Illustration: David Mathews

Nicht erst seit Ausbruch der Krise vor nunmehr fast acht Jahren überlegen Menschen Alternativen zum vorherrschenden Geld-System - Stichwort Silvio Gesell mit seiner "Freigeld"-Idee Ende des 19. Jahrhunderts. Das gilt jetzt erst recht, wandeln doch die großen Volkswirtschaften immer noch gefährlich nahe am Rand des geldpolitischen Abgrunds. Die Crux: Um die Konjunktur anzukurbeln, haben die Notenbanken die Geldschleusen weit geöffnet, die Zinsen - zumindest in der Eurozone - immer weiter gesenkt, Strafzinsen auf Bankeinlagen eingeführt und Billiggeld bereitgestellt. Derweil steigt die Verschuldung der Staaten auf schwindelerregende, kaum fassbare Höhen. Alles Experimente mit ungewissem Ausgang.

Die Geldschöpfung beschäftigt scheinbar mehr Leute als jemals zuvor; nicht nur "Fundis" und "Alternativlinge", auch Menschen wie der ehemalige Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, finden sich darunter. In der Schweiz hilft Mayer Stimmen sammeln für die Vollgeld-Reform. Die Ziele der Initiative: "Allein die Nationalbank soll künftig elektronisches Buchgeld herstellen, Banken dürfen selbst kein eigenes Giralgeld mehr erzeugen, sondern nur noch das Geld verleihen, das es schon gibt." Die Geldschöpfung soll so wieder in die öffentliche Hand kommen. Das sei eine Voraussetzung für "fließendes Geld".

Schuldenfrei mit Vollgeld

Mit Vollgeld soll außerdem das Geld selbst möglichst schuldfrei durch Staatsausgaben oder direkte Auszahlung an Bund, Kantone und Bürgerinnen und Bürger in Umlauf kommen. Heute dagegen müsse die Gesellschaft Zinsen dafür bezahlen, damit überhaupt Geld da ist. "Die Vorteile des Vollgeldes sind so gewaltig, dass man sich an den Kopf greift, warum es dieses nicht schon längst gibt. Die EU-Staaten könnten ihre Staatsschulden zu ca. 60 Prozent tilgen", schwärmt Kampagnen-Leiter Mayer. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unser Geldsystem in den nächsten Jahrzehnten ändert, ist sehr hoch - aber nur, wenn wir uns dafür einsetzen. Von alleine geht nichts."

Volksabstimmung geplant

In der Schweiz sei man schon sehr weit, man habe bereits circa ein Viertel der nötigen beglaubigten Unterschriften gesammelt, um eine Volksabstimmung über die Bundesverfassung einzuleiten. Ein Jahr Sammelfrist bleibt noch. "Danach werden sich Parlament und Bundesrat mit der Initiative auseinandersetzen und diese mit einer Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung und eventuell auch mit einem Gegenvorschlag dem Volk zur Abstimmung stellen", erklärt Mayer, der davon ausgeht, dass die Abstimmung wohl 2018 oder 2019 stattfinden wird.

Ein Alleingang eines Landes sei kein Problem, "wenn die Schweiz Vollgeld einführt, werden sicherlich bald andere Länder folgen", sagt Mayer und führt ein Beispiel aus der Geschichte an: 1848 beschloss England als erstes Land das Banknotenmonopol, mit dem den Banken das Drucken von Papiergeld verboten wurde - mit großer Vorbildwirkung. Ähnlich werde es mit der Ausweitung des Banknotenmonopols auf das Buchgeld sein.

Auch wenn nur ein Land das System einführe, profitiere es: "Das Geld auf Zahlungskonten ist vollumfänglich sicher, da es Geld der Nationalbank ist. Bankenpleiten können ihm nichts anhaben. Finanzblasen werden verhindert, weil die Banken kein eigenes Geld mehr schaffen können. Der Staat wird aus der Geiselhaft befreit, weil er Banken nicht mehr mit Steuermilliarden retten muss, um den Zahlungsverkehr aufrechtzuerhalten. Die Finanzbranche steht wieder im Dienst von Realwirtschaft und Gesellschaft. Das Geldsystem ist kein Buch mit sieben Siegeln mehr, es wird wieder transparent und verständlich."

Zinseszins

So manchen geht das nicht weit genug, etwa den Proponenten des bereits genannten "fließenden Geldes" (www.lust-auf-neues-geld.de). "Uns geht es darum, wie das bereits ausgegebene Geld im Umlauf bleibt. Im aktuellen System verwenden wir als sogenannte Umlaufsicherung den Zins - und die Inflation. Durch Zins und Zinseszins ergeben sich nun bei Guthaben und Schulden exponentielle Wachstumsprozesse, die nicht aufrechtzuerhalten sind", warnt Steffen Henke, Chef der Neues Geld gemeinnützige GmbH.

Beim fließenden Geld wird eine Gebühr, ein sogenannter Umlaufimpuls, auf Bargeld erhoben. Damit werde der Zins bei mittel- bis langfristigen Anlagen gegen null geführt. Einige der in den Augen von Henke zahlreichen Vorteile: Wegfall des Wachstumszwanges der Wirtschaft und damit nachhaltiges Wirtschaften im Sinne von Mensch, Tier und Natur, Beendigung des zinsbedingten Umverteilungsmechanismus, denn "alle Menschen zahlen die Zinsen des Staates, wenn sie Steuern zahlen, alle Menschen zahlen die Zinsen der Industrie beim Einkaufen, denn die Schuldzinsen sind in den Preisen enthalten", und damit eine fairere Vermögensumverteilung.

Geld soll schuldenfrei sein

Reale Vorläufer dafür sieht Henke in "Regio-Geld"-Initiativen. Am Beispiel Griechenland ließen sich wertvolle Erfahrungen sammeln, wenn man dort parallel zum Euro eine konstruktiv umlaufgesicherte Drachme ausgeben würde. Die Parallelität sei kein Problem: "Man verdient dann z. B. zinsbehaftete Euro und fließende Schilling." Da man keine Gebühren auf die fließenden Schillinge bezahlen möchte, gibt man sie aus oder bringt sie zur Bank, um der Gebühr zu entgehen. Ein anderer Marktteilnehmer, der ein Darlehen benötigt, präferiert dann sicher jenes mit 1,5 Prozent für die fließenden Schillinge, womit das Ausfallrisiko der Bank und die Kosten für die Dienstleistung und den Gewinn für das Unternehmen abgedeckt seien, das Darlehen für fünf Prozent in Euro, in dem der Guthaben-Zins für den Anleger stecke, werde uninteressant. "Und so werden umweltförderliche Maßnahmen jetzt finanzierbar, da nicht zuerst die Guthaben-Zinsen für den Gläubiger verdient werden müssen", erklärt Henke.

Wider Erwarten sind Vollgeld oder andere alternative Geldsysteme keine Position bei der globalisierungskritischen NGO Attac. "Geldschöpfung durch private Banken ist aus unserer Sicht kein grundsätzliches Problem. Wir treten aber dafür ein, dass Banken keine Kredite für Finanzmarktaktivitäten vergeben dürfen und diese somit nicht als Hebel für Finanzgeschäfte dienen." (Linda Kappel, Portfolio, DER STANDARD, Dezember, 2014)