Bild nicht mehr verfügbar.

Papst Franziskus mit Rahmi Yarin, Mufti von Istanbul.

Foto: REUTERS/ Osservatore Romano

Morgens um acht stehen fünf Frauen aus dem Ruhrgebiet vor dem verschlossenen Tor der Hagia Sophia und summen ein frommes Lied. Zwei Deutsche, zwei griechisch-stämmige Frauen, eine Muslimin aus Montenegro. Sie kennen sich alle, und ein interreligiöser Rat hätte es nicht besser arrangieren können. Aber es ist ein ganz normaler Wochenendausflug nach Istanbul. "Wir sind zum Beten gekommen", sagt Mirsada, die Muslimin aus Recklinghausen. Geht aber nicht, weil erst der Papst noch hinein will.

Hoch über den Köpfen der Frauen surrt eine siebenarmige Kamera und filmt den weiten Platz zwischen der Hagia Sophia und der Blauen Moschee im Istanbuler Altstadtviertel Sultanahmet. Unten stehen Heerscharen von blau uniformierten Polizisten und Zivilbeamte, in schwarzen Mänteln und unrasiert wie in den türkischen Fernsehserien. "Eine Kugel kostet zehn Lira, aber das Leben des Papstes ist keine fünf wert", hatte Ali Agca, der Papstattentäter von 1981, verächtlich gesagt, als er vor der Ankunft von Franziskus in der Türkei eine Pressekonferenz in einem Istanbuler Hotel abhielt. Der Papst sei der Botschafter des Satans, erklärte er.

Pulk von Sicherheitsleuten

Die Bedrohung für das Oberhaupt der katholischen Kirche ging wohl weniger von dem verwirrten, 2010 aus der Haft entlassenen Agca aus, als von islamistischen Terrorgruppen, die in den Nachbarländern Syrien und Irak wüten. So kommt Franziskus am Samstag, seinem ersten Besuchstag in Istanbul, in einem Pulk von Sicherheitsleuten an, die in den geöffneten Türen ihrer Fahrzeuge stehen, schwarzen, klobigen Maschinen, die so groß sind, dass man Angst hat, sie könnten den kleinen silberfarben leuchtenden Renault des Papstes zerdrücken. Der bald 78-Jährige hatte wie schon bei seiner Ankunft am Freitag in Ankara auf einen ungepanzerten, einfachen Wagen beharrt.

"Aaah!", rufen die Zaungäste aus, als der Papst vor dem Eingang der Hagia Sophia aus dem Auto steigt, und enttäuscht "oooh!", als in eben diesem Moment eine Straßenbahn vorbeirollt und für kostbare Sekunden die Sicht nimmt.

Die Hagia Sophia soll wieder sein, was sie 1000 Jahre lang war - eine Kirche eben, kein Museum wie jetzt. Darin sind sich die fünf Frauen aus dem Ruhrpott einig. "Die Muslime könnten dort beten", sagt Mirsada und weist auf die Blaue Moschee ein paar Hundert Meter weiter, "und die Christen hier. Jeder für sich und doch alle zusammen". Sie sind deshalb strikt gegen den Wunsch konservativer türkischer Politiker wie den Vizepremier Bülent Arinc, die Hagia Sophia zu einer Moschee zu machen wie während des Osmanischen Reichs. "Das wäre geklaut", sagt Angelika, Homöopathin und eine aus der Frauengruppe, "das stimmt schon von der Energie her nicht." Sophia bedeutet die Weisheit Gottes, sagt sie.

Herzliche Atmosphäre

Daran erinnert später auch Federico Lombardi, der Sprecher des Papstes. Die Weisheit Gottes aber ist für alle da, will Lombardi damit sagen. Er hat Franziskus während der Besichtigung begleitet und stand auch hinter ihm in der Blauen Moschee, als der Papst dann zwei Minuten lang tat, was sein Sprecher nach reiflicher Überlegung "stille Verehrung" nannte. Nur damit es kein Missverständnis gebe, sagt Lombardi, "und um klar zu machen, dass der Papst kein christliches Gebet in eine Moschee getragen hat". Man müsse Gott nicht nur mit Worten preisen, sondern auch still anbeten, sagte er zweimal dem Mufti der Moschee, der ihn begleitete.

