"Unterhaltung und Information schließen einander nicht unbedingt aus", sagt Juliane Leopold.

Foto: Buzzfeed/Caroline Pitzke

Bei Buzzfeed muss es ordentlich brummen. Denn der Name ist Programm: Die Redakteure sammeln alles ("Feed"), was im Netz gerade brummt ("Buzz"), also heiß geklickt wird. Das sind allen voran süße Tierfotos, Bilder, die sich bewegen ("Gifs"), lustige Youtube-Videos und sogenannte "Listicles" - also Artikel, die aus Listen bestehen. "24 Situationen, die jeder Konzertliebhaber kennt" oder "25 Leute, deren Selfie einfach ein Fail war" nennt Buzzfeed das dann. Ziel dieser außergewöhnlichen Titel ist es, die User zum Klicken zu bewegen, sie von Facebook auf Buzzfeed zu locken. Das funktioniert so gut, dass sich mittlerweile traditionelle Massenmedien die Methode zunutze machen. In Österreich etwa die "Kleine Zeitung" mit "30 Dinge, die sie (vielleicht) nicht über Andreas Gabalier wussten" und "Profil online" mit "10 Dinge, die ein Mann getan haben sollte, bevor er stirbt".

Nach Angaben des US-Konzerns besuchen 150 Millionen Menschen monatlich die Seite, die zu 50 Prozent außerhalb der USA angesteuert wird und 600 Leute, darunter 200 Redakteure, beschäftigt. Nach den Ablegern in Indien, Großbritannien, Brasilien, Frankreich und Spanien ist seit Oktober auch Deutschland an der Reihe, wo man bereits jetzt eine Million Besucher monatlich verzeichnet. Vier Redakteure suchen nach typischen Buzzfeed-Inhalten in Deutschland, eine Agentur übersetzt englische Beiträge.

Juliane Leopold, die zuvor bei Qualitätsmedien wie "Die Zeit" und "NZZ" tätig war, zuletzt als Social-Media-Redakteurin bei "Zeit Online", leitet damit eines der vielversprechendsten Boulevardprojekte des deutschsprachigen Raums. Im Interview versucht sie, skeptische Branchenkollegen zu beruhigen.

Frau Leopold, was ist guter Journalismus für Sie?

Juliane Leopold: Guter Journalismus hat viele Facetten. Es kann ihn in Form investigativer Recherchen und harter Nachrichten geben, die aufklären und einordnen. Guter Journalismus können aber auch Inhalte sein, die Menschen berühren, ihnen etwas vermitteln, was sie vorher nicht wussten, sie überraschen und unterhalten. Buzzfeed leistet das. Wir wollen mit Buzzfeed Nischen besetzen und Themen auf eine neue Art aufbereiten. Unser Ziel ist es, das Netz besser zu durchforsten und Inhalte besser zu kuratieren als andere.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass Buzzfeed zwar profitabel, aber gesellschaftlich nicht bedeutend ist.

Leopold: Ich werde daran gemessen, ob wir ein Publikum finden, das uns akzeptiert und gerne liest. Ich plädiere für mehr Gelassenheit im Umgang mit Buzzfeed und für das Respektieren der Tatsache, dass Leser sehr wohl wissen, was sie wollen. Meine persönliche Meinung ist, dass wir in dieser Branche manchmal dazu tendieren, bestimmte Entwicklungen zu dramatisieren, weil sie online passieren. Tatsache ist, dass es unterhaltenden Journalismus schon so lange wie Journalismus selbst gibt.

Buzzfeed will zukünftig seriösen Journalismus betreiben. Sind solche Texte nicht geschäftsschädigend?

Leopold: Ich glaube nicht, dass es geschäftsschädigend ist, letztlich haben sich Menschen ja für bestimmte Texte schon interessiert, zum Beispiel eine Fotostrecke aus Kobane. Zwar nicht so viele wie für eher unterhaltende Posts, aber sie haben sich auch nicht gesagt "Ich werde nie wieder auf Buzzfeed gehen, ihr habt über Syrien geschrieben".

Wollen Sie mit Ihrem Journalismus nun bedeutend sein oder nur die Lesernachfrage befriedigen?

Leopold: Unterhaltung und Information schließen einander nicht unbedingt aus. Die Publikumserwartungen gegenüber BuzzFeed sind, dass Menschen dort unterhalten werden wollen. Und diese Erwartungen möchten wir erfüllen.

