Wien - Dass die Ansichten zu Ukraine-Konflikt stark auseinandergehen, ist bekannt. Wie schwierig es aber sein kann, auch bei gutem Willen eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden, zeigte sich einmal mehr am Donnerstagvormittag bei einer Diskussionsveranstaltung im Wiener Presseclub Concordia. Dort diskutierten auf Einladung des Osteuropa-Analysezentrums ICEUR der russische Botschafter Sergej Netschajew und der frühere SPÖ-Europaabgeordnete und ICEUR-Vizepräsident Hannes Swoboda über die Krise in der Ukraine.

"Bürgerkrieg an unserem Unterleib"

Zwar waren sich beide darüber einig, dass es dringend weitere Gespräche über den Bürgerkrieg in der Ostukraine brauche. Schon bei der Frage, in welcher Form Europa und Russland daran teilnehmen sollten, gingen die Meinungen aber klar auseinander. Russland sei gerne bereit, weiter zu vermitteln, sagte Netschajew; das Minsker Verhandlungsformat (mit Vertretern Kiews, der Separatisten, Russlands und der OSZE) sei optimal. Doch Konfliktpartei sei man nicht. Russland habe keine Truppen in die Ukraine entsandt, wer anderes behaupte – wie das EU und NATO tun –, müsse Beweise vorlegen.

Eine Lösung für den Ukraine-Konflikt, so Netschajew, könnte es daher nur durch eine Einigung zwischen den "Vertretern aus Kiew" und den "neu gewählten Repräsentanten im Osten der Ukraine" geben. Sollte das nicht gelingen, sehe die Zukunft "ziemlich düster" aus. Der Westen dürfe die engen historischen Beziehungen nicht übersehen: "Wir waren 250 Jahre in einem staatlichen Gebilde. Und ich sagen Ihnen ganz offen: Wir sind praktisch ein Volk." Angesichts der gemeinsamen Sprache und vieler familiärer Bindungen könne man "den Bürgerkrieg oder die bewaffnete Krise an unserem Unterleib" nicht ignorieren.

"NATO muss an Sicherheit in Europa denken"

Russland sei aber doch "nicht ganz ohne Einfluss auf die Situation", entgegnete Swoboda. Moskau müsse ein Eindringen von angeblichen "freiwilligen Kämpfern" in die Ostukraine verhindern. Was die Rechte der russischsprachigen Ukrainer betreffe, trete er für Gleichbehandlung ein – aber es werde in der Ukraine eben nicht nur Russisch gesprochen.

Dass die EU die Ukraine vor die Wahl gestellt habe, sich entweder dem Westen oder Russland anzuschließen, sei freilich ein Fehler gewesen – aber auch Russland habe das Land vor die gleiche Wahl gestellt. Außerdem sei er gegen eine weitere NATO-Erweiterung: "Es stimmt zwar, dass die Staaten das selbst überlegen müssen, ob sie der NATO angehören wollen. Aber auch die NATO muss sich überlegen, was für die Sicherheit in Europa gut ist."

"Sind und bleiben Europäer"

Eine Lösung könnte es nur dann geben, wenn das Land die Möglichkeit bekomme, mit beiden Seiten zu arbeiten, so Swoboda. Angesichts der wirtschaftlichen Verflechtung könne die Ukraine von einer großen Freihandelszone, der neben der EU auch Russland und die GUS-Staaten angehören, profitieren. Als Gesprächsbasis schwebt Swoboda ein neuer Helsinki-Prozess vor. Ein solcher Dialog setze aber Gewaltverzicht voraus.

Dass es zu einem "heißen Krieg" zwischen der NATO und Russland kommen wird, glaubt Netschajew nicht. Die Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland hätten aber allemal einen strategischen Hintergrund. Es gehe darum, der NATO wieder zu Geltung zu verhelfen – und "um einen Regime Change" in Moskau. "Irgendjemandem" habe die zunehmende Verzahnung zwischen Europa und Russland nicht gefallen, so der Botschafter, ohne die USA beim Namen zu nennen. Aber auch wenn Russland die Verluste durch größeren Handel mit Asien ausgleichen könne: "Wir sind und bleiben Europäer." (Manuel Escher, derStandard.at, 27.11.2014)