"Ich verstehe nicht, weshalb Moldau ohne klare Beitrittsperspektive so eine Verpflichtung eingeht, den gesamten Rechtsbestand der EU zu übernehmen", sagt Galina Selari, Direktorin des Zentrums für Strategische Studien und Reformen in Chisinau. Sie übt heftige Kritik an Moldaus Assoziierungsabkommen mit der EU, das seit September in Kraft ist.

Die Ökonomin weiß vor allem nicht, weshalb sich plötzlich alles geändert haben soll. "1999 hat die EU gesagt, dass Moldau für ein Assoziierungsabkommen nicht reif sei. Deshalb haben wir ein Präferenzabkommen bekommen. Aber wenn wir vergleichen, wie viele Güter wir damals und heute exportieren können, wie wettbewerbsfähig wir sind und wie hoch das Korruptionsniveau ist, dann hat sich das seither nicht verbessert, sondern eher verschlechtert", warnt Selari. Auch die Diversifizierung der Exportgüter habe sich nicht geändert. Damals wie heute gehe es um Nahrungsmittel und Getränke, Früchte und Obst. Die landwirtschaftliche Produktion habe nicht wirklich zugenommen.

Markt für EU-Bauern

"Wie können wir da unseren Markt für EU-Bauern öffnen, deren Einkommen zu 60 Prozent subventioniert sind? Wir haben schon bislang nie die zugelassenen EU-Quoten erreicht", kritisiert Selari. Sie glaubt, dass die moldauischen Produkte einfach nicht ausreichend und gut genug seien, um auf dem EU-Markt zu bestehen. Und die etwa 50-Jährige glaubt auch nicht, dass Moldau während ihrer Lebenszeit überhaupt Mitglied der EU werden kann. Auch die Zahlen, wonach die Mehrheit der moldauischen Produkte in die EU exportiert werde, nimmt sie auseinander. "Es gab kein richtiges Wachstum der moldauischen Exporte in die EU. Es gab nur ein Wachstum an EU-Staaten."

Moldau habe schon immer nach Osteuropa, vor allem nach Rumänien exportiert. Nachdem Rumänien der EU beigetreten sei, handle es sich jetzt um EU-Exporte. "Aber wenn man die alten EU-15-Staaten anschaut, dann sind die moldauischen Exporte dorthin sehr stabil." 45,5 Prozent der Exporte gehen heute in die EU. Selari kritisiert aber in erster Linie, dass es überhaupt keinen Plan gibt, wie Moldau nun wirtschaftlich vorgehen solle. Tatsächlich ist das Assoziierungsabkommen aus geopolitischen Motiven der EU sogar verfrüht unterzeichnet worden.

"Politisch unklug"

"Die Regierung versteht einfach nicht, was sie da unterschrieben hat", sagt Selari. Der frühere Handelsminister Valeriu Lazăr habe sogar angekündigt, dass man 2015 300 EU-Direktiven einführen soll. "Das ist allein technisch nicht möglich." Selari findet das Assoziierungsabkommen auch politisch unklug. "Wir haben auf Transnistrien vergessen und auf unseren großen Partner Russland." Vor allem habe man aufgrund mangelnder Zertifizierungen für die eigenen Qualitätsstandards Russland in die Hände gespielt, das damit das Embargo von moldauischen Waren begründete. "Uns fehlt einfach das Qualitätskontrollsystem, und das, obwohl die Weltbank sechs Projekte finanziert hat, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen." Schuld daran sei die Unfähigkeit der moldauischen Behörden.

"Weil wir keine Labors für die Kontrollen haben, waren wir nicht darauf vorbereitet, den Argumenten von Russland zu begegnen", sagt Selari. Mehr als die Hälfte der moldauischen Exporte nach Russland kommen ursprünglich aus anderen Ländern. Russland habe nun befürchtet, dass mehr EU-Waren durch das Assoziierungsabkommen auf den russischen Markt gelangen würden. Selari ist der Meinung, dass es aus politischen Gründen auch wichtig gewesen wäre, dass Transnistrien (die abtrünnige Region jenseits des Dnjestr, die von Moskau kontrolliert wird) bei den Verhandlungen dabei ist. Dann hätte Moskau anders reagiert.

Suche nach der Nische

So kam es bereits 2013 zu einem Weinembargo, mittlerweile können Früchte, Obst und Fleisch nicht mehr nach Russland exportiert werden. "Vielleicht war es ja für die EU-Kommission leichter, dass Transnistrien nicht dabei war. Aber unsere Regierung hätte die Transnistrier einbeziehen müssen." Selari denkt, dass die Regierung mit ihrem Vorgehen Moldau geschadet hat. Sie ist dafür, dass man nun alle "Mystifizierungen" beendet und dass Moldau sich trotzdem nach beiden Märkten im Westen und im Osten orientiert. "Wir müssen unsere Nische finden."

Die größten Sorgen macht ihr aber, ob und wie man Finanzunterstützung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen kann. Die Politiker hätten mit populistischen Maßnahmen vor den Wahlen die Gehälter und Pensionen erhöht. "Die letzte Tranche des IWF wurde 2013 nicht einmal mehr ausbezahlt, weil man sich nicht an die Bedingungen gehalten hat. Jetzt hat der IWF sicherlich viele Fragen zum Bankensektor, zum Zollmanagement und zur Bildungsreform. Ganz sicher wird er aber verlangen, dass die Ausgaben verringert werden." Von den Parteien habe jedoch niemand ein vernünftiges Wirtschaftsprogramm für die Zeit nach den Wahlen vorgelegt. Es gebe noch nicht einmal ein Budget für das kommende Jahr. Selari glaubt, dass es optimistischerweise im März erstellt werden könnte. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 26.10.2014)