Was unter Gewalt verstanden wird, ist abhängig davon, ab welchem Alter das Spiel freigegeben ist.

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"Die Richtung geht von den Spielen zur Gewalt und nicht umgekehrt", sagt Studienleiterin Dagmar Strohmeier, Professorin an der Fachhochschule Linz.

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Linz - Dass sich vor allem Buben vor den PC setzen, um Gewaltspiele zu spielen, wusste man bereits. Eine neue Studie von Dagmar Strohmeier, Professorin an der Fachhochschule Linz, bestätigt das. So hatten 72 Prozent der befragten Mädchen angegeben, nie derartige PC-Games zu spielen. Bei den Buben betrug dieser Anteil nur 18 Prozent. Keineswegs einig ist man sich hingegen, ob Gewaltspiele aggressives Verhalten bedingen oder umgekehrt. In der Studie wurden beide Annahmen untersucht. Mit überraschendem Ergebnis.

derStandard.at: Welche Wechselwirkung zwischen Gewaltspielen und aggressivem Verhalten hat Ihre Studie gezeigt?

Strohmeier: Wir haben 370 Jugendliche zwischen 10 und 13 Jahren aus ganz Österreich und allen Schulformen, die Gewaltspiele am Bildschirm spielen, in die Erhebung eingebunden. Dazu haben wir sie innerhalb eines Jahres zweimal befragt. Die Jugendlichen machten zu zwei Zweitpunkten Angaben zu ihrem Spielverhalten und ihrem aggressiven Verhalten. Daraus haben wir eindeutige Befunde bekommen: Die Richtung geht von den Spielen zur Gewalt und nicht umgekehrt.

derStandard.at: Jugendliche, die brutale Bildschirmspiele spielen, werden also innerhalb eines Jahres aggressiver?

Strohmeier: Der Punkt ist, dass es sich oft um nicht altersgemäße Spiele handelt. Durch das Spielen nicht altersgemäßer, gewalthaltiger Games steigt Cybermobbing, also aggressives Verhalten im Internet. Darunter fallen das Versenden von gemeinen und verletzenden SMS, E-Mails, Fotos oder Videos. Unsere Hypothese, dass es durch das Spielen am Bildschirm einen Transfer zur Gewalt im Internet gibt, da es sich um das gleiche Medium handelt, wurde bestätigt. Wir haben aber verschiedene Formen der Gewalt untersucht, auch offenes aggressives Verhalten oder Mobbing im "echten" Leben. Der Zusammenhang zwischen Gewaltgames und allen drei Formen der Gewalt war signifikant.

derStandard.at: Wenn ein Zwölfjähriger Games spielt, die ab seiner Altersklasse freigegeben sind, hat das keine negativen Auswirkungen auf sein Verhalten? Ist der Rückschluss zulässig?

Strohmeier: Was unter Gewalt verstanden wird, ist laut Klassifizierung abhängig davon, ab welchem Alter das Spiel freigegeben ist. Das Pan-European-Game-Information-System hat keinen absoluten, sondern einen relativen Gewaltbegriff. Man mutet älteren Kindern härtere Gewalt zu als jüngeren. Die Gewalt, die für 12-Jährige freigegeben ist, ist mild im Vergleich zu jener, die für 16- oder 18-Jährige zugelassen ist.

Wir haben Kinder gefragt, ob sie gewalthaltige Games spielen, wie oft sie das tun und ob sie auch welche spielen, die erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben sind. Jene Kinder, die bei allen drei Fragen hohe Werte angegebenen haben, zeigten ein gesteigertes aggressives Verhalten. Daher rate ich Eltern, auf die Einhaltung der Altersfreigabe zu achten.

derStandard.at: Ihre Ergebnisse basieren allerdings ausschließlich auf der Selbsteinschätzung der Kinder.

Strohmeier: Das ist eine Einschränkung der Studie. Das ist natürlich nicht die Realität, aber wenn es um das aggressive Verhalten geht, muss man davon ausgehen, dass die Wirkung der Gewaltspiele auf das tatsächliche Verhalten noch unterschätzt wird. Die wahren Befunde sind damit noch stärker, als in der Studie ausgewiesen.

derStandard.at: Warum spielen die Jugendlichen diese für sie eigentlich viel zu brutalen Games so gerne?

Strohmeier: Sie wollen "cool" sein und zu den Größeren gehören. Meine Kollegin Eva-Maria Schiller hat die Spielmotive im Detail erhoben. Interessant war, dass die Jugendlichen angaben, sich nicht aus Langeweile vor den PC zu setzen oder um Wut abzulassen. Vielmehr war ihnen das Leistungsmotiv besonders wichtig. Es geht nicht um die Gewalt an sich, sondern darum, dass sie sich beweisen wollen, besser werden wollen.

derStandard.at: Diese "Leistungen" können auch bei harmlosen Sportspielen gesteigert werden.

Strohmeier: Das stimmt, diese Spiele sind für Buben aber nicht so attraktiv. Den bedenklichen Effekt, dass man mit Gewaltspielen nicht nur die Leistung trainiert, sondern zugleich aggressives Verhalten einübt, den sehen die Kinder nicht. Außerdem spielt der Gruppendruck eine entscheidende Rolle. Die Jugendlichen machen es, weil es ihre Freunde auch machen. Sie können dann gemeinsam online spielen, was als weiteres Motiv genannt wurde. (Kerstin Scheller, derStandard.at, 28.11.2014)