Bereits zum zweiten Mal findet in Wien der Zentraleuropäische Lungenkrebskongress statt. "Der Austausch zwischen Lungenkrebs-Spezialisten in dieser Region ist schon deshalb von Relevanz, weil in Zentraleuropa die Lungenkrebs-Prävalenz im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Lungenkrebs gehört zu den dringlichsten Gesundheitsproblemen der Region", betont Kongresspräsident Robert Pirker vom MedUni/AKH Wien. "Fortbildung ist unerlässlich, weil die Diagnostik und Therapie bei Lungenkrebs sehr komplex sind und sich fundamental weiterentwickeln." Auf dem CELCC werden neueste Trends in Prävention, Früherkennung, molekularer Diagnostik und zielgerichteter Therapie, sowie die Patienten-Perspektive diskutiert.

Alarmierender Anstieg bei Frauen

Lungenkrebs war 2012 mit rund 410.000 Neuerkrankungen die vierthäufigste Krebserkrankung, mit 353.000 Todesfällen aber die Krebsart, die die meisten Leben gekostet hat, zeigt eine im European Journal of Cancer veröffentlichte Arbeit über Krebserkrankungen in 40 europäischen Staaten. "Männer sind fast 2,5-mal so oft von Lungenkrebs betroffen wie Frauen und haben eine deutlich schlechtere Prognose", so Pirker. "Frauen holen allerdings in vielen Ländern auf alarmierende Weise auf, auch in Österreich. In einer steigenden Zahl europäischer Staaten sterben Frauen inzwischen häufiger an Lungen- als an Brustkrebs."

In zahlreichen Ländern war 2012 Lungenkrebs sowohl die häufigste Krebserkrankung unter Männern als auch jene mit den meisten Todesfolgen: Konkret reihen sich hier neben den zentral- und osteuropäischen Staaten Bulgarien, Moldawien, Polen, Rumänien, Russland, Ukraine, Ungarn und Weißrussland die südeuropäischen Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Serbien ein. Die höchste Rate an Neuerkrankungen hatte Ungarn mit 109,3 Erkrankten pro 100.000 Einwohner, Mazedonien (101,6), Serbien (99) und Polen (90). Die niedrigste Rate hatte Schweden mit 28,8 Fällen, Österreich lag bei 54,2.

Am Anfang war das Rauchen

Dabei ist Lungenkrebs eine in hohem Maß vermeidbare Erkrankung. "In Österreich und Zentraleuropa betreffen rund 85 Prozent der Fälle Raucher oder ehemalige Raucher", so Andrea Mohn-Staudner vom SMZ Baumgartner Höhe, Wien. "Rauchen erhöht das Lungenkrebsrisiko um das 10- bis 30fache, abhängig von der Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten und der Lebensjahre, in denen geraucht wird.

Mit dem Rauchen aufzuhören oder, noch besser, gar nicht erst damit anzufangen, ist also die effektivste Lungenkrebs-Vorbeugung." Eine deutsche Studie zeigt, dass männliche Raucher ein 24-mal höheres Lungenkrebs-Risiko haben als Männer, die nie geraucht haben.

Hören Männer mit dem Rauchen auf, ist dieses Risiko nach zwei Jahren nur noch 7,5-mal so hoch wie bei lebenslangen Nichtrauchern. Bei Raucherinnen ist das Risiko 9-mal so hoch wie bei Nichtraucherinnen. Gewöhnen sie sich das Rauchen ab, bleibt es noch doppelt so hoch wie bei Frauen, die nie geraucht haben.

Auch Passivrauchen erhöht das Lungenkrebs-Risiko. "Das relative Erkrankungsrisiko ist um rund 25 Prozent erhöht, wenn eine Person Passivrauch ausgesetzt ist, und kann, abhängig von Grad und Dauer der Exposition, bis zu doppelt so hoch werden", so Mohn-Staudner. "Dabei spielen nicht nur die kanzerogenen Substanzen im Nebenstromrauch eine Rolle, sondern auch die erhebliche Feinstaubbelastung in geschlossenen Räumen.

Diese kann die Werte von Luftverschmutzung durch Straßenverkehr nicht nur erreichen, sondern deutlich überschreiten, wie eine aktuelle Studie zeigt. Es gibt außerdem Berechnungen, dass der Aufenthalt von drei bis vier Stunden in einem geschlossenen, verrauchten Raum der Belastung von vier bis neun aktiv gerauchten Zigaretten entspricht."

