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Prinz Charles soll in seinen Briefen Richtungen vorgegeben haben.

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Unter den Ministern Ihrer Majestät waren sie als "Schwarze-Spinnen-Memos" berüchtigt: Memoranden, die mit zusätzlichen Kommentaren in krakeliger Handschrift sowie mit manchen Unterstreichungen und Ausrufezeichen versehen waren. Es handelte sich um Briefe über aktuelle politische Themen, sei es Umweltschutz, Gesundheitspolitik oder Menschenrechte. Was diese Briefe hochbrisant machte, war der Absender. Denn geschickt hatte die Memos der britische Thronfolger Prinz Charles. Und von dem wird erwartet, dass er sich politisch neutral verhält.

Kampf des "Guardian"

Die Existenz der "Schwarze-Spinnen-Memos" war schon länger bekannt, ihr genauer Inhalt aber nicht. Die linksliberale Zeitung "The Guardian" kämpft seit vier Jahren darum, 27 Briefe aus dem Zeitraum 2004 bis 2005, die Charles an sieben Ministerien schickte, einsehen und veröffentlichen zu dürfen. Genauso lange hält die Regierung dagegen und besteht darauf, dass der Inhalt von Briefen, die Mitglieder des Königshauses an Minister schicken, privat bleiben muss. Mittlerweile ist der Fall vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof des Königreichs, gelandet, der in den nächsten Wochen letztinstanzlich über eine Veröffentlichung zu entscheiden hat.

Charles selbst versteht seine konstitutionelle Pflicht als Thronfolger darin, Anwalt für die unausgesprochenen Belange der Leute zu sein. Er macht von seinem Recht Gebrauch, das ihm die ungeschriebene Verfassung einräumt: zu warnen, zu protestieren und zu beraten. Deshalb hält er engen Kontakt zur Politik. Er arbeitete hinter den Kulissen daran, dass es in Großbritannien nicht zum Anbau von genmodifiziertem Mais kam, und hat Formen der alternativen Medizin den Boden bereitet. Seine Wohltätigkeitsorganisation The Prince's Trust griff seit 1976 mehr als einer halben Million junger, unterprivilegierter Briten unter die Arme.

Frage der Neutralität

Der Einsatz des Prinzen für organischen Landbau und alternative Medizin, für die Regenerierung der Innenstädte und die Verständigung mit dem Islam ist wohldokumentiert.

Seine Gegner sehen allerdings in seinem Engagement einen Bruch des Verfassungsgrundsatzes der politischen Neutralität. "Wenn Prinz Charles", sagt Alan Rusbridger, der Chefredakteur des "Guardian", "glaubt, es gehöre zu seiner Rolle, mit Briefen Politik zu machen, dann sollten wir das wissen und darüber eine öffentliche Debatte und Transparenz haben." Tatsächlich spricht vieles dafür, dass der Thronfolger in seinen Ministermemos sich nicht gerade um diplomatische Indifferenz bemüht hat, für die etwa seine Mutter, die Queen, berühmt ist.

Im Gegenteil: Die Memos sollen derart unverblümte Meinungsäußerungen enthalten, dass sich der britische Generalstaatsanwalt gleich zweimal gezwungen sah, sein Veto gegen eine Veröffentlichung einzulegen.

Spitze des Eisbergs

Mit der Begründung: Dadurch könne der Eindruck entstehen, dass Charles nicht neutral sei, was wiederum seinem Ansehen als künftiger König von Großbritannien schaden würde. Die 27 Briefe, um die es im aktuellen Verfahren geht, wären ja auch nur die Spitze des Eisbergs.

Schon als frischgebackener "Prinz von Wales", als Charles 1969 den offiziellen Titel des Thronfolgers erhielt, schickte er einen Brief an den damaligen Premierminister Harold Wilson über die Verfolgung des Atlantischen Lachses. Seitdem kamen tausende von Memos. Und in einigen soll er sich, wie sein Privatsekretär Mark Bolland enthüllte, derart despektierlich über britische oder ausländische Politiker ausgelassen haben, dass sie sicherlich als "politisch hochsensibel" gelten müssen. (Jochen Wittmann aus London, DER STANDARD, 28.11.2014)