Utrecht - Dass Kegelrobben Schweinswale attackieren und fressen, wurde bereits vor einem Jahr zum ersten Mal bewiesen. Bisher war allerdings unklar, ob es sich dabei um Einzelfälle handelt, oder ob die Schweinswale regelmäßig auf dem Speiseplan von Kegelrobben stehen. Eine niederländische Studie, die in den "Proceedings B" der britischen Royal Society veröffentlicht wurde, hat die Frage nun endgültig geklärt: Selbst bei konservativer Schätzung dürften Kegelrobben für 17 Prozent der toten Schweinswale verantwortlich sein.
Seit gut zehn Jahren wird eine wachsende Zahl stark verstümmelter toter Schweinswale an der holländischen Nordseeküste beobachtet. Zwischen Wissenschaftern, Umweltschützern und Vertretern der Fischereiindustrie hatte es daher intensive Diskussionen über die Gründe für die tödlichen Verletzungen der Tiere gegeben. Dieses Rätsel scheinen die Forscher des niederländischen Meeresforschungsinstituts Imares und der Universität Utrecht mit ihrer Studie gelöst zu haben.
"Täter"-DNA entdeckt
Das Team um den Meeresbiologen Mardik Leopold und die Veterinärmedizinerin Lineke Begeman untersuchte zunächst die Biss- und Kratzspuren bei drei toten Gewöhnlichen Schweinswalen (Phocoena phocoena) und fand darin die DNA von Kegelrobben (Halichoerus grypus). Durch eine Analyse der Blutungen konnte zudem festgestellt werden, ob die Wunden vor oder nach dem Tod der Tiere entstanden - die drei Schweinswale waren demzufolge an den Angriffen der Robben gestorben und wahrscheinlich verblutet.
Die Verletzungen der drei Kadaver dienten dann als Analyseraster für Fotos von 1.081 Schweinswalen, die zwischen 2003 und 2013 an der holländischen Nordseeküste gestrandet waren. 721 Bilder konnten ausgewertet werden, davon wiesen 444 Tiere großflächige Wunden in der Fettschicht auf, die auch Blubber genannt wird. Insgesamt gehen die Wissenschafter davon aus, dass 120 der toten Schweinswale sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit einem Kegelrobben-Angriff zum Opfer fielen. Meist handelte es sich dabei um gesunde, gut genährte Jungtiere mit einer dicken Fettschicht. Die wenigsten Verletzungen waren nach dem Tod entstanden.
Schweinswale sind in der Regel weniger als 1,80 Meter lang und gehören damit zu den kleinsten Walen. Sie wiegen nur bis zu 70 Kilogramm, wohingegen eine ausgewachsene männliche Kegelrobbe bei einer Länge von bis zu 2,30 Metern rund 300 Kilogramm auf die Waage bringen kann.
Eine der Haupttodesursachen für Schweinswale
Die niederländischen Wissenschafter rechnen vor, dass Kegelrobben für mindestens 17 Prozent der toten Schweinswale verantwortlich seien. Hinzu komme der unbekannte Prozentsatz toter Tiere, die nicht an die Küsten gespült, sondern zum Meeresgrund sinken würden. Damit wären Kegelrobben-Angriffe eine der Haupttodesursachen für Schweinswale in der Nordsee - neben dem Tod in Fischereinetzen als Beifang (20 Prozent), Infektionskrankheiten (18 Prozent) und Auszehrung (14 Prozent).
Die dicke Fettschicht der Schweinswale ist vermutlich eine ideale Energiequelle für Kegelrobben - deren Jagdfieber weitreichende Konsequenzen für den Bestand der Schweinswale haben könnte. So könnten die Schweinswale künftig reiche Futtergründe meiden oder ihr Tauchverhalten ändern, um den Kegelrobben zu entkommen. Zudem hätten Studien bereits gezeigt, dass Tiere unter dem Druck anderer Raubtiere Gewicht verlören, um sich schneller bewegen und so leichter fliehen zu können. Schweinswale könnten in der Folge dünnere und schnellere Schwimmer werden, was sie allerdings auch anfälliger für Auszehrung machen würde - ohnehin schon eine große Gefahr für die Meeressäuger.
Mögliches Risiko für Menschen
Die Forscher vermuten, die Kegelrobben seien durch Aasfresserei dazu angeregt worden, auch Jagd auf lebende Schweinswale zu machen. Hinzu komme, dass viele der verendeten Tiere an Küsten gestrandet seien, die bei Schwimmern und Surfern beliebt wären. Dazu heißt es in der Studie: "Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es nicht auch ein Risiko für Menschen gibt, von Kegelrobben angegriffen zu werden." (APA/red, derStandard.at, 29.11.2014)