Josef Kalina erwartet eine "Schmerzphase nach dem Parteitag".

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STANDARD: Wie wichtig ist denn ein gutes Parteitagsergebnis für einen SPÖ-Vorsitzenden?

Josef Kalina: Ich bin überrascht, wie sehr das dramatisiert wird. Ich glaube, das ist nur in Maßen wichtig. Viel wichtiger sind markante inhaltliche Positionierungen.

STANDARD: Wie groß ist der Druck auf Werner Faymann nach den guten Ergebnissen für Reinhold Mitterlehner und Heinz-Christian Strache bei deren Parteitagen?

Kalina: Ich sehe keinen großen Druck. Es ist der breiten Bevölkerung echt egal, welches Ergebnis der Vorsitzende am Parteitag bekommt. Wenn es ein schlechtes Ergebnis gibt, folgt eine kurze Schmerzphase, weil einem die Journalisten das immer hämisch unter die Nase reiben.

STANDARD: Warum ist Faymann nicht so beliebt?

Kalina: Nach Schwarz-Blau ist die rot-schwarze Regierung nur unter Schwierigkeiten zustande gekommen. Die SPÖ-Funktionäre hatten schon unter Alfred Gusenbauer das Gefühl, dass die Regierungspakte nicht das widerspiegeln, was sich der treue Sozialdemokrat wünscht. Da gab es ein Unwohlsein, auch unter Faymann. Es gibt eine Unzufriedenheit mit dem eingeschränkten Handlungsspielraum, den der Parteichef politisch hat. Das sieht man ganz gut bei der Steuerreform oder auch bei der Bildung. Die SPÖ-Funktionäre, die Basis und ein überwiegender Teil der Wähler hätten doch gerne einen größeren Gestaltungsspielraum für sozialdemokratische Politik. Das muss die jeweils aktuelle Parteiführung büßen.

STANDARD: Faymann ist sehr damit beschäftigt, die Notwendigkeit von Kompromissen zu erklären.

Kalina: Das prägt die Geschichte der Parteivorsitzenden, seit die SPÖ keine Alleinregierung mehr hat. Man muss Kompromisse machen. Ich registriere aber zarte Versuche, das zu ändern. Die SPÖ hat seit 25 Jahren ein Problem mit den Optionen, das begann mit Vranitzky, der die FPÖ kategorisch als Partner ausschloss. Wenn ich bei Verhandlungen de facto nur eine Option habe, um eine Mehrheit zu bilden, der andere Partner aber mehrere Optionen hat, dann ist die SPÖ in einer wesentlich schlechteren taktischen Verhandlungsposition.

STANDARD: Ihrer Argumentation folgend müsste sich die SPÖ zur FPÖ öffnen.

Kalina: Ich persönlich glaube, dass das auf lange Sicht unvermeidlich ist. Dazu muss aber den weitaus größeren Teil auch die FPÖ beitragen. Aber ich stelle fest, die SPÖ Burgenland hat bereits einen solchen ersten Schritt zur Öffnung in Richtung FPÖ gemacht. Wenn ich mir Handlungsoptionen nehme, habe ich eine schlechtere Ausgangsposition. Es gibt auf Bundesebene keine anderen Mehrheiten, und es ist nicht absehbar, dass sich das ändert. Das schürt die Unzufriedenheit, weil die Parteifunktionäre in den jeweiligen Verhandlungsergebnissen schmerzlich immer das entdecken, was ihnen fehlt. Die ÖVP hat einfach die besseren Karten bei den Verhandlungen. Das sieht man jetzt auch in der Ressortverteilung.

STANDARD: Damit würde sich gerade Faymann enorm schwertun. Er hat doch die Abgrenzung zur FPÖ besonders laut gepredigt und auch darauf gesetzt, dass das bei den eigenen Leuten gut ankommt.

Kalina: Das ist richtig. Aber diese Positionierung hat ja nur dann einen Sinn, wenn beide Partner das machen. Wenn man medial und über die Wähler den Druck so aufbauen kann, dass auch die ÖVP sich zu dem bekennen muss, dann hat das Sinn. Aber die ÖVP hat diese Festlegung, wie sie Faymann getroffen hat, nicht gemacht.

STANDARD: In den jüngsten Umfragen stagniert die SPÖ oder fällt zurück. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Kalina: Was man jetzt sieht, sind wirkliche Momentaufnahmen. Es gibt einen Vertrauensvorschuss für die ÖVP. Die SPÖ ist stabil. Die SPÖ liegt seit Dezember 2013 konstant zwischen 25 und 27 Prozent, das schlechteste Umfrageergebnis waren 24 Prozent. Der ÖVP ist der Obmannwechsel gut geglückt, das muss man neidlos anerkennen. Was man dazu sagen muss: Die ÖVP hat es geschafft, die Intensivstation zu verlassen, die war ganz klar unter 20 Prozent. Für beide gilt: Dauerhafte Erholung gibt's nur bei gemeinsamen Erfolgen der Bundesregierung.

STANDARD: Setzt die SPÖ denn auf die richtigen Themen?

Kalina: Die SPÖ muss endlich die Nabelschau verlassen und sich in den zentralen Fragen deutlich positionieren.

STANDARD: Reicht der Streit um die Steuerreform als zentrales Thema, um mit den Bürgern zu kommunizieren?

Kalina: Es reicht nie nur ein Thema aus. Wenn die SPÖ stabil bleiben will, muss sie Akzente setzen, bei der Steuerreform sowieso. Die Regierung muss aber auch wirtschaftspolitische Akzente setzen. Es geht darum, die Beschäftigung zu heben. Über das Wohl und Wehe der Regierung wird entscheiden, ob sie eine Reform des Schul- und Universitätswesens zusammenbringt. Die Regierung wird gut beraten sein, nicht in einen Streit über das Pensionswesen zu verfallen. Da wollen die Österreicher eine Regierung, die sagt: "Wir haben das im Griff." Die Leute können nicht beurteilen, was 2060 auf sie zukommt. Umso mehr muss da eine Regierung mit einer Zunge sprechen. Dann kann man trefflich streiten über das Fortpflanzungsgesetz, da kann man sich ideologisch positionieren. Aber die zentralen Punkte Beschäftigung, Bildung und Alterssicherung müssen klappen. (Michael Völker, DER STANDARD, 28.11.2014)