der Papst laut Radio Vatikan. (red, Thomas Mayer aus Straßburg, DER STANDARD, 26.11.2014)