Die Moldauer - egal welcher Ethnie oder Sprache - interessieren sich eigentlich mehr für ihre Pensionen und die Gehälter als für Geopolitik. Während die geopolitischen Großmächte eine Entweder-Oder-Politik betreiben, wollen die meisten Leute in einem "Sowohl-als-auch-Staat" leben. Denn beide Märkte, der EU-Markt und der russische Markt sind für sie wichtig. "Nur die wenigsten entscheiden wegen der geopolitischen Lage wem sie ihre Stimme geben", sagt die Vizepräsidentin des Parlaments Liliana Palihovici. Seit der Konflikt wegen des EU-Abkommens, das Moldau heuer im Juni unterzeichnete, aber eskalierte, ist die Möglichkeit eine multivektorale Politik zu machen, nicht mehr gegeben. Russland hat bereits vor einem Jahr ein Embargo gegen moldauischen Wein eingeführt, danach kamen Obst und Gemüse dazu und seit Oktober dürfen auch kein Fleisch und keine Milchprodukte mehr eingeführt werden.

"Blaues Europa, rotes Russland"

Auch in der Propaganda sind die geopolitischen Großmächte aktiv. So sorgen sich prorussische Journalisten etwa um den "Verlust von Souveränität" und "moldauischer Kultur". Es wird verbreitet, man könne innerhalb der EU keine orthodoxen Kreuze mehr auf die Gräber stellen. Auch das "schwule Europa" wird bekrittelt, was in den homophoben Gesellschaften Osteuropas gut ankommt. Der prorussische Politiker Renato Usatii kritisiert das "blaue Europa". Blau bedeutet im übertragenen Sinn in russischer Sprache schwul. "Wir bleiben lieber im roten Russland", so Usatii.

Auf der anderen Seite hat USAID kürzlich bis zu zwölf Beihilfen für die "Zivilgesellschaft" ausgeschrieben (jeweils mit einer Höchstfinanzierung von 20.000 Euro) um eine "positive öffentliche Wahrnehmung" der Vorteile des EU-Abkommens zu verstärken. Die amerikanische Entwicklungshilfeorganisation zahlt also für EU-PR in dem osteuropäischen Land.

"Kompromiss zwischen Westen und Osten"

In der Regierung ist man bemüht, dem EU-Abkommen die geopolitische Brisanz zu nehmen. Sprecher Vlad Kulminski meint zum Standard: "Der EU-Vertrag ist keine Entscheidung gegen Russland, sondern es ist ein Modell für Entwicklung. Moldau kann kein Puffer-Staat mehr sein, es braucht eine klare Vision." Man wolle aber einen "Kompromiss zwischen Westen und Osten" finden und gute Beziehungen zu Russland. "Wir spielen nicht Geopolitik. Wir machen eine komplexe Staatsbildungsübung", sagt er in perfektionierter EU-Sprache. Kulminski legt besonderen Wert darauf, dass man nicht provozieren will. So weist er etwa Ideen über eine Vereinigung mit Rumänien strikt zurück. "Das ist nur etwas, was den Leuten Angst macht", meint er. "Wir wollen Kooperation und Kompromisse und wir wollen nicht dass dies hier ein geopolitisches Schlachtfeld ist." Russland wolle nicht, dass Moldau zur Nato beitrete. "Und wir hören das. Wir sind neutral und wir planen nicht der Nato beizutreten."

Konvergenz der Verteidigungspolitik

Jede militärische Anbindung an die eine oder andere Seite ist unbeliebt. Bei den Kommunisten hat man etwa Angst, dass die EU von Moldau über das Abkommen auch die Koordinierung der militärischen Politik verlangt. In diesem ist tatsächlich von einer "schrittweisen Konvergenz im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu lesen: "Die Vertragsparteien intensivieren die praktische Zusammenarbeit bei der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, ins besondere im Hinblick auf eine mögliche Beteiligung der Republik Moldau an von der EU geleiteten zivilen und militärischen Krisenbewältigungsoperationen so wie an entsprechenden Übungen und Ausbildungsmaßnahmen auf Einzelfallbasis und auf etwaige Einladung der EU."

Tatsächlich ist die Neutralität in der moldauischen Verfassung verankert. Die Moldauer sind sich bewusst, dass sie in einem sehr kleinen Staat leben, der zwischen Rumänien und der Ukraine eingezwickt liegt und dass sie im Laufe der Geschichte immer viel mehr "Objekte" als "Subjekte" der Geopolitik waren. Dieses Bewusstsein spiegelt sich in ihrem vorsichtigen, etwas unsicheren Auftreten wieder.

Nicht der richtige Zeitpunkt

Auch von einer Lösung des eingefrorenen Transnistrien-Konflikts (eine seit 1991 abtrünnige Region in Moldau, die von Moskau kontrolliert wird) ist im Abkommen die Rede. Aber auch in diesem Punkt versucht Kulminski zu beruhigen. Es sei jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt für die Lösung der Transnistrienfrage, allerdings schließe er nicht aus, dass dieser Zeitpunkt bald kommen könnte.

Russland spielt nicht nur in Transnistrien den Beschützer der kulturellen und sprachlichen Interessen, sondern auch in der autonomen Region Gagausien. Die Gagausen sind türkischer Abstimmung aber orthodox. "2014 war sehr schwierig für uns. In Odessa und in Gagausien gab es Versuche, die Situation in der Region zu destabilisieren. Das war Teil des Plans", erläutert Palihovici ihre Sicht der russischen Moldau-Politik. Im ukrainischen Odessa, das sehr nahe an der moldauischen Grenze liegt, kam es im Mai 2014 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen proukrainischen und prorussischen Kräften. 42 prorussische Aktivisten verbrannten in einem Gebäude. In Moldau schürte dies Ängste davor, dass Russland seine Einflusszone auch im Süden der Ukraine bis nach Transnistrien ausdehnen könnte. Zudem beantragte das Parlament Transnistriens heuer die Aufnahme in die Russische Föderation.

Beitritt zur Zollunion mit Russland

In Gagausien stimmten bei einem Referendum im Februar 97 Prozent der Teilnehmer für den Beitritt der Region zur eurasischen Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan und gegen die EU-Option. Im Juni ließen die moldauischen Behörden dann vier "Extremisten" in Gagausien verhaften. Man antwortete aber vor allem mit "Zuckerln" für die Gagausen. Die Regierung baute Straßen und Schulen und verbesserte die Wasserversorgung. "Wir wollten denen zeigen, dass sie nicht diskriminiert werden", sagt Palihovici.

Da die Gagausen etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen, verlangen ihre politischen Vertreter von allem fünf Prozent. Als es kürzlich hundert neue Polizeiautos gab, bekamen die Gagausen sogar sechs davon. "Vielleicht haben wir ihnen bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet", sagt Palihovici. (awö, Langfassung, DER STANDARD, 28.11.2014)