STANDARD: Ist Geld Macht?

Tarek el Sehity: Ganz im Gegenteil: Geld ist Entmachtung. Weil wir uns daran gewöhnt haben, Geld aus der Perspektive des Geldgebers – also des Käufers – anzusehen, erleben wir den Geldbesitz als eine ungemeine Ermächtigung. Die wenigsten Käufer könnten jedoch erklären, warum sie sich für das bunte Papier in der Hand ihre Bedürfnisse erfüllen können. Welche Macht bewirkt, dass wir ab einer bestimmten Geldmenge auch unsere kostbarsten Leistungen und Güter anbieten? Wenn wir als Verkäufer nämlich unser Angebot mit Erleichterung einem Geldgeber überreichen, passiert etwas äußerst Denkwürdiges: Reales wird für etwas Fiktives gegeben. Die bedruckten Scheine haben an und für sich keinen Gebrauchswert. Wie es funktioniert, wird kaum verstanden, und die genaue Bedeutung der Zahlen auf den Scheinen und Konten lässt sich eigentlich auch nur vermuten. Dieses rätselhafte Artefakt ist für uns die Grundbedingung, damit wir geben. Und dies, ohne dass das Geld in der Produktion oder auch in irgendeiner Produktionskette eine praktische Relevanz für unser Tun und Handeln hätte. Die Macht des Geldes ist also keine praktische, da es uns zu nichts befähigt. Vielmehr besteht die Macht des Geldes in der Leistungshemmung, nämlich den Leistungs- und Gütertransfer zu stoppen, wenn kein Geld angeboten wird.

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STANDARD: Wollen Sie darauf hinaus, dass wir ein paar tausend Jahre zurück in den Tauschhandel sollen?

El Sehity: In einer Welt, die in den vergangen 400 Jahren ein Kontinuum an technologischen Revolutionen erlebt hat, und Maschinen unsere Fabriken und Wohnungen bevölkern, mutet es doch seltsam an, dass wir zur Regulierung unseres Angebotes nach wie vor die Logik eines künstlich verknappten Artefaktes bedienen. Wozu? Es scheint nur so, als ob unser Geldsystem aufgrund seiner rasant fortschreitenden Digitalisierung eine Entwicklung durchmacht. Wie uns David Graeber (US-amerikanischer Ethnologe und Anarchist, Anm.) sehr eindringlich aufzeigt, erleben wir nun das 5. Jahrtausend des Geldsystems als das eines archaischen Schuldensystems. Ist es nicht an der Zeit, unsere Erfahrungen mit diesem Geldsystem zu bilanzieren? Ist es wirklich nötig, weiterhin Knappheit und Verdrängungswettbewerb zu spielen, wenn wir eigentlich in einer Welt der absurden Überproduktionen leben? Die Arbeiten von Jean Ziegler führen uns seit Jahren die horrenden Konsequenzen dieses Systems vor Augen.

STANDARD: Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff meinte kürzlich, man sollte Bargeld überhaupt abschaffen. Teilen Sie diese Ansicht?

El Sehity: Wenn ein IWF-Ökonom das Ende des Bargelds ersehnt, dann hat das für mich etwas von einem Zauberer, der nervös die letzten Spuren eines großen Tricks verwischen möchte. Mit dem Ende des Bargeldes und der völligen Digitalisierung des Zahlungsmittels läuten wir das Ende der Zivilgesellschaft ein, wenn nicht die Grundlagen des Geldsystems überdacht werden. Schon erlebt, wenn eine Karte bei einem Einkauf nicht funktionieren wollte? Und dann das Aufatmen, wenn zum Glück eine alternative Zahlungsform da war? Wenn wir das Buntpapier überwinden sollten, ohne das Geldsystem zu überdenken, dann warten ein paar spannende Jahre mit alternativlosen Chips auf uns. Es bleibt uns zu harren, bei wem Herr Rogoff den Gelddatenserver besonders gut aufgehoben erachtet.

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STANDARD: Also wieder zurück zum Goldstandard?

El Sehity: Der Goldstandard ist keine berauschende Lösung für unsere Zukunft. Es sind die Informationstechnologien, die einen Weg zu völlig neuen Möglichkeiten für unseren Handel aufzeigen. Wenn man bedenkt, dass Geldzahlungen einfach einen Leistungs- und Warenfluss zwischen Fremden ermöglichen, dann ist die Feststellung, dass die Menschheit so vernetzt ist wie noch nie, nicht nur eine soziologisch interessante, sondern auch eine wirtschaftlich und vor allem finanztechnisch revolutionäre.

STANDARD: Welche Folgen ergeben sich?

