Maßnahmen der Notenbanken waren relativ unwirksam.

Illustration: David Mathews

Das könnte noch haarig werden. Die Schuldenberge, die sich da angehäuft haben, lassen sich nicht so leicht abtragen. Das dürfte sich rächen. Ökonomen haben längst Szenarien im Kopf, ob und wann ein Platzen der Schuldenblase droht, bei dem der Ausbruch einer neuerlichen Finanzkrise unvermeidlich wäre.

Auch Alternativszenarien werden entworfen: ein weltweiter Schuldenschnitt, Zwangsabgaben, Weginflationieren der Schulden und, und, und. Viel ist Spekulation. Doch ihr liegt eine bittere Realität zugrunde. Da lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich wenig getan bei den kumulierten Verbindlichkeiten auf dem Globus. Sie pendelten so um die 145 Prozent der Wirtschaftsleistung, um dann ab den 1980er-Jahren einen langanhaltenden Gipfelsturm hinzulegen. Vor allem die privaten Verbindlichkeiten - also von Haushalten und Unternehmen - kletterten steil nach oben. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 änderte sich nur die Zusammensetzung der Außenstände, nicht aber der Trend.

Staat übernehmen Sie!

Die Passiva in den aufgeblähten Bankbilanzen wanderten reihenweise auf die Habenseite der Staatshaushalte. Staaten wie Spanien oder Irland, denen in den Boomjahren eine vorbildliche Finanzgebarung attestiert worden war, standen plötzlich vor dem Ruin, der nur durch das Schlüpfen unter den Eurorettungsschirm vermieden werden konnte. Notenbanken, Währungsfonds und Regierungen fingen Banken und Staaten mit Billionen auf - geliehenen oder gedruckten Billionen.

Immerhin wurde mit den Feuerwehreinsätzen eine Kernschmelze des Finanzsystems vermieden, donnert es von der globalen wirtschaftspolitischen Kanzel. Mag sein, doch ein Problem bleibt: Seit dem Höhepunkt der Interventionen von Staaten und Notenbanken sind nun rund sechs Jahre vergangen, zum Besseren gewendet hat sich wenig. Unbestritten ist hingegen, dass riesige Schuldenberge aufgebaut wurden.

Belastete Haushalte

Ein kürzlich erschienener Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat dazu einige interessante Daten zusammengetragen: Obwohl in erster Linie - wie schon erwähnt - die Regierungen in der Finanzkrise eingesprungen sind, hat sich auch bei den privaten Haushalten nichts verbessert. Deren weltweite Verschuldung ist mittlerweile bei 175 Prozent der verfügbaren Einkommen angelangt. Zum Vergleich: Vor Ausbruch der Krise lag dieser Wert noch bei 155 Prozent.

Eine einmalige Vermögensabgabe käme günstiger als andere Optionen, meinen Experten.
Illustration: David Mathews

Während die Privaten in den Industriestaaten vom Gas stiegen, sorgten die Schwellenländer mit ihrem Kaufrausch für ein wachsendes Obligo. Der sogenannte Geneva Report, der von mehreren Ökonomen wie Philip R. Lane vom Trinity College Dublin und Lucrezia Reichlin von der London Business School erstellt wird, kommt zu folgendem Resultat: Nach einer kurzen Pause des Wachstums nach Ausbruch der Finanzkrise zeigen die vergangenen Jahre wieder einen rasanten Anstieg der weltweiten Gesamtverschuldung.

200 Prozent Schuldenquote

Längst haben die Verbindlichkeiten die Marke von 200 Prozent der Wirtschaftsleistung überstiegen. Schwellenländer, insbesondere China, werden als Quell der Besorgnis qualifiziert. Eine vom Reich der Mitte angeführte Gruppe von Emerging Markets könnte sich "in der unerwünschten Rolle wiederfinden, im Zentrum einer nächsten globalen Schuldenkrise zu stehen".

Ein anderes Bild ergibt sich in den meisten Industriestaaten. In den USA und in Großbritannien wurden zwar Fortschritte bei der Entschuldung der privaten Haushalte gemacht, doch diese Verbesserung ging weiter zulasten der Regierungen, zudem wurde die Bilanzsumme der Notenbanken extrem aufgebläht.

Großbritannien hat mittlerweile das Kunststück geschafft, Japan bei der Gesamtverschuldung einzuholen. Beide Staaten weisen eine Verschuldung auf, die rund das Fünffache des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Dagegen sehen die Vereinigten Staaten wie Sparmeister aus, die bei etwas mehr als der Hälfte dieses Wertes liegen.