Tabakkontrolle – Österreich ist Schlusslicht

Am wirkungsvollsten habe sich international ein Bündel aus fünf Maßnahmen erwiesen, um den Raucheinstieg zu vermeiden, den Rauchausstieg zu fördern und Nichtraucher vor Passivrauch zu schützen, so die Expertin. "Dazu gehören hohe Steuern auf Tabakprodukte ebenso wie öffentliche finanzierte Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen, Rauchverbote im gesamten öffentlichen Raum und Werbe- und Marketingverbote", sagt Mohn-Staudner. "Als wirksam haben sich Warnhinweise und abschreckende Darstellungen auf Verpackungen erwiesen. Wichtig sind Entwöhnungsangebote für Raucher: Der Zugang zu medizinischen Programmen oder unterstützenden Medikamenten darf nicht an finanziellen Hürden scheitern."

Das Monitoring Tobacco Control Scale (TCS) der Association of European Cancer Leagues zeigt, wie beherzt Staaten Maßnahmen zur Tabakkontrolle umsetzen. In der TCS 2013 landete Österreich unter 34 untersuchten Ländern mit 31 von 100 möglichen Punkten auf dem letzten Platz. "Maßnahmen wie ein totales Rauchverbot in der Gastronomie, das Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser angekündigt hat, sind aus der Sicht von uns Lungenkrebs-Spezialisten daher ein Schritt in die richtige Richtung und begrüßenswert", so Mohn-Staudner.

Screening von Lungenkrebs-Risikogruppen

"Bei Lungenkrebs kommt es erst spät in seinem Verlauf zu Symptomen, der Tumor wird daher bei den meisten Patienten erst in einem fortgeschrittenen Stadium entdeckt", so Helmut Prosch von der MedUni/AKH Wien. "Da nur jene Patienten eine gute Prognose haben, bei denen der Tumor in einem sehr frühen Stadium diagnostiziert wird, ist die Früherkennung ein wichtiges Anliegen."

Eine systematische, qualitätsgesicherte und nach evidenzbasierten Kriterien durchgeführte Früherkennung durch ein Screening von Personen mit einem hohen Lungenkrebsrisiko rettet Leben, betont der Experte: "Daten aus dem in den USA durchgeführten National Lung Screening Trial (NLST) zufolge kann im Vergleich zu Röntgen-Vorsorgeuntersuchungen die Lungenkrebsmortalität durch ein Screening mittels Niedrig-Dosis-Spiral-CT (Low-Dose-CT, LD-CT) um 20 Prozent gesenkt werden. Auch die Gesamtsterblichkeit ging in der untersuchten Personengruppe um 6,7 Prozent zurück." In Europa laufen derzeit eine Reihe vergleichbarer Screening-Studien. PD Prosch: "Angesichts der internationalen Daten ist es unser erklärtes Ziel, auch in Österreich und anderen zentraleuropäischen Ländern durch die Einführung eines LD-CT-basierten Lungenkrebs-Screenings die hohe Lungenkrebssterblichkeit zu senken."

Ein wichtiger Unterschied zu anderen Früherkennungs-Programmen: Ein optimales Lungenkrebs-Screening soll nicht möglichst große Bevölkerungsgruppen umfassen, sondern setzt nur bei Personen mit hohem Lungenkrebsrisiko an. "Wird die Zielgruppe eines Lungenkrebsscreenings nicht auf solche Weise klar definiert, besteht die Gefahr, dass das Risiko durch eine hohe Zahl falsch-positiver Befunde oder eine unnötige Strahlenbelastung in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen steht", so Prosch. "Eine andere Einsicht aus bisherigen Untersuchungen: Ein Screening-Programm sollte mit einem Programm kombiniert werden, das die Untersuchten dazu motiviert, mit dem Rauchen aufzuhören."

Molekulare Diagnostik und zielgerichtete Therapien

"Auf dem Weg zur Präzisionsmedizin ist die molekulare Diagnostik ein wichtiger Schlüsselfaktor, um die Überlebenschancen von Lungenkrebspatienten zu erhöhen", so Kongresspräsident Pirker. "Konkret werden dabei die molekularen Veränderungen in der Tumorzelle analysiert, denn bestimmte Mutationen eignen sich als Targets. Orientiert sich die Therapie an den Mutationen, sind die Aussichten größer, dass Patienten darauf ansprechen. Die molekulare Diagnostik bildet also die Basis für eine zunehmend individualisierte und damit wirksamere Therapie beim Lungenkrebs. Entscheidend ist , dass all diese, oft durchaus kostenintensiven, therapeutischen Fortschritte in Diagnostik und Therapie auch tatsächlich ihren Weg in die klinische Praxis finden und allen Menschen zugänglich gemacht werden, die davon profitieren könnten. "

Ein bedeutendes Target ist der epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor ("epidermal growth factor receptor", EGFR), dem bei Proliferation und Überleben der Tumorzelle eine entscheidende Bedeutung zukommt. EGFR-gerichtete Therapien operieren einerseits mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), wobei sich drei Substanzen (Erlotinib, Gefitintib und Afatinib) bereits in therapeutischen Settings etablierten konnten.

