In der Bekämpfung des islamistischen Terrors fordert die britische Politik mit zunehmender Dringlichkeit die Hilfe sozialer Netzwerke. Ein Parlamentsausschuss hat eine Reihe von Pannen der Geheimdienste im Vorfeld des Terrormordes von Woolwich im vergangenen Jahr festgestellt, vor allem aber scharfe Kritik an Facebook geübt: Wenn der US-Konzern die Drohung eines der Mörder rechtzeitig weitergegeben hätte, wäre der Anschlag "möglicherweise zu verhindern" gewesen.
Premier David Cameron sprach im Unterhaus von einer sozialen Verantwortung der Internetkonzerne: "Ihre Netzwerke werden zur Vorbereitung von Mord und Totschlag verwendet."
Mord an Wehrlosem
Im Mai 2013 hatten zwei Islamisten den 25-jährigen Soldaten Lee Rigby vor einer Kaserne im Südosten Londons mit einem Auto angefahren und dann mit Messern auf den Wehrlosen eingestochen. Nach der Tat ließen sich die beiden Briten nigerianischer Herkunft von Passanten filmen und gingen beim Eintreffen bewaffneter Polizeikräfte mit Messer und Pistole auf diese los. Michael Adebolajo (28) und Michael Adebowale (22) wurden zu lebenslanger Haft verurteilt.
Pannenserie bei Geheimdiensten
Der Bericht des Geheimdienstausschusses verdeutlicht: Beide Männer standen im Visier der Ermittlungsbehörden. Adebolajo war 2010 in Kenia mit anderen Extremisten der Terrortruppe Al-Shabaab festgenommen und abgeschoben worden, ohne dass die Auslandsspionage MI6 nachhaltig aktiv wurde. Der Inlandsdienst MI5 überwachte beide Islamisten mehrfach, schloss die Akte aber: "kein Hinweis auf Gefährdung der nationalen Sicherheit".
Im Unterhaus erhob sich keine einzige kritische Stimme gegen die Dienste. Die Regierung kündigte an, das Budget für Antiterror-Maßnahmen werde um 164 Millionen Euro aufgestockt.
Anschlag "höchst wahrscheinlich"
Anders als beispielsweise in Deutschland haben die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden auf der Insel keine weitreichende Diskussion über die umfassenden Abhörmethoden der Dienste hervorgerufen. Hingegen besteht hohe Nervosität über die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus. Ihrem Warnsystem zufolge hält die Regierung einen Anschlag für "höchst wahrscheinlich", die zweithöchste Stufe nach "unmittelbar bevorstehend".
In diesem Herbst beklagte GCHQ-Chef Robert Hannigan den Snowden-Effekt: Durch dessen Enthüllungen hätten zwielichtige Gestalten erst Kenntnis von der Reichweite elektronischer Abhörmöglichkeiten erhalten. Seine Behörde habe 30 Prozent ihres Leistungsvermögens eingebüßt. In einem Artikel forderte Hannigan im Oktober "einen Pakt zwischen demokratischen Regierungen und Technologiefirmen zum Schutz unserer Bürger".
"Blut an den Händen"
Ins gleiche Horn stößt jetzt der Geheimdienstausschuss. Dessen Vorsitzender, der frühere Außen- und Verteidigungsminister Malcolm Rifkind, prangerte das Vorgehen von Internetkonzernen wie Facebook an. Dass diese Bedrohungen nicht an die Behörden weiterleiteten, sei unakzeptabel.
Tatsächlich ließen es die britischen Medien an Anklagen nicht mangeln. "Blut an ihren Händen", titelte das Boulevardblatt Sun. Facebook habe Morddrohungen verschwiegen, so die Daily Mail. Dabei ist die Sache komplizierter: Wegen hoher Kosten, aber auch Datenschutzbesorgnissen scheuen die Internetkonzerne vor einer besseren Kontrolle ihrer Kundendaten zurück. Man brauche klare und transparente Gesetze, fordert die Lobbygruppe TechUK.
Zugriff auf Handys
Innenministerin Theresa May legte am Mittwoch einen neuen Gesetzentwurf vor. Die Polizei soll besseren Zugriff auf Mobiltelefone und Computer erhalten. Briten unter Extremismusverdacht sollen künftig bis zu 30 Tage lang an der Ausreise gehindert werden können. Wer sich im Ausland Terrorgruppen anschließt, muss mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft rechnen. Experten äußern allerdings Zweifel an der Durchführbarkeit solcher Maßnahmen. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 27.11.2014)