El Sehity: Die psychologische Dimension des Geldes macht es deutlich: Beim Geld geht es weder ums Zählen noch ums Verrechnen - auch nicht ums Sparen. Wie vorher schon erwähnt geht es beim Geld gegenwärtig um einen Glaubenssatz, der es uns ermöglicht, anderen zu geben. Die Urszene des Geldes war und ist, dass ich auf das Verlangen eines anderen Menschen gebe und keine weiteren Bedingungen daran kopple. Das Geld, das ich erhalte, ist ja an sich nutzlos. Aus dieser Perspektive lassen sich die Handlungen eines Verkäufers auch problemlos als Opfergaben an die Gesellschaft beschreiben. Er oder sie gibt Gut oder Leistung für etwas, das weder Gut noch Leistung ist. Geld entpuppt sich aus dieser Perspektive als Glaubenssatz der bedingungslosen Opfergabe an die Gesellschaft. Leider hängen wir als Gesellschaft noch in einem Entwicklungsstadium, in dem wir uns dem Geld opfern und nicht der Gesellschaft. Die informationstechnologische Vernetzung macht es möglich, dass wir unsere Gesellschaft nicht nur als ein abstraktes Konzept, sondern als einen realen Faktor zu erleben beginnen. Bald wird ein jeder mit einem jeden in Kontakt treten können. Die Information fließt bereits. Und mit ihr folgt in immer größerem Umfang unser Schaffen, siehe Linux, Open Journal, Wikipedia …

STANDARD: Wie sieht es eigentlich mit der psychologischen Wirkung des Geldes aus? Verdirbt Geld den Charakter?

El Sehity: Es hilft sehr, sich Geld immer als Geldsystem vorzustellen. Es ist nämlich das Geldsystem, das uns verdirbt und gierig, geizig, verschwenderisch, lüstern als auch neiden macht. In diesem System erleben wir strukturelle Knappheit, Wettbewerb und einen fortlaufenden Zwang zum Verkauf unserer Leistungen, damit wir uns unser Leben verdienen. In dieser Welt der Geldknappheit ist die Menschwürde grundlegend verletzt, und bedingungslose Grundrechte werden zu einer Frage des Wohlstands. Das ist die Ausgangslage, und jeder von uns weiß oder spürt, dass, selbst wenn er über einen beachtlichen Wohlstand verfügt, mit dem Verlust des Geldes auch unsere Würde verletzt wird. Das ist der Grund, warum auch unsere Millionäre nach der 50. Million noch das Gefühl haben, dass man erst bei 100 Millionen etwas entspannter auf das Leben blicken darf. Die gesellschaftliche Geldknappheit wird also paradoxerweise besonders intensiv beim reichen Prozent der Gesellschaft erlebt. Vor allem im Jugendalter geht das Privileg einer reichen Familie zum Teil mit einem hohen psychologischen Preis einher. Eine Serie von Studien zur psychologischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen führte dazu, dass in den Vereinigten Staaten neben den Jugendlichen aus verarmten Familien auch der Nachwuchs aus reichen Familien als Risikogruppe für psychologische Probleme und Drogenmissbrauch erkannt wurde. Hier ist sehr deutlich festzustellen, dass es sich weniger um ein Persönlichkeits- oder Charakterproblem handelt, sondern um ein Problem, das die Gesellschaft mit dem Geldsystem hat.

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Foto: Reuters/Steffen Schmidt

STANDARD: Welche Rolle spielt hier der der Neid auf die Vermögenden?

El Sehity: Im Falle großer wirtschaftlicher Erfolge einer Familie, die in einer Gesellschaft lebt, die von materialistischen Werten dominiert ist, geht vom Reichtum eine magische Anziehung aus. Im gesellschaftlichen Umfeld der geschäftlich erfolgreichen Familie wächst die Aufmerksamkeit, und ein Schatten des Leids baut sich auf, da Unterschiede hervortreten, wo vorher Gemeinsamkeiten bestanden. Das Umfeld am neuen Wohlstand großzügig teilhaben zu lassen erweist sich als problematisch, da die Unterschiede hierdurch demonstrativ hervortreten und soziale Distanz erzeugen. Neidgefühle sind sozial geächtet und werden im Verborgenen erlitten. Der Beneidete mag erst nach Jahren die Ursache von unschlüssigem Verhalten und Feindseligkeiten verstehen. Langjährige Vertrauensverhältnisse und Freundschaften zerbrechen, und die erschreckende Erfahrung macht vorsichtig. Vermögende ziehen sich dann mit ihrer engeren Familie in eine Parallelwelt der Vermögenden zurück.

STANDARD: Der jüngste "Wealth-Report" zeigt, dass Reiche und Ultrareiche erneut noch reicher geworden sind. Kann man das wirklich so genau erheben? Wo liegen die Schwierigkeiten, und wie sehen Sie hier die Entwicklung?

El Sehity: Reichtümer können meist nur über die Marktwerte des Eigentums geschätzt werden. Das Problem ist, dass diese Marktwerte laufenden Schwankungen unterliegen und bei Familienfirmen meist mit den Börsenkursen der Firmenaktien oder Fonds steigen oder fallen. Die Banken schieben seit mehr als fünf Jahren Unmengen von Geld in den Börsenmarkt. Wer dann Mehrheitseigentümer eines gut dotierten Unternehmens ist, der bekommt einen netten Anteil der Geldschwemme ab –zumindest buchhalterisch. Hinzu kommen dann noch die deflationären Entwicklungen in der Realwirtschaft, die hochliquiden Eigentümern einen ungemeinen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt bescheren. Durch Basel III werden gegenwärtig viele Klein- und Mittelbetriebe ausgetrocknet und müssen dem Markt Unternehmen überlassen, die über hohes Eigenkapital verfügen. Beides sind also geldpolitische Begleiterscheinungen, die den Wirtschaftsgewinnern in der Krise noch mehr Gewinn bescheren. (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 28.11.2014)