Das ist der eine Brückenschlag, vom Christentum zum Islam, den Franziskus während seines dreitägigen Türkeibesuchs erneuert. Viermal hat sein Vorgänger Benedikt eine Moschee besucht; für Franziskus ist es die zweite, seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr. Von Beginn an herzlich sei die Atmosphäre bei dieser Türkeireise gewesen, sagt sein Sprecher, nicht von Problemen belastet wie beim Besuch von Benedikt im Jahr 2006, der Empörung wegen einer islamkritischen Äußerung hervorgerufen hatte. Franziskus sei in Istanbul auch entspannter gewesen als zuvor in Ankara beim Empfang im Präsidentenpalast, berichtet sein Sprecher. Die typische Spontaneität des Papstes habe sich wieder gezeigt, als er während einer Feier in der St.-Georgs-Basilika den Segen des Patriarchen Bartholomäus erbat und sich von ihm auf den Kopf küssen ließ, erklärte Lombardi später. "Geliebter Bruder" nennt ihn Bartholomäus, das Oberhaupt der rund 300 Millionen orthodoxen Gläubigen in der Welt.

Der Brückenschlag von der katholischen zur orthodoxen Kirche war das andere, eigentliche Ziel dieser Papstreise. Beide Kirchenführer wollen die Einheit Christentums nach bald 1000 Jahren Spaltung weiter auf den Weg bringen. Bartholomäus schätze den Papst sehr, sagt Franz Kangler, der Superior des St.-Georgs-Kolleg in Istanbul. Er sehe in Franziskus eine Gestalt ähnlich dem Papst Johannes XXIII., so habe ihm Bartholomäus gesagt. Der Reformpapst, der das Zweite Vatikanische Konzil einberief, war in der Anfangszeit der Türkischen Republik Apostolischer Delegat in Istanbul.

Muslimische Bevölkerung freundlich distanziert

Franziskus kam nun nach Istanbul, um am Sonntag an der Feier des Heiligen Andreas teilzunehmen, des wichtigsten Apostels der orthodoxen Kirche und Gründer der Kirche von Konstantinopel, des "neuen Rom". Sein Todestag am 30. November wird sowohl in der orthodoxen wie in der katholischen Kirche begangen. Franziskus und Bartholomäus unterzeichneten eine Erklärung zum Fortgang des Dialogs beider Kirchen und beklagten die Verfolgung von Christen im Nahen und Mittleren Osten, der "viele gleichgültig" gegenüberstünden. Angesichts der Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien und im Irak erklärten die beiden Kirchenführer: "Die schwer wiegenden Herausforderungen, denen die Welt in der derzeitigen Lage gegenübersteht, verlangen die Solidarität aller Menschen mit gutem Willen. So erkennen wir auch die Bedeutung der Förderung eines konstruktiven Dialogs mit dem Islam an, gegründet auf gegenseitiger Achtung und Freundschaft."

Für die Schaulustigen in Istanbul an diesem Wochenende sind zumindest die Bemühungen von Franziskus und Bartholomäus um die Einheit ihrer beiden Kirchen eine weit entfernte theologische Debatte. Die muslimische Bevölkerung blieb eher freundlich distanziert gegenüber dem Besuch des Papstes. "Er ist willkommen", sagt ein Apotheker in Çemberlitaş, in der Nähe der Großen Basars unweit von der Blauen Moschee, "soll er sich Istanbul nur anschauen. Es ist eine Weltstadt. Wir fahren schließlich auch nach Rom und besichtigen den Vatikan". Für die Touristen in Istanbul aber bleibt er der Mensch, der sie an die Kirche bindet. "Wie schön!", ruft eine junge Spanierin aus, als sie den kleinen Mann in Weiß in der Menge der Polizisten sieht - "que bonito!" (Markus Bernath, DER STANDARD/Langfassung, 1.12.2014)