Nur chronischer Stress ist schädlich. Folgt einer Stressphase eine rasche Erholungsphase, laufen Körper und Psyche schnell wieder auf "Normalbetrieb".

Wien - Am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien wurde in Zusammenarbeit mit dem Karolinska Institutet in Stockholm ein wichtiger Faktor für Stress identifiziert. Dabei handelt es sich um das Protein Secretagogin, das für die Freisetzung des Stresshormons CRH wichtig ist. CRH (Anm.: Corticotropin Releasing Hormone) ermöglicht, dass Stress-Prozesse im Gehirn zur Hypophyse und dann zu den Organen übertragen werden. Eine aktuelle Studie dazu wurde nun im Top-Journal "EMBO Journal" veröffentlicht.

"Wird die Bildung von Secretagogin, das ein Kalzium bindendes Protein ist, aber unterdrückt, dann kann CRH nicht im Hypothalamus des Gehirns freigesetzt werden. Damit wird verhindert, dass Stress-Prozesse im Körper gestartet werden", erklärt Tibor Harkany von der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften der MedUni Wien.

Stress besser verstehen

Mit Hilfe des CRH regt der Hypothalamus nämlich die Produktion und Ausschüttung des Hormons ACTH von Zellen in der Hypophyse ins Blut an. Dadurch gelangt dieses Hormon zur Nebennierenrinde und stimuliert dort die Produktion und Freisetzung von weiteren Hormonen, darunter u.a. auch Cortisol, ein lebenswichtiges Stress-Hormon. In Stress-Situationen gibt der Hypothalamus das Signal, CRH auszuschütten und damit auch ACTH und Cortisol. Ist dieser Kreislauf aber unterbrochen, entsteht kein akuter und damit kein chronischer Stress.

"Wir können damit jetzt besser verstehen, wie Stress generiert wird", sagt Tomas Hökfelt vom Karolinska Institutet und Gastprofessor an der MedUni Wien. Das könnte dazu führen, dass in einem nächsten Schritt bei Secretagogin angesetzt wird, um chronischen Stress zu therapieren, etwa bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burn-Out, aber auch bei chronischem Stress, der durch Schmerzen verursacht wird. Denn nur chronischer Stress ist schädlich. Folgt einer Stressphase eine rasche Erholungsphase, laufen Körper und Psyche schnell wieder auf "Normalbetrieb" ohne vermehrte Ausschüttung von Stress-Hormonen.

2014 - im Zeichen von "Stress"

Die Folgen von chronischem Stress sind dagegen mannigfaltig und können unter anderem zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen aber auch zu Bluthochdruck, Diabetes und erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zu chronischen Kopfschmerzen, Tinnitus oder Osteoporose.

Erkrankungen in Folge von Stress sind immer häufiger und belasten das Gesundheitssystem. Die europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz hat daher das Jahr 2014 dem Thema Stress gewidmet. Internationale Studien zeigen laut Arbeiterkammer, dass in Europa über 50 Prozent der Krankenstände auf eine Form von Stress zurückzuführen sind. In einer aktuellen Analyse des Wirtschaftsforschungs-Instituts IWS wird der wirtschaftliche Schaden durch psychische Erkrankungen in Österreich auf sieben Milliarden Euro jährlich beziffert. (red, derStandard.at, 27.11.2014)