Buzzfeed ist nicht aus dem Anspruch heraus entstanden, die Revolution des Qualitätsjournalismus zu sein. Buzzfeed (die US-Version, Anm.) begann als Unterhaltungskanal und hat erst später begonnen, Nachrichten anzubieten. Das war der Zeitpunkt, an dem Journalisten auf die Plattform aufmerksam wurden und ich freue mich, dass manche von ihnen das Projekt so intensiv verfolgen. Doch das Publikum war schon vorher da. Nachrichten haben dann sicher geholfen, dieses Publikum noch zu vergrößern. Ich freue mich einfach über die vielen qualitativ hochwertigen Inhalte, die wir im Gesamtpaket anbieten können.

Müssen Sie sich eigentlich bei allen Veranstaltungen dafür verteidigen, dass Sie Unterhaltung machen?

Leopold: Es gibt einfach eine große Neugier gegenüber dem, was wir machen. Manchmal auch Abscheu und Vorbehalte, aber das hat in unserer Branche Tradition. Anders wurden die Betreiber der ersten privaten Rundfunkkanäle vor 30 Jahren auch nicht begleitet.

Welche Leute stellen Sie denn ein?

Leopold: Ich suche Leute, die selbstständig arbeiten, da ich ihnen die Themen nicht hinterhertragen kann. Wir peilen zwei Geschichten pro Tag und Person an, in den Staaten sind es drei bis vier. Buzzfeed-Autoren müssen hervorragend online und offline recherchieren können, einfach und klar ausdrücken können, im Idealfall schon mal ein GIF gebaut haben und Lust haben, bei einem Experiment mitzumachen.

Wie unterscheidet sich die Arbeit bei Buzzfeed von der bei "Zeit online"?

Leopold: Bei "Zeit online" habe ich Nachrichten gemacht, habe in Social Media recherchiert, verifiziert und harte Nachrichten-Themen behandelt. Bei Buzzfeed mache ich deutlich mehr Unterhaltungsjournalismus. Außerdem bin ich hier für das gesamte Projekt in Deutschland verantwortlich und habe kein großes Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen vor Ort.

Wir arbeiten sehr schnell und ausschließlich online. Unser Netzwerk spannt sich über alle Buzzfeed-Büros, also inzwischen sieben Niederlassungen. Der größte Unterschied zu meinen bisherigen Jobs ist also, dass ich viel reise. Und nicht zuletzt, dass ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führe.

Haben Sie Ihren Wechsel je bereut?

Leopold: Ich vermisse die Redaktion von "Zeit online" und der "Zeit" schon, weil ich dort eine tolle Zeit mit tollen Kollegen hatte. Es war schwierig, zu gehen, und es tat anfangs auch weh. Aber es ist so viel passiert, und ich habe so viele Chancen in dem neuen Job, dass ich nicht zurückschaue. Es war ein guter Schritt für mich.

Welche Ziele hat Ihnen die US-Mutter Buzzfeed gesetzt?

Leopold: Momentan ist das Ziel herauszufinden, was die Inhalte sind, die die Leute in Deutschland interessieren, die sie gerne klicken und teilen.

Wie lange wird dieser Prozess dauern?

Leopold: Wissen Sie, es ist immer ein Experiment und wird nie aufhören, ein Experiment zu sein. Ich wünsche allen Medienunternehmen diesen experimentellen Charakter, weil es dazu führt, dass sie offen sind. Wir werden nie sagen "Das haben wir immer schon so gemacht". Und das ist wichtig. Wenn Sie anfangen, das zu sagen, sind Sie nicht mehr beweglich.

Wie wollen Sie damit profitabel sein?

Leopold: Wir haben keine Banner-Werbung, keine Pre-Rolls, also diese Schnipsel vor Videos, sondern wir machen Werbung, die in der Art und Weise funktioniert wie ein Posting selber, aber klar gekennzeichnet ist als Werbung. Wir rechnen uns aus, dass Leute dann auch reinklicken und sich mit dem Inhalt auseinandersetzen. Dieses Konzept, Native Advertising genannt, geht auf.

Wer ist Ihr größter Konkurrent?

Leopold: Für junge Menschen ist Facebook ihre Startseite. Die machen morgens Facebook auf, gucken, was in ihrem Feed drin ist. Und wir sind ein Player in diesem Feed. Wir verstehen uns nicht als Vollprogramm, wir sind ein Baustein, der ihr Medienmenü ergänzt. Unser größter Konkurrent ist nicht das Medium XY, unser größter Konkurrent ist Ihr bester Freund, der seine Mallorca-Fotos postet.

Letzte Frage: Hund oder Katze?

Leopold: Das ist vielleicht die schockierendste Nachricht überhaupt, aber ich bin kein Katzen-Typ. Deshalb: Hund! (Christoph Schattleitner, Stefanie Tomaschitz, derStandard.at, 28.11.2014)