Japan im Teufelskreis

Dabei kommt Japan einfach nicht aus dem Teufelskreis heraus. Nach zwei negativen Quartalen, die auch einer Mehrwertsteuererhöhung und dem anschließenden Konsumrückgang geschuldet waren, scheint die Fortsetzung von "Abenomics" ungewiss. Die nach Ministerpräsident Shinzo Abe benannte Wirtschaftspolitik hat mit den miserablen Wirtschaftsdaten einen ziemlichen Dämpfer erhalten. Auch wenn Abe die Neuwahlen gewonnen hat: Richten muss es wieder einmal die Notenbank, die Staatsanleihen und andere Wertpapiere in großem Stil einkauft.

EZB wieder in Offensive

Auch die Europäische Zentralbank geht bei ihren Interventionen wieder in die Offensive, nachdem sie in den vergangenen Jahren ihr Engagement wieder um eine Billion Euro zurückgefahren hat. Die USA steigen dagegen zusehends aus der Politik der geldpolitischen Stimulierung der Wirschaft aus. Ob damit die zinspolitische Wende eingeleitet wird, bleibt aber offen.

Am ehesten wird ein entsprechender Schritt von der US-Notenbank Fed erwartet. Sie erntet mit einer wieder unter sechs Prozent gefallenen Arbeitslosenrate die Früchte - unabhängig davon, ob der aktuelle Aufschwung ihren Aktionen oder anderen Faktoren wie der Reindustrialisierung als Folge billiger Energie zu verdanken ist. In China gehen die Zinsen angesichts des schwächeren Wachstums, des gesunkenen Preisauftriebs und wohl auch wegen der Aufwertung gegenüber dem Yen wieder gegen Süden.

Geldspritzen verpuffen

Doch selbst wenn die großen Volkswirtschaften nach sieben Jahren aus dem Krisenmodus kommen sollten, birgt auch diese Entwicklung enorme Gefahren, auf die fast alle großen Wirtschaftsorganisationen wie Währungsfonds und OECD hinweisen: Der ohnehin schon kaum bewältigbare Schuldenabbau würde bei steigenden Zinsen zum Ding der Unmöglichkeit, lautet der Tenor. Besonders hart ging im Sommer die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit dem monetären Stimulus ins Gericht. Die Aktionen der Notenbanken seien konjunkturell "relativ unwirksam" geblieben. Der Grund: Am zugrunde liegenden Problem der hohen Verschuldung hat das Doping selbstredend nichts geändert.

Die BIZ, die auch Bank der Notenbanken genannt wird, hat folgende Berechnung angestellt: Mit einem Engagement von 20 Billionen Dollar oder 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung haben die Zentralbanken ihr Engagement seit Ausbruch der Krise verdoppelt. Folgen hatte die Öffnung des Waffenarsenals weniger für das Wachstum als für die Finanzmärkte. Die unvorstellbaren Summen sind in diverse Assetkategorien wie Aktien und Immobilien geflossen.

Jagd nach Renditen

Die niedrigen Zinsen haben Anleger auf die Suche nach höheren Renditen geschickt - und das zusehends global. Fremdwährungskredite in Dollar haben sich auf mehr als zehn Billionen Dollar verdoppelt, die grenzüberschreitende Verstrickung des Finanzsystems erhöht die Gefahr von Kettenreaktionen. Das Volumen hochverzinster Anleihen verdreifachte sich in den vergangenen sechs Jahren auf 90 Milliarden Dollar. Von syndizierten Krediten entfallen bereits mehr als 40 Prozent auf solche mit niedriger Bonität. Viele Aktienmärkte befinden sich ohnehin auf oder nahe ihrem Höchststand.

Anders ausgedrückt: Die Schulden sind ebenso wie viele Preise an den Finanzmärkten und anderen Assetklassen auf All-Time-High, gleichzeitig werden die globalen Wachstumsprognosen laufend nach unten revidiert. Die Geister, die Notenbanken und Staaten mit ihrer Schuldenorgie riefen, werden sie nicht mehr los. Den Zusammenhang hat der Berater Daniel Stelter in seinem neuen Buch Die Schulden im 21. Jahrhundert relativ lapidar auf den Punkt gebracht: Da Verbindlichkeiten nichts anderes als vorgezogenen Konsum darstellten, sei eine Gegenreaktion in Form niedrigeren Wachstums unvermeidlich.