"Untersucht wurden auch monoklonale Antikörper wie Cetuximab und Necitumumab", so Pirker. Bei metastasierenden Adenokarzinomen zählt die Bestimmung des EGFR- und des ALK-Mutationsstatus inzwischen zum klinischen Standard, wobei ALK für ein Gen der anaplastischen Lymphomkinase steht. Pirker: "Die INSIGHT-Studie, die in sechs zentraleuropäischen Ländern durchgeführt wurde, bestätigt, dass die Bestimmung der EGFR-Mutationen zumindest in den größeren onkologischen Zentren zur klinischen Routine gehört und die Therapie in den untersuchten Staaten bereits nach den neuesten Qualitätskriterien erfolgt."

Immuntherapeutische Optionen

Eine weitere wichtige therapeutische Entwicklung sind die neuen Möglichkeiten der Immuntherapie des Lungenkrebses, berichtet Pirker. "Insbesondere Ipilimumab, Anti-PD-1-und Anti-PD-L1-Antikörper geben in diesem Zusammenhang neue Hoffnung. Diese monoklonalen Antikörper werden derzeit in Phase-III-Studien beim Bronchialkarzinom untersucht.

Fortschritte verzeichnen auch die multimodalen Therapien, in der sich Chemo- und Strahlentherapie treffen. Eine Studie legt nahe, dass Patienten mit lokal fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom und hoher EGFR-Expression im Tumor von der Zugabe von Cetuximab zur Chemoradiotherapie profitieren dürften."

Die adjuvante Chemotherapie, vorzugsweise in vier Zyklen mit Cisplatin und Vinorelbin angewandt, hat sich als Standardtherapie für Patienten herauskristallisiert, bei denen ein nichtkleinzelliges Lungenkarzinom vollständig entfernt worden ist. Sie kann die Überlebenschancen deutlich erhöhen.

In randomisierten Verfahren wurde eine Steigerung der Fünf-Jahres-Überlebensrate um vier bis 15 Prozent verzeichnet. Prof. Pirker: "Wir erwarten für die Zukunft noch weitere Verbesserungen beim Behandlungsergebnis, und zwar dann, wenn in die adjuvante Chemotherapie auch zielgerichtete molekulare Therapien oder die Immuntherapie integriert werden."

Hilfe und Selbsthilfe bei Lungenkrebs

"Neun von zehn Personen, die an Lungenkrebs erkranken, leben nach fünf Jahren nicht mehr. Es ist nicht einfach, Menschen zu finden, die längerfristig Funktionen in einer Patientenorganisation übernehmen können und wollen", beschreibt Franz Buchberger vom Lungenkrebsforum Austria die schwierige Ausgangslage für die Selbsthilfearbeit. Trotzdem verzeichne das Lungenkrebsforum Austria regen Zustrom, denn der Informationsbedarf und der Wunsch nach Austausch mit Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben, ist beträchtlich.

"Es gibt nur wenige Nicht-Betroffene, die ermessen können, was es bedeutet, mit der Diagnose Lungenkrebs konfrontiert zu sein", so Buchberger. "Die Erkrankten leiden oft unter einer höheren Verletzlichkeit. Auch ein Nicht-Wahrhaben-Wollen der Krankheit, Schamgefühle aufgrund der körperlichen Veränderungen, oder Aggressionen, die aus dem Gefühl der Hilflosigkeit entstehen, können auftreten.

Da 85 Prozent der Lungenkrebspatienten Raucher sind, werfen sie sich oft nicht nur selbst etwas vor, sondern sehen sich auch mit der Meinung anderer konfrontiert, ihre Krankheit selbst verschuldet zu haben."

Anlaufstelle für Angehörige

Im Mittelpunkt der Aktivitäten in der Selbsthilfegruppe steht der Informations- und Erfahrungsaustausch unter Patienten, die Gruppe steht jedoch auch den Angehörigen der Betroffenen offen. "Für mich als ehemaliger Betroffener ist es ganz wesentlich, Betroffene im Sinne der viel zitierten mündigen Patienten mit einer möglichst breiten Basis an Informationen auszustatten", betont Buchberger. "Wenn Patienten wissen, was sie wollen, können sie auch gemeinsam mit ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten die Behandlungsoptionen besser abwägen." (red, derStandard.at, 26.11.2014)