Ausweg aus Schuldenkrise

Die künstlich aufgeblasenen Vermögenswerte können demnach nur vorübergehend von den Notenbanken hochgehalten werden. Je mehr sich schlechte Fundamentaldaten durchsetzen, desto eher würden auch die aufgeblasenen Aktien- oder Immobilienpreise auf den Boden der Realität geholt, so Stelter sinngemäß. Damit reduziert sich die Fähigkeit, Kredite zurückzuzahlen, die Banken kommen zudem unter Druck, weil die als Sicherheiten dienenden Assets an Wert verloren haben. Und die wieder en vogue gewordenen diversen Kreditverbriefungen beschleunigen die Nöte des Finanzsektors.

Doch wie sollen die Schuldenstände bei noch dazu geringem Wachstum sinken? Springt die Konjunktur nicht massiv an, geht das nur über langsame oder rasche Enteignung. Erstere Methode funktioniert historisch gesehen über negative Realzinsen, indem die Inflation deutlich über den nominellen Zinsen liegt.

Dieses Phänomen beobachten Sparer schon seit Jahren. So sehr das die Betroffenen schmerzen mag: Für eine nachhaltige Sanierung der Staatshaushalte wird die als Financial Repression bekannte schleichende Entwertung des Ersparten nicht ausreichen, obwohl die negativen Realzinsen den Anlegern in den USA und Europa allein von 2007 bis 2012 Verluste von 630 Milliarden Dollar beschert haben, wie eine Untersuchung der Beratungsgruppe McKinsey vor einem Jahr ergeben hat.

Piketty lässt grüßen

Berechnungen zeigen, dass in vielen hochverschuldeten Ländern über Jahrzehnte hinweg ein negativer Realzinssatz von rund fünf Prozent angewendet werden müsste, um nachhaltige Schuldenniveaus zu erreichen.

Eine konstante oder auch einmalige Geldquelle wären die Vermögen der finanziell Bessersituierten: Vermögenssteuern verschiedenster Ausprägung werden vor allem von Ökonomenseite immer stärker getrommelt, zuletzt haben die Thesen des französischen Popstar-Ökonomen Thomas Piketty der Idee massiven Rückenwind verliehen. Unbestritten ist, dass die von den Notenbanken herbeigeführte Vermögenspreisinflation die weltweite Ungleichheit massiv erhöht hat, da tendenziell Reiche vom Anstieg der Aktienkurse oder Immobilien profitiert haben.

IWF stimmt ein

Auch der Währungsfonds hat im Vorjahr aufsehenerregende Planspiele in diese Richtung angestellt: Mit einer einmaligen Vermögensabgabe von zehn Prozent auf Bankeinlagen, Wertpapiere und Immobilien könnte die Rekordverschuldung in der Eurozone unter die Maastrichtgrenze von 60 Prozent gedrückt werden, so die Berechnung, die nach hohem Wellengang als reine akademische Überlegung abgetan wurde.

Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings, dass bei Bankensanierungen und im Falle Zyperns auch bei Staatsrestrukturierungen private Vermögen konfisziert wurden. Auch von der Deutschen Bundesbank kommen überraschenderweise kühne Thesen in diese Richtung. "In der Ausnahmesituation einer drohenden staatlichen Insolvenz könnte eine einmalige Vermögensabgabe günstiger abschneiden als die dann noch relevanten Optionen", hieß es in einem Papier der Notenbank. Mit relevanten Optionen sind höhere Steuern oder eine drastische Reduktion der Staatsausgaben gemeint.

Zu den Befürwortern eines noch radikaleren Schritts, nämlich einer Zwangsabgabe auch ohne drohende Pleite, zählt Berater Stelter, weil es angesichts der hohen Verschuldung keine Alternativen gebe: "Kein Wunder, dass die Politik alles versucht, um weiterhin die Illusion aufrechtzuerhalten, die Probleme ließen sich noch schmerzfrei lösen", meint der frühere Partner und Managing Director der Boston Consulting Group.

Des Kaisers neue Kleider

Wie auch immer die Debatte endet. Die von der steigenden Alterung der Gesellschaften in den Industriestaaten ausgehende Reduktion des Wachstumspotenzials wird die Lage in absehbarer Zeit eher verschärfen. Gut möglich, dass sich die westlichen Regierungschefs eines Tages in der Rolle der Beamten in Des Kaisers neue Kleider sehen. Alle sahen den Kaiser nackt, aber die Beamten behielten die Wahrheit aus Furcht für sich, bis ein kleines Mädchen dem Regenten die nackten Tatsachen ins Gesicht sagte. (Andreas Schnauder, Wirtschaft, DER STANDARD, 31.